„Schräger Fall“ am Amtsgericht Mühldorf
36-Jähriger aus Waldkraiburg will ins Gefängnis und bekommt seinen Willen
Einen „schrägen“ Fall hatte Amtsrichterin Angela Michielsen in Mühldorf zu verhandeln. Ein 36-jähriger Mann aus Waldkraiburg rief die Polizei wegen eines Streits mit seiner Freundin. Was dann geschah? Es außergewöhnlich zu nennen, wäre stark untertrieben.
Mühldorf/Waldkraiburg – Einen eher ungewöhnlichen Fall hatte Amtsrichterin Dr. Angela Michielsen kürzlich zu verhandeln. Staatsanwalt David Heberlein verlas in seiner Anklageschrift drei Punkte gegen einen 36-jährigen Arbeitslosen aus Waldkraiburg: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Betrug.
Auseinandersetzung mit der Freundin
Der Angeklagte, deutsch, Vater einer siebenjährigen Tochter (zu der er keinen Kontakt hat) wurde von Rechtsanwältin Veronika Schönsteiner vertreten. Im Sommer dieses Jahres war es am späten Abend in Waldkraiburg zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Mann und seiner damaligen Freundin gekommen, erstaunlicherweise hatte der Angeklagte selbst die Polizeiinspektion Waldkraiburg angerufen. Ein am Tatort eingetroffener Polizeibeamter sagte folgendes aus: „Als wir eintrafen, saß ein Mann mit einem Bierkasten am Straßenrand, etwa 100 Meter von dem uns gemeldeten Haus entfernt – der Angeklagte, wie sich später herausstellte. Mein Kollege versuchte, ihn zu beruhigen. Der Mann verlangte, wieder ins Gefängnis gebracht zu werden, was aber auf Grund der Sachlage nicht möglich war. Die Frau wies keinerlei Verletzungen auf.“ Daraufhin der Angeklagte. „Dann muss ich halt Dich schlagen, um wieder in der Justizvollzugsanstalt eingesperrt zu werden.“
Die Geschädigte teilte mit, dass sie nach einem Streit von ihrem Freund geschubst worden sei. Verletzungen waren jedoch nicht zu erkennen. Inzwischen näherte sich der Kollege mit dem angetrunkenen Beschuldigten. Als die Freundin den Wohnungsschlüssel zurückhaben wollte, eskalierte die Situation. Der Mann beleidigte die Frau und die beiden Polizisten aufs Übelste und nahm gegen über den Polizeibeamten eine drohende Haltung ein. Daraufhin wurde er zu Boden gebracht und unter erheblicher Kraftanstrengung mit Handschellen fixiert.
Die beiden Ordnungshüter fuhren mit dem Mann in ihre Inspektion zurück und sperrten ihn in die Ausnüchterungszelle. Am nächsten Morgen entschuldigte sich der Mann, er durfte gehen. Allerdings nicht zurück zu seiner Ex-Partnerin, die ihn nicht mehr sehen wollte. Er kam in der Wohnung eines Freundes unter.
Dritter Anklagepunkt
Jetzt stand der Mann in dieser Angelegenheit vor Gericht, inzwischen war auch noch eine dritte Anklage dazugekommen, diese wegen Betrugs: Der Angeschuldigte hatte sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosengeld in Höhe von 1001,70 Euro. Da er aber mittlerweile eine Arbeit angetreten hatte, hätte er dies der Agentur für Arbeit melden müssen, er hatte keinerlei Anspruch auf das ausgezahlte Geld. Dies bestätigte auch ein Mitarbeiter der Agentur, der ergänzte, dass die Summe noch vollständig zurückzuzahlen sei.
Dazu hatte der Angeklagte ausgesagt, dass er dieses Geld als Kaution für eine neue Wohnung gebraucht hätte.
Zum Abschluss der Beweisaufnahme erbrachte der obligatorische Blick in das Bundeszentralregister 14 Einträge, „eine ganz schöne Menge für einen so jungen Mann wie Sie“, wie die Vorsitzende dies ausdrückte. In dieser Liste befanden sich mehrere Diebstähle, dazu kamen Körperverletzungen, Bedrohungen und Beleidigungen. Das letzte Wort des Angeklagten vor den Plädoyers: „Nach dieser Haft werde ich es schon packen“. Er hatte dem Gericht auch mitgeteilt, dass er sich zu einem Anti-Aggressionstraining und zu einer Entziehungskur entschlossen hatte. Inwieweit diese Pläne realistisch und umsetzbar sind, das wird sich weisen. Nach eigenen Angaben gestand der Mann auf Anfrage von Dr. Michielsen, dass er täglich eine Flasche Wodka und 15 Bier konsumiere.
Staatsanwalt David Heberlein bezeichnete in seinem Schlusswort das Widerstandsgeschehen als völlig unnötig: „Der Angeklagte selbst hat die Polizei gerufen, die ihn beruhigen und die Angelegenheit deeskalieren wollte. Auch ein Kontakt zur Agentur für Arbeit wäre jederzeit möglich gewesen“.
Positiv sah der Anklagevertreter vor allem das Geständnis und die Entschuldigung des Mannes, er sei auch alkoholbedingt enthemmt gewesen und hätte die Polizeibeamte nicht verletzt. Doch vor allem die hohe Anzahl der Vorstrafen und die damit verbundene ebenfalls hohe Rückfallgeschwindigkeit fielen beim Anklagevertreter negativ ins Gewicht. David Heberlein forderte eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten ohne Bewährung. Für eine solche gebe es keine Chance, so der Staatsanwalt, der Angeklagte sei arbeitslos und trinke. Verteidigerin Veronika Schönsteiner schloss sich der Argumentation des Staatsanwalts an, bat aber darum, ihrem Mandanten in Form einer Bewährungsstrafe eine Chance zu geben. Die Freiheitsstrafe solle sechs Monate betragen.
Die Vorsitzende Dr. Angela Michielsen sah dies anders, sie verhängte eine wie vom Staatsanwalt geforderte zehnmonatige Gefängnisstrafe und die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 1001,70 Euro: „Das Maß ist übervoll. Die vielen Vorstrafen haben trotz mehrmaliger Hafterfahrung beim Angeklagten nichts bewirkt. Ich sehe aufgrund der Arbeitslosigkeit und des übermäßigen Alkoholgenusses keine günstige Sozialprognose.“
Der Angeklagte lieferte das Schlusswort: „Ich nehme diese zehn Monate an.“ So geht also der im Sommer geäußerte Wunsch des Mannes diesen Winter doch noch in Erfüllung.