Erste Hilfe für die Seele
Menschen in ihren schlimmsten Stunden beistehen: Was die Helfer vom KIT Mühldorf antreibt
Egal, ob bei einem nächtlichen Verkehrsunfall mit Toten und Verletzten, plötzlichen Todesfällen daheim - das KIT ist für die Betroffenen da. Und könnte doch selbst Unterstützung gebrauchen, denn das Team ist klein und die Zahl der Einsätze groß.
Mühldorf - „Zu den schwersten Momenten unserer Arbeit gehört es, zusammen mit der Polizei eine Todesnachricht zu überbringen“, sagt Gabi Dreier und Ivette Sklaschus nickt zustimmend. Wenn völlig ahnungslose Angehörige nach dem Klingeln die Haustür öffnen und ihr Blick erst auf die Polizeibeamten in Uniform und danach auf die Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams in ihrer Einsatz-Montur fällt. „In diesem Augenblick kann man mit ansehen, wie es eine gerade noch heile Welt zerschlägt.“
Egal, ob bei einem nächtlichen Verkehrsunfall mit Toten und Verletzten, plötzlichen Todesfällen daheim oder bei der Evakuierung von Anwohnern wegen des Funds einer Fliegerbombe - immer, wenn Menschen in Not fachkundige Betreuung und menschliche Unterstützung brauchen, ist das Team vom Kriseninterventionsteam (KIT) des BRK Mühldorf zur Stelle.
Das KIT wird von Polizei, Rettungsdienst oder Notarzt über die Rettungsleitstelle zu Unfall- oder anderen Einsatzstellen nachalarmiert, um Unfallbeteiligte, Ersthelfer und Einsatzkräfte zu betreuen. Die Mitarbeiter bleiben bei Hinterbliebenen, wenn Polizei oder Arzt schon gegangen sind.
Betroffene unterstützen
Die KIT-Mitarbeiter sind dafür geschult, andere in akuten Krisensituationen aufzufangen. Krisenintervention ist nach Schicksalsschlägen „Erste Hilfe“ für die Seele. „Wir bleiben, solange wir gebraucht werden“, erklärt Fachdienstleiterin Gabi Dreier. „Wir gehen auf die Bedürfnisse der Betroffenen ein, unterstützen so lange wie nötig und so kurz wie möglich und helfen ihnen wieder handlungsfähig zu werden.“
Vor über 20 Jahren, im Januar 2001, wurde das KIT im BRK Mühldorf ins Leben gerufen. Gabi Dreier ist seit fünfeinhalb Jahren dabei, ihre Stellvertreterin Ivette Sklaschus seit vier Jahren. Wer sich in der Krisenintervention engagiert, bleibt meist um die zehn Jahre dabei. Denn Menschen in einem Ausnahmezustand beizustehen, ist kein leichter Job, aber eine erfüllende Aufgabe - da sind sich die beiden Frauen einig. Dazu kommt der Bereitschaftsdienst, der einen jederzeit von Familie und Freunden wegreißen kann. „Notfälle richten sich nicht nach Uhrzeiten und Feiertagen“ - so waren beide an Heiligabend letzten Jahres nicht daheim, um aufs Christkind zu warten. Sie wurden jeweils zu Familien gerufen, in denen ein Mitglied unerwartet verstarb. Dreier konnte die Bescherung mit ihrer Familie danach noch in Einsatzkleidung feiern. Sklaschus hat sie sogar komplett verpasst.
Acht KITler für den ganzen Landkreis
Gerade mal acht Ehrenamtliche sind im KIT Mühldorf aktuell aktiv. Fünf ausgelernte Kräfte, ein Notfallseelsorger und zwei Hospitanten. Ausgelernt heißt, dass man 175 Unterrichtseinheiten à 45 Minuten erfolgreich absolviert hat und sich „Facheinsatzkraft Psychosoziale Notfallversorgung“ nennen darf. Zusammen mit einer sanitätsdienstlichen Grundausbildung ist man auf jede Situation vorbereitet.
Im Einsatz wird spezielle Kleidung getragen. Die reflektierende Rot-Kreuz-Jacke, eine Hose mit Leuchtstreifen und Sicherheitsschuhe. Im Einsatzfahrzeug liegen Helm und Handschuhe bereit. „Wir werden an die verschiedensten Orte geholt“, erläutert Gabi Dreier. Zu Verkehrs- oder Arbeitsunfällen, zu Bränden oder Vermisstensuchen.
Für andere ein Fels in der Brandung sein
Damit die Mitarbeiter mit den Bildern und Eindrücken besonders belastender Einsätze nicht alleine und weiterhin handlungsfähig bleiben, gibt es auch für sie eine „Rettungskette“. So meldet sich eine der beiden Leiterinnen nach Einsätzen telefonisch bei den Kollegen, die draußen waren. „Wenn größerer Redebedarf besteht, treffen wir uns am Tag danach oder der BRK-Kreisverband bietet eine Nachsorge an“, so Dreier. „Es hilft, mit Kollegen zu sprechen, die schon Ähnliches erlebt haben.“ Einmal im Jahr findet für alle eine Supervision mit Psychologen statt.
Mitfühlen ja, mitleiden nein
Den beiden erfahrenen KIT-Kräften hilft beim Abschalten nach Einsätzen ihre Dienstkleidung: „Wenn wir sie ausziehen, sind wir wieder zurück in unserem Privatleben.“ Auch wenn besondere Einsätze länger nachhallen: „In der Ausbildung wird uns Eigenfürsorge beigebracht. Denn es sind nicht unsere persönlichen Katastrophen.“ Mitfühlen ja, mitleiden nein.
Das KIT-Jahr 2022 in Zahlen
Bei insgesamt 107 Einsätzen im Jahr 2022 waren 797 Einsatzstunden zu bewältigen, 853 Betroffene wurden von den Einsatzkräften betreut. Hinzu kamen noch 533 Stunden, die vom KIT-Team für die notwendigen Aus- und Weiterbildungen aufgebracht wurden. Insgesamt befanden sich die acht Ehrenamtlichen 8977 Stunden in fest eingeteilter Bereitschaft.
Wer sich im KIT engagieren will, muss mindestens 30 Jahre alt sein, empathisch, sozial kompetent und teamfähig, psychisch und physisch belastbar sowie zu Nacht-, Wochenend- und Feiertagsdiensten bereit. Er sollte keine privaten Belastungen mit sich herumschleppen und ein intaktes, geordnetes Umfeld haben. Nach einem Grundlehrgang fahren Neulinge mit einem erfahrenen KITler an der Seite zu ersten, weniger belastenden Einsätzen.
Weitere Informationen gibt es auf www.kvmuehldorf.brk.de oder unter Telefon 08631/36550.
