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Stock und Hut, stehen ihm gut

Plötzlich steht er vor der Tür: Gitarrenbauer klopft bei Neumarkter Kontrabass-Baumeister an

Zweieinhalb Jahre ist Gerrit bereits unterwegs. In dieser Wanderkluft klopfte er bei Meister Ralph Krahmer in Neumarkt-St. Veit an die Türe.
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Zweieinhalb Jahre ist Gerrit bereits unterwegs. In dieser Wanderkluft klopfte er bei Meister Ralph Krahmer in Neumarkt-St. Veit an die Türe.

Am Montagabend stand er plötzlich vor der Tür des Neumarkter Kontrabass-Baumeisters Ralph Krahmer und sagte: „Moin. Ich bin der Gerrit Hemmer. Ich bin Gitarrenbaugeselle und befinde mich auf Wanderschaft.“ Seit zweieinhalb Jahren befindet er sich auf der Walz. In Neumarkt machte er gleich mehrere Tage Halt.

Neumarkt-St. Veit - Der Neumarkter Handwerksmeister war erst überrascht, dann sah er sich den schlanken jungen Mann an, der in der schwarzen Tracht der Wandergesellen bei ihm Halt machte. Und plötzlich war er begeistert: Da war doch tatsächlich jemand zu ihm gekommen, der noch die alte Tradition der Wanderjahre pflegte, die ab dem Spätmittelalter bis zur Industrialisierung Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung aller Handwerksgesellen war. Hereinspaziert. Die nächsten Tage sollte der 26-Jährige im Haus der Krahmers verbringen.

Ein Bett für die Nacht, am Tag in der Werkstatt

Während der Meister ihn in die Wohnung bittet, fragt er sogleich, ob er vielleicht Arbeit suche. Gerrit Hemmer erklärt, dass er Quartier bis zum Freitag sucht, aber in dieser Zeit gerne in der Werkstatt mitarbeitet würde, wenn es denn Arbeit für ihn gäbe. Der Hausherr bietet dem jungen Mann ein Zimmer an und zeigt ihm, wo er sich frisch machen könne.

Interessiert lässt sich Gerrit von Meister Ralph Kniffe im Bau von Kontrabässen zeigen.

Seinen Wanderstab stellt Gerrit innen neben der Haustür ab. „Wenn Sie wollen, dass ich gehen möge, dann stellen Sie den Stab einfach vor die Tür“, erklärt er dazu. Seinen Hut mit Krempe nimmt er nicht ab. „Nur beim Essen und in der Küche“, erläutert er. „Früher durften ja nur Freie Hüte tragen. Und wir Handwerksburschen achten den Hut als Symbol für unsere Freiheit.“

Es gibt viel zu erzählen

Inzwischen bereitet Steffi, die Frau des Meisters, für alle eine stärkende Brotzeit, bei der der Wandernde gerne kräftig zulangt. In den Gesprächen während des Mahles hat Gerrit viel zu erzählen.

Dass er nämlich aus Rendsburg in Schleswig-Holstein stammt. Die Gitarrenbaulehre habe er aber in Klingenthal gemacht. Und schon kommt freudige Lebhaftigkeit auf. Denn der Meisterbetrieb von Ralph Krahmer wurde nämlich von seinem Großonkel, Max Pöllman, in Klingenthal gegründet und ist von Ralphs Vater nach dem Krieg in Neumarkt-St. Veit wieder aufgebaut worden. Er selbst hat noch viele Verbindungen zu diesem Ort und kennt dort noch einige Instrumentenbauer-Familien.

So klein ist die Welt - zum Beispiel Klingenthal

Von Klingenthal aus geht es dann schnell hinaus in die Welt. Gerrit Hemmer erzählt von seinem Wanderleben. Er verhehlt dabei nicht, dass ihn die Wanderschaft schon als Kind fasziniert habe. Und so beteiligte er sich auch an Treffen der Wandergesellen und -gesellinnen. „Es gibt nämlich mehr wandernde Gesellinnen, als man glaubt“, weiß Gerrit mittlerweile, der sich gleich von der Idee faszinieren ließ, hinaus in die weite Welt zu ziehen.

Gerrits Loch ins Ohrläppchen haben ihm tatsächlich Altgesellen und Freunde mit einem Nagel und Hammer an einem Baum geschlagen. Nach altem Brauch war Schnaps das Schmerz- und Desinfektionsmittel.

Doch so einfach ist das nicht: Ein Altgeselle musste ihm nach seiner Gesellenprüfung erst einmal bescheinigen, dass Gerrit unverheiratet, kinderlos, schuldenfrei und nicht vorbestraft ist. Diese Voraussetzungen fürs Wandern konnte er erfüllen. Weitere Bedingungen waren, dass er für Fortbewegung und Unterkunft kein Geld ausgeben darf, und dass er sich während dieser Zeit seinem Wohnsitz daheim höchstens auf 50 Kilometer nähern darf.

Das Smartphone ist tabu

Smartphones sind verboten. Aber damit hatte Gerrit noch nie Probleme, wie er glaubhaft versichert. Denn langweilig scheint ihm nicht wirklich zu sein. Zwei Monate lang war er in Südspanien, berichtet er. Er sei sogar bis nach Granada gekommen. Und er erklärt: Länger als drei Monate an einem Ort zu bleiben, ist nicht erlaubt. Also sei er dauernd unterwegs. Mittlerweile seit zweieinhalb Jahren, schwerpunktmäßig, kreuz und quer, hält er sich aber in Deutschland auf.

„Ich will Land und Leute kennenlernen, und natürlich in meinem Beruf von den Meistern viel erfahren“, begründet er sein Tun. „In den bisherigen zweieinhalb Jahren habe ich nicht immer im Bett geschlafen. In Parkanlagen und auf Parkbänken, ja sogar in Straßengräben, verbrachte ich unruhige Nächte. Nicht selten war morgens auf dem Schlafsack eine Eisschicht wegzukratzen.“

Drei Jahre und ein Tag sind Pflicht

Gespannt lauscht man seinen Erzählungen. Dabei erwähnt der 26-Jährige auch, dass er eine Freundin in Klingenthal hat. Sie ist Akkordeon-Bauerin, also auch vom Fach. Drei Jahre und einen Tag dauert eine Wanderschaft. Ein gutes halbes Jahr also noch, dann könnte er seine Liebste wieder in die Arme schließen. Doch Gerrit Hemmer ließ das noch völlig offen. Er schließt nicht aus, dass er seine Wanderschaft noch weiter ausdehnt. Aber das ist ja auch noch Zukunftsmusik. Wohin es ihn als Nächstes verschlägt? Den Allgäu, Richtung Werdenfelser Land, hat er ins Auge gefasst, wenn er nach einer Woche seine Zelte in Neumarkt-St. Veit wieder abgebrochen haben wird.

Walz war früher Voraussetzung für die Zulassung zur Meisterprüfung

Der Begriff Wanderjahre (auch WanderschaftWalzTippeleiGesellenwanderung) bezeichnet die Zeit der Wanderschaft zünftiger Gesellen nach dem Abschluss ihrer Lehrzeit (Freisprechung). Sie war seit dem Spätmittelalter bis zur beginnenden Industrialisierung eine der Voraussetzungen für die Zulassung zur Meisterprüfung. Die Gesellen sollten vor allem neue Arbeitspraktiken, fremde Orte, Regionen und Länder kennenlernen sowie Lebenserfahrung sammeln. Ein Handwerker, der sich auf dieser traditionellen Wanderschaft befindet, wird als Fremdgeschriebener oder Fremder bezeichnet. Das heutige Bild über die Gesellenwanderung ist teilweise verklärt – etwa durch Gedichte oder Schuberts Liederzyklen. Allgemein bekannt sind nur einzelne fragmentarische Überlieferungen, die sich überwiegend auf den Zeitraum zwischen dem späten 18. und frühen 20. Jahrhundert beziehen. Im Dezember 2014 gab die Kultusministerkonferenz bekannt, dass die Handwerksgesellenwanderschaft (Walz) als eine von 27 Kulturformen in die Bewerbungsliste zum bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wird. Am 16. März 2015 erfolgte die Auszeichnung im Sinne des Übereinkommens zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes der UNESCO.

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