Zu wenig Kellner und Köche
Bringt bald der Roboter den Schweinsbraten? So stemmen Mühldorfs Gastronomen den Personalmangel
Gefühlt Stunden auf das Hendl im Bierzelt warten? Am Sonntag vor der verschlossenen Tür des Lieblingsrestaurants stehen? Zu guter Letzt rädert im Biergarten gar eine mechanische Bedienung an? Den Personalmangel im Gaststättengewerbe könnte jeder bald mit Wucht am eigenen Leib erfahren.
Mühldorf am Inn - „In einem Gasthaus geht es nicht nur darum, den Gästen Bier oder Wein zu servieren. Es geht um den menschlichen Kontakt“, sagt Holger Nagl. Dass es in seiner Branche immer weniger „menschelt“ oder gar die Lieblingskneipe am Ort schließen muss, weil das Personal an allen Ecken und Enden fehlt, treibt dem Dehoga-Kreisvertreter für Mühldorf und Besitzer des Landgasthofs Hammerwirt die Sorgenfalten auf die Stirn.
Ein rundes Viertel der Mitarbeiter habe die Branche im Zuge der Pandemie verloren, so Nagl. Das könne man so schnell nicht wieder aufholen. „Die 450-Euro-Kräfte sind ohne Kurzarbeitergeld durchs System gefallen. Nachwuchs und Quereinsteiger gab es ebenfalls keine.“
Dehoga - Schlechtes Image ist schuld
Als größtes Problem macht der Dehoga-Vertreter allerdings das schlechte Image der Branche in Deutschland aus, wodurch es sich hier noch schwerer gestalte, Nachwuchskräfte zu akquirieren. „Überstunden, Wochenendarbeit oder schlechte Bezahlung – das sind doch Märchen von gestern!“ Die gesellschaftspolitische Akzeptanz hierzulande zu stärken, sei die Aufgabe der Zukunft.
Um mittel- und kurzfristig Kräfte zu gewinnen, richtet sich der Blick ins Ausland. In 16 Ländern sei der Verband bereits aktiv, um Azubis nach Deutschland zu holen, so Nagl. Auf der einen Seite bedauert er diese Entwicklung, die dazu führt, dass immer weniger Muttersprachler im Service unterwegs sind: „So geht ein Stuck der Kultur flöten“, sagt der Hammerwirt, dem diese Option jedoch sympathischer ist als die Vorstellung, in naher Zukunft Getränke und Speisen von einem Service-Roboter an den Tisch geliefert zu bekommen. Doch auch die werden in der anstehenden Saison noch nicht die sich weiter zuspitzende Misere auf Volksfesten oder in Biergärten beheben können.
NGG - Hausgemachte Probleme der Branche
„Seien wir ehrlich, der Dehoga Bayern ist nicht ganz dicht“, so das nüchterne Urteil des NGG-Geschäftsführers für die Region Rosenheim-Oberbayern, Manuel Halbmeier. Einen flächendeckenden Tarifvertrag zur Aufstockung des Kurzarbeitergeldes habe der Verband nicht gewollt, somit seien den Betrieben die Leute weggelaufen. Abgesehen vom Lohn – 3000 Euro brutto sei laut NGG-Forderung das Mindeste – seien auch die fehlenden strukturierten Arbeitsbedingungen das Problem. „Arbeit auf Abruf“ und kein Arbeitsschutz - das führt Halbmeier als Beispiele an.
Vor dem Hintergrund sollte laut Halbmeier auch der Dehoga-Ruf nach erleichterter Erwerbseinwanderung gesehen werden. Menschen, die kaum deutsch sprechen, bei der angespannten Wohnsituation herzuholen, diese „quasi im Verborgenen zu haben“, das könne Abhängigkeiten schaffen, die kaum zu kontrollieren seien. Vor allem kleine und mittlere Betriebe würden diese prekäre Situation ausnutzen, „große Fünf-Sterne-Häuser könnten sich das gar nicht leisten“. Bei dem seit über einem Jahrzehnt andauernden Landgasthofsterben komme obendrein noch das Problem des fehlenden Nachwuchses dazu.
„Hammerwirt“ setzt auf Top-Ausbildung
Der Mühldorfer Landgasthof Hammerwirt gehört nicht zur aussterbenden Art. Damit man jetzt und in Zukunft nicht auf dem Trockenen sitzt, hat Wirt Holger Nagl, dessen Betrieb jüngst wieder unter die Top-Ausbilder deutschlandweit gewählt wurde, den Fokus auf die hauseigene Ausbildung als „Rückgrat des Betriebs“ gelegt. Das Ende der Fahnenstange ist aber auch beim Hammerwirt nicht erreicht: Zu den 28 Mitarbeitern und einer Handvoll Lehrlingen könnte Nagl immer noch Saisonkräfte einstellen.
Die Strategie funktioniere allerdings nicht bei jedem Betrieb, überlegt Holger Nagl: „Wenn ein Betrieb seine Azubis nicht fair behandelt, gehen sie wieder. Das regelt heute der Markt.“ Als richtigen Schritt in die Richtung, um die Jobs in Küche und Service wieder attraktiver zu machen, erachtet Nagl auch den ganz frischen Ausbildungsberuf „Fachkraft im Restaurant und Veranstaltungsgewerbe“, bei dem man auch Eventmanagement lernt. Junge Leute wollen heute eben interessiert werden.
„Palermo“ bindet mit Winterhütte Personal
Und Mitarbeiter wollen ganzjährig beschäftigt werden. Um nicht einen großen Schwung an Küchen- und Servicekräften über den Winter zu verlieren, die für die nächste Saison nur schwer wieder zurückgeholt werden können, geht Ahmad Aljadou neue Wege. Der Wirt des Mühldorfer Restaurants Palermo hat sich eine Hütte in seinen Biergarten gestellt, um dort seine Gäste über die Wintermonate weiter bedienen können. Der Erfolg ist, dass er bei rund 35 Mitarbeitern noch ganz gut aufgestellt ist; fünf mehr dürften es aber auch bei ihm sein.
Jetzt kämpft der gebürtige Syrer allerdings mit der Bürokratie vor Ort, um die Hütte auch wieder im kommenden Winter aufstellen zu dürfen. „Seit einem Jahr versuche ich nun, eine Baugenehmigung zu bekommen.“ Und falls alle Stricke reißen, könnte sich Aljadou Service-Roboter durchaus vorstellen. Solche habe er anderorts schon im Einsatz gesehen. Dafür müsste er allerdings seine Biergarten-Terrasse planieren, sonst seien die mechanischen Helfer nicht einsatzfähig.
„Wasserschlössel“ bietet Lohnanreize
Weiterhin auf Personal aus Fleisch und Blut setzt der Wirt des Mühldorfer Wasserschlössel, Bernhard Söllner. Rund ein Dutzend Mitarbeiter - egal ob Spüler, Reinigungskraft, Küchenhelfer, Koch oder Restaurantfachkraft, würde er vom Fleck weg einstellen. Mit drei Lohnerhöhungen während der Pandemie hat Söllner versucht, sein Personal bei der Stange zu halten. Der Einsatz war und ist hoch. Um die Löhne zahlen zu können, und das Personal während der pandemiebedingten Ausfälle nicht ausstellen zu müssen, haben die Söllners sogar eine Immobilie verkauft. Trotzdem sind viele beispielsweise in sichere Industrie-Jobs abgewandert.
Was bleibt, sind noch mehr Ruhetage und ein dezimierter Gästebereich. Wie lange sich das rechnet? Bernhard Söllner schüttelt mit dem Kopf. Wenn der Küchenchef oder der Serviceleiter krank werden, müsste er eigentlich zumachen. Wie ihm gehe es auch noch anderen Gastro-Betrieben in Mühldorf. Eine Handvoll könnte die nächste Zeit nicht überleben, so Söllner.
„Die Corona-Politik hat uns letztlich das Genick gebrochen“, ist sich Wirtin Pamela Söllner sicher. Um selbst im Betrieb anzupacken, wenn Not am Mann ist, muss die zweifache Mutter immer mehr kreative Wege gehen - auch in der Kinderbetreuung. Denn auch dort ist Personal Mangelware.


