Zurück im Ort seiner Jugend
Kampf um „rotes“ Waldkraiburg: Wie sich Autor Max Brym den Spitznamen „Bürgerschreck“ verdient hat
Der bekannte Münchner Autor Max Brym kann auch heute keinen Schritt in die Stadt seiner Jugend Waldkraiburg setzen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
Waldkraiburg - Ob es wohl gut gehen könne, dass er neben Persönlichkeiten wie Moderator Wolfgang Nadvornik und Sänger Peter Maffay als eine der Größen im Wikipedia-Eintrag zu Waldkraiburg steht? Der Münchner Autor und Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender Max Brym nimmt es mit Humor: „Wenigstens war mein Wirken hier nicht ganz umsonst.“
Kaum zu glauben, wenn man bedenkt, dass der 1957 in Altötting geborene und als Jugendlicher in Waldkraiburg groß gewordene Brym nach seinem Studium in Israel 1991 wegen seiner Vergangenheit nach München gezogen war. Damals sei es aufgrund seiner Bekanntheit als „Bürgerschreck“ oder „roter Max“ schwer gewesen, in Waldkraiburg mit einem normalen Job einen Lebensinhalt zu finanzieren, erklärt der Wahl-Münchner mit einem Grinsen. Er rührt versonnen in seinem Glas Tee, irgendwo in einem Café nahe dem Stadtplatz.
Erinnerungen an Tumulte, Prügeleien und Demos
Zuvor habe er sich bereits mit alten Bekannten in einem anderen namhaften Waldkraiburger Kaffeehaus getroffen, um Erinnerungen aufzufrischen. „Dort saßen immer noch dieselben Leute wie vor 30 Jahren. Auf meine Frage, was es Neues gebe, kam zurück: Seitdem du fort bist, passiert eigentlich nichts mehr“, erzählt Brym. Und wie war es früher? Lauscht man den Geschichten des Linken-Politikers, der sich ab 1973 als Aktivist der immer noch existierenden Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) einen Namen gemacht hat, wird man in eine Zeit zurückgesetzt, in der Prügeleien auf Bürgerversammlungen, politische Kampfblätter für die Arbeiter sowie laute Antifa-Demos vor dem Rathaus scheinbar zum Alltag gehörten.
Finanzierte CSU-Mitglied kommunistisches Kampfblatt?
Zu Tumulten, einem Polizeieinsatz und Abführungen in Handschellen gekommen war es beispielsweise bei einer dieser legendären Bürgerversammlungen im Jahr 1976, als es darum ging, dass die DKP dachte, dass Waldkraiburg ein Krankenhaus bräuchte. „Über Tage waren die Waldkraiburger Nachrichten voll damit“, so Max Brym, den diese plötzliche Berühmtheit amüsiert habe. Ganz im Gegensatz zu seiner Mutter, einer braven Sozialdemokratin, die damals als Filialleiterin Bettwäsche verkauft hat und dabei immer Geschichten über ihren renitenten Sohn hat anhören müssen. Angst habe sie gehabt, dass er keine gescheite Arbeit bekommen würde, erzählt Brym. Doch der habe - nach eigener Aussage - über Jahre ganz gut damit gelebt, dass er sich von einem damals stadtbekannten CSU-Kreistags- und Stadtratsmitglied sein kommunistisches Blatt „Der rote Landbote“ mit mehreren Tausend D-Mark pro Monat bezahlen hat lassen.
Angst vor roter Gefahr aus dem Osten
Ganz freiwillig habe der CSU-Mann gezahlt, wie der damalige Streiter für Arbeiterrechte mit einem Augenzwinkern zugab. „Was glauben Sie, wie viele Menschen damals dem Glauben geschenkt haben, was der Bayernkurier über die große Gefahr aus dem Osten schrieb?“ Besagter Herr, dessen Namen Brym lieber im Dunkeln der Geschichte belassen möchte, wollte nicht mit leeren Händen dastehen, sollte tatsächlich irgendwann einmal ein sowjetischer Kampfkommandant vor seinem Laden stehen. Max Brym schüttelt den Kopf. Dessen Lebensversicherung seien die Quittungen gewesen, die er ihm für seine finanzielle Unterstützung ausgestellt habe. „Er hatte seinen Seelenfrieden und ich konnte mir Kaffeehausbesuche leisten.“
Früher Kämpfer für die KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart
Heute allerdings arbeitet May Brym redlich für sein Geld, unter anderem mit seinen Büchern über den Arbeiterwiderstand gegen die Nationalsozialisten im Dritten Reich. In der Aufarbeitung dieses finsteren Kapitels unseres geschichtlichen Erbes engagiert er sich seit Jahren. Und auch hier schließt sich der Bogen in Waldkraiburg. „Aus der Familie meines Vaters sind allein 18 Menschen im Holocaust umgekommen. Der letzte Bruder wurde noch in den letzten Tagen des Waldlagers Mettenheim ebendort von der SS erschossen“, erklärt Max Brym. Ihm war es ein Dorn im Auge, dass bis in die 80er-Jahre der Bunker im ehemaligen Waldlager nur ein Party-Ort für die Jugend war.
Holocaust-Relativierung aus dem Rathaus Waldkraiburg?
Es wäre nicht Max Brym, wenn er nicht lauthals auf diesen „unmöglichen Zustand“ verwiesen hätte - so lange, bis sich der Kreisheimatverein der Angelegenheit annahm; das Ergebnis ist die KZ-Gedenkstätte Mühldorfer Hart. „Ich bin schon ein wenig stolz, dies angestoßen zu haben“, muss Brym zugeben. Genauso übrigens klopft er sich für seinen Aktionismus in den 80er-Jahren gegen den Sudetendeutschen Erzieherbund, der im Rathaus Waldkaiburg ein Geheimbüro bezogen haben soll, auf die Schulter. „Diesen Sudetendeutschen Erzieherbrief, der den Lehrern Mittel an die Hand geben sollte, wie man im Unterricht die NS-Verbrechen relativiert, wurde von einem in Waldkraiburg lebenden ehemaligen NS-Gauleiter herausgegeben“, empört sich Brym, der abermals eine Bürgerversammlung 1982 als Podium benutzte, um diese Angelegenheit öffentlich zu klären. Verhaftungen habe es damals zwar keine gegeben; dafür sei der Bund ein halbes Jahr später aus dem Rathaus verschwunden.
Waldkraiburger Geschichten „gründlicher“ erzählen
„Ich habe in Waldkraiburg also durchaus was erreicht - wenn auch als Bürgerschreck.“ Max Brym lacht. In seinem kürzlich erschienenen neusten Buch „Skizzen - Arbeiterwiderstand in Südbayern“ kann er dagegen zwar nicht explizit mit Beispielen aus der Geschichte Waldkraiburgs - das damals einfach noch nicht existierte - dienen. Jedoch arbeitet er gerade an einem das Buch ergänzenden Artikel, der zumindest die alte Eisenbahnerstadt Mühldorf mit seiner lebendigen sozialdemokratischen Geschichte, die auch ein paar Kommunisten beinhaltet, beleuchtet. Ob es mit Blick auf Waldkraiburg wenigstens einen biografischen Endpunkt zum vor Jahren erschienenen Buch „Es begann in Altötting“ geben werde? „Vielleicht erzähle ich mal einige der Geschichten hier noch gründlicher. Das würde allerdings viele - zumindest in meinem Alter - sehr verschrecken.“ Und da ist es wieder, das schelmische Grinsen auf den Lippen des „Bürgerschrecks“.