Erstes Planspiel im Landratsamt
Schüler bilden Kreistag – was wird aus ihren Beschlüssen?
Sollten Periodenprodukte und Mittagessen an Landkreisschulen kostenlos sein? Darüber diskutierten Schülerinnen und Schüler bei einer Kreistagssitzung im Landratsamt. Das könnte sich ändern.
Mühldorf – „Nicht alle jungen Mädchen haben uneingeschränkt Zugang zu Hygieneprodukten”, begründet Vanessa Rexhaj den Antrag ihrer Fraktion im Kreistag. Kostenfreie Periodenprodukte auf den Mädchentoiletten an den Landkreisschulen könnten das Schamgefühl senken. Es ist einer von zwei inhaltlichen Tagesordnungspunkten, die 30 Schülerinnen und Schüler in vier Fantasiefraktionen im Rahmen des Planspiels „Kreistag” im Sitzungssaal des Landratsamtes diskutieren.
„Auch wir von der Innovations Partei sind dafür”, sagt Fraktionssprecherin Anna Heilmaier. „Das ist ein Schritt in Richtung Gleichberechtigung.” Die Schülerin berichtet von den Erfahrungen am Gymnasium Gars: Dort hätten sie kostenfreie Menstruationsartikel durch das Engagement einer Schülerin bereits umgesetzt, der Drogeriemarkt dm sponsert die benötigten Produkte. Für eine gute Sache hält das auch Mateus Costa Simone, Fraktionssprecher der PWW: „Wir sind für den Antrag, weil Jungs diese Kosten nicht haben, deswegen finden wir es gerecht, wenn die Kosten auch für Mädchen gedeckt sind.”
Haushaltslage lässt wenig Spielraum für freiwillige Leistungen
Dass die insgesamt vier Fraktionen sich bei diesem Thema im Großen und Ganzen einig sind, hatte sich bereits zuvor bei der Fraktionssprechersitzung abgezeichnet. Sorgen bereiten Junglandrat Kevin Schnürer vor allem die Finanzen: Im Landkreis gebe es acht Schulen mit jeweils etwa fünf Mädchentoiletten, für die Anschaffung entsprechender Spender rechnet er mit Kosten von 5800 Euro. Hinzu kämen 11.200 Euro jährlich für den Betrieb. „Das ist angesichts unseres Haushalts schwierig, freiwillige Leistungen müssen wir auf Notwendiges reduzieren, wären aber bereit, einen Kompromiss einzugehen.”
Die Schülerinnen und Schüler setzen sich für das Anliegen ein, die Sitzung ist simuliert – ihre Argumente sind es nicht. Caroline Puffer von der Kommunalen Jugendpflege, die das Planspiel mitorganisiert hat, ist begeistert von der lebhaften Diskussion, wie die Jugendlichen sich in ihre Rolle hineinversetzen.
Kostenfreie Periodenprodukte erhalten eine Mehrheit
„Ich bin ein bisschen aufgeregt, wie ich unsere Argumente rüberbringen kann und wie die Reaktionen sein werden”, verrät Heilmaier vor ihrer Rede. Im Sitzungssaal zu sitzen und durchs Mikrofon zu sprechen, zu erleben, wie es im Landratsamt aussieht, findet sie interessant. Das sieht auch Victoria Krauß so. „Ich habe den Raum nie zuvor gesehen. In einer Fraktion Themen zu erarbeiten, ist eine neue Erfahrung.”
Fraktionssprecherin Rexhaj ist mit einem positiven Gefühl in die Kreistagssitzung gegangen. Die Berufsschülerin dankt den anderen Fraktionen für ihre Unterstützung. Dann kommt es zur ersten Abstimmung. Ein Beschlussvorschlag, nachdem die Schulen aufgefordert werden, sich eigenständig mit dem Thema Periodenprodukte zu befassen, wird einstimmig abgelehnt.
Der echte Landrat Max Heimerl steht seinem jungen Kollegen Schnürer zur Seite und unterstützt ihn, einen geänderten Beschlussvorschlag zu fassen. „Die Verwaltung wird beauftragt, mit den Schulen über eine Lösung zu verhandeln. Der Landkreis übernimmt die Kosten für die Installation, die Schulen tragen die Kosten für den Betrieb”, heißt es. Mit 21 Handzeichen ist der Kreistag einstimmig dafür.
Fraktion präzisiert Antrag während laufender Sitzung
Weniger einvernehmlich geht es beim Thema kostenfreies Mittagessen an den Landkreisschulen zu, ebenfalls ein Antrag der Fraktion vier. „2,6 Millionen Euro für Essen, das ist ein Batzen Geld und da kommen neue Schulden auf uns zu”, macht Matteo Ahrens die Haltung der PWW deutlich. Dem kann sich Junglandrat Schnürer nur anschließen „Das ist eine extrem große Summe in unserer wirtschaftlichen Lage.”
Malik Akgül von der antragstellenden Fraktion wirft ein: „Es geht nur um die offenen Ganztagesklassen. Wir möchten damit Familien unterstützen, die in großer Armut leben.” Das sorgt bei SUN-Fraktionssprecherin Viktoria Karl für Verwirrung: „Für wen genau sind die kostenlosen Essen nun gedacht?”, fragt sie selbstbewusst. Die Aufregung, die sie vor der Sitzung begleitete – „ich werde viel zu schnell reden” – hat sich längst gelegt.
„Jetzt wird es ein bisschen kompliziert”, mischt sich Heimerl in die Diskussion ein und weist auf die Regeln für eine Kreistagssitzung hin. Der neue Fokus soll also auf Ganztagesklassen gelegt werdenm, eine Anweichung vom ursprünglichen Vorhaben. Das empfindet Viktoria Karl als unbefriedigend. „Wir sollten die Abstimmung verschieben, da wegen der Änderung des Antrags Zahlen als Entscheidungsgrundlage fehlen”, sagt sie und stößt damit auf Ablehnung, die Diskussion geht weiter.
Heimerl hat lobende Worte für die Schülerinnen und Schüler
Letztlich wird die Einführung kostenfreier Schulessen abgelehnt. „Die Abstimmung war relativ eindeutig, der Kreistag hat sich klar dagegen positioniert”, schließt Junglandrat Schnürer die Sitzung.
„Ihr seid ganz große klasse!”, lobt sein erfahrener Kollege Heimerl. Die Sitzung sei fast wie sonst auch abgelaufen. „Ich bin extrem positiv überrascht, wie engagiert und toll die jungen Menschen mitgemacht haben, das ist ein absolut hoffnungsfrohes Zeichen für die Zukunft der Demokratie”, sagte er den OVB Heimatzeitungen. Er lobt auch das politische Talent seines jungen Vertreters. Der sagt: „Für uns Schüler ist es eine große Ehre, das so zu erleben, ich konnte heute viel mitnehmen.”
Periodenprodukte werden auch Thema im echten Kreistag
„Ich fand es schön, etwas Interaktives zu machen, zu sehen wie Demokratie aus dem direkten Blickwinkel aussieht und nicht nur Textbücher abzuklappern”, sagt Fraktionssprecher Mateus Costa Simone. Das könnte man ruhig öfter machen, ist Kollegin Heilmaier überzeugt. „So ein Planspiel stärkt das demokratische Verständnis und zeigt Politik ganz anders als im Fernsehen.” Die Materialien für die regionale Politik entwickelten die Organisatoren selbst, die Sitzung im Landratsamt war eine Premiere.
Dass die Themen der jungen Menschen wichtig sind, verdeutlichte Landrat Heimerl: „Euer erster Tagesordnungspunkt soll nicht nur ein theoretisches Angebot bleiben”, sagt er. Man wolle versuchen, kostenfreie Periodenprodukte wie von den Jugendlichen beschlossen ganz konkret anzubieten. Zuständig dafür: der echte Kreistag.
„Das Thema jetzt wirklich in den Kreistag zu bringen, ist ein großartiges Ergebnis”, freut sich Jugendpflegerin Puffer.







