Bayerisches Brauchtum in Zangberg noch immer lebendig
Böse Strafe oder großer Spaß? Was es mit dem Hungerbaum von Veronika & Alexander auf sich hat
Mal sind sie nur 1,50 Meter hoch, mal wachsen sie in den Himmel: Hungerbäume. Den Zangbergern Veronika Leitner und Alexander Fickinger bringt ihre Baum Spaß und Strafarbeit.
Zangberg – Veronika Leitner ist ziemlich beschäftigt. Sie holt ihre selbstgebackenen Burger-Brötchen aus dem Ofen. Am Abend erscheinen nämlich besondere Freunde, die eine ordentliche Verpflegung erwarten. „Tja“, lacht die 32-Jährige, „die heutige Gesellschaft hängt mit dem Hungerbaum zusammen, der seit September letzten Jahres in unserem Vorgarten steht“.
Nach sieben Jahren: ein Kind, ein Haus, kein Ehering
Erklärung: Bei Paaren, die nach siebenjähriger Beziehung immer noch den Gang zum Traualtar scheuen, rücken manchmal Freunde an, um bei den Liebenden nach altbayerischem Brauch einen Hungerbaum in den Garten zu pflanzen.
Bei Veronika und ihrem Partner Alexander Fickinger kann von einpflanzen keine Rede sein. „Damit das Gestell nicht umfällt, wurde es einbetoniert“, erklärt Dieter Fickinger, der die ganze Gaudi für seinen Bruder und dessen Frau anzettelte. Veronika erzählt von ihren Cousinen und Cousins sowie von ihrem Bruder, die allesamt mit einem Hungerbaum gesegnet wurden.
Das Haus – eine einzige Baustelle
Oje, stammt die Pflegepädagogin etwa aus einer heiratsunwilligen Familie? Doch da wehrt sie gleich ab. „Überhaupt nicht, in der Zwischenzeit sind die betroffenen Verwandten alle verheiratet“. Warum Veronika und Alexander noch keinen Ehering am Finger tragen, obwohl vor zwei Jahren sogar Söhnchen Lukas zur Welt kam, erklärt der 33-jährige Papa kurz und knapp: „Unser Haus ist eine einzige Baustelle, da bleibt für Hochzeitsplanungen keine Zeit“.
Dabei ist ein Hungerbaum eine ernste Angelegenheit, das unverheiratete Paar muss seit dem Tag des Aufstellens mehrere Regeln befolgen. Bei Nichtbeachtung folgt die Strafe auf den Fuß und der Spaß hat schnell ein Loch, wie Veronika erleben musste: „Ich vergaß an meinem Geburtstag den Baum zu schmücken. Quasi zur Strafe ist es jetzt an uns, ein ungeplantes Festl auszurichten“.
Die jungen Eltern sind froh, an Ostern den Baum dekoriert zu haben, sonst wäre eine weitere Feier fällig gewesen. „Wir mussten so viele Eier aufhängen, wie wir zusammen alt sind“, sagt Alexander. Er verrät noch eine weitere Anforderung: „Bei unangemeldeten Kontrollbesuchen ist immer eine ausreichende Menge an Alkohol im Schnapskoffer bereitzuhalten“. Der Schnapskoffer hängt mit anderen eigenartigen Utensilien wie einem Klodeckel, einer Zylinderkopfdichtung und einer Angelspule am Baum. „Lauter Graffe halt“, bringt es Veronika auf den Punkt.
Der Baum ist absolut in Ehren zu halten, heißt es in der Hungerbaum-Satzung. Das armselige Gestell braucht jeweils an Fasching, Ostern, Pfingsten und Weihnachten sowie an den Geburtstagen des Paares eine zusätzliche Dekoration. Einige Aufsteller legen sich glatt auf die Pirsch und beobachten, ob die Vorgaben tatsächlich umgesetzt werden.
Die strengen Regeln treten erst am Tag der Hochzeit außer Kraft. Und wann dieser Tag X bei den Zangbergern im Kalender steht, weiß heute noch kein Mensch.
Was es mit der Tradition des Hungerbaums auf sich hat, kann Reinhard Albert genau erläutern. Er ist stellvertretender Heimatpfleger im Landkreis. Üblicherweise konnten Hoferben erst heiraten, wenn sie den elterlichen Betrieb übernommen haben, erzählt er. Gerade Großbauern zögerten eine Hofübergabe aber oft lange hinaus. Die Brautväter stimmten einer Hochzeit ihrer Tochter aber nicht zu, solange der Bräutigam das Hoferbe noch nicht angetreten hatte. In dieser Zeit des Wartens alterte das Paar und seine Liebe hungerte. Verwandte der Braut und Freunde des Paares stellten nach sieben Jahren des Wartens einen möglichst krummen und vertrockneten Baum auf dem Hof des Bräutigams, um dessen Vater auf die dringende Hofübergabe hinzuweisen.
Wenn die Liebe wegen des Vaters hungerte
Heute hat sich der Brauch etwas gewandelt und so wird der möglichst grässlich geschmückte Baum mittlerweile im Garten eines Paares aufgestellt, das nach sieben Jahren Beziehung immer noch keinen Entschluss gefasst hat zu heiraten. Die Freunde, die den Baum aufrichten, werden ab diesem Zeitpunkt jedes weitere Jahr, in dem noch keine Hochzeit stattgefunden hat, auf ein Fest mit Brotzeit und Bier in den Garten des Paares eingeladen.
