Gutachten beschäftigt auch Kirchenvertreter in Aschau am Inn
„Generalverdacht gegen jeden Pfarrer“: So gehen engagierte Christen mit Missbrauchs-Skandal um
Die Kirche steht nach dem Münchner Missbrauchsgutachten erneut stark in der Kritik. Die Arbeit in den Pfarreien wird damit nicht unbedingt leichter. Doch wie gehen vor Ort die Christen mit dem Gutachten um? Wie sehr beeinflusst es deren Arbeit? Ein Gespräch mit engagierten Christen in Aschau am Inn.
Aschau – Das Missbrauchsgutachten der Erzdiözese München und die damit verbundenen Vorwürfe gegen Papst Benedikt XVI. hat hohe Wellen geschlagen. Die Kritik an der Kirche und dem Umgang mit den Missbrauchsfällen ist groß. Doch wie gehen diejenigen damit um, die sich in der Kirche engagieren? Aschaus Pfarrer Bernhard Stiegler, Pfarrgemeinderatsmitglied Maria Bibinger und Kirchenpfleger Hubert Anzenberger erzählen.
Pfarrer stehen unter Generalverdacht
Pfarrer Bernhard Stiegler wählt den Weg nach vorne. Klar äußert er sich zum Missbrauchsgutachten, teilt seine Gedanken in den sozialen Medien und in der Predigt. Was ihn ärgert: „Die Kirche wird nun auf die Missbrauchsfälle reduziert. Man vergisst, was die Kirche alles leistet.“ Dazu gehöre neben der Liturgie und Seelsorge auch das Engagement im karitativen Bereich. Stattdessen müsse man sich nun rechtfertigen, weshalb man sich noch in der Kirche engagiere.
Mit seiner Meinung bleibt Stiegler nicht allein. „Es wird von den Leuten generalisiert, und damit besteht erst einmal gegen jeden Pfarrer ein Generalverdacht“, sagt Kirchenpfleger Hubert Anzenberger. Die Missbrauchsfälle würden jetzt auf die Basis zurückfallen. „Die Basis muss das ausbaden“, sagt Maria Bibinger. Die Generalisierung kommt für Stiegler einer Bankrotterklärung gleich: „Wenn der christliche Grundwasserspiegel sinkt, was passiert dann? Wenn die Werte und das Vertrauen fehlen, ist es um die Gesellschaft schlecht bestellt.“ Die Demokratie würde man ja auch nicht generell in Frage stellen, wenn man „die Politiker“ kritisiere.
Die Kirche wird „von unten getragen“, die wolle man sich nicht von den Tätern mies machen lassen. „Die Kirche ist eine Glaubensgemeinschaft, keine Tätergemeinschaft“, sagt Stiegler. Wer mit dem Gedanken spiele, aus der Kirche auszutreten, würde die Kirche auf die Missbrauchsfälle reduzieren, meint Anzenberger. Die Kirche als Gemeinschaft werde außer Acht gelassen. „Der Austritt aus der Solidargemeinschaft wird belohnt, weil man sich Steuern spart. Das ist ein Fiasko“, sagt Stiegler.
Für die drei sind die Taten die seelischen Verletzungen durch nichts zu entschuldigen. Dass die Kirche selbst auf einem hohen moralischen Podest steht, „tut weh“. „Das fällt besonders ins Gewicht“, sagt Anzinger. Dabei zeige für Stiegler das Gutachten der Erzdiözese, dass man „aufräumen will“. Doch der gute Ton werde nicht wahrgenommen, stattdessen komme das Gutachten einer Anklage gleich.
Im Zentrum des Gutachtens steht auch die Aussage von Papst Benedikt XVI., der in Aschau zur Schule gegangen und Ehrenbürger der Gemeinde ist. „Es fehlt das Schuldbekenntnis. Wenn er sich von Anfang an entschuldigt hätte, wäre das ehrlich gewesen. So sieht es nach Täterschutz aus“, kritisiert Stiegler. Mittlerweile hat sich der Papst entschuldigt. Aber dabei werde vergessen, dass der Papst, in dessen Zeit die ersten Missbrauchsfälle bekannt wurden, sich dafür eingesetzt hatte, Fälle zu ahnden. „Er hatte es zur Chefsache gemacht und sich mit Opfern getroffen“, meint Stiegler. Es bestehe der Eindruck, dass sich der Papst in „blindem Vertrauen“ auf seine Mitarbeiter verlassen habe. Der Kompetenz der Verantwortung sei er nicht gerecht geworden.
Wunsch nach einem Aufbruch
Die Kritik an der Kirche macht die Arbeit und das Engagement im Moment nicht leicht. Der Ärger sei groß, doch durch die Corona-Beschränkungen sei ein wirklicher Austausch im Moment nur schwer möglich. „Ich war erschüttert wegen des Gutachtens“, sagt Bibinger. Zugleich auch deshalb, weil der Frust darüber vor Ort abgeladen wird. „Doch bei vielen ändert das nichts an ihrem Glauben.“ Und so gibt es in Aschau auch genügend Leute, die sich in den nächsten Jahren im Pfarrgemeinderat engagieren wollen.
Der Wunsch nach einem Aufbruch der Kirche in eine neue Phase ist da. Aber ganz so einfach ist es für Anzenberger nicht. „Die Kirche geht von Rom aus und ist weltumspannend.“ Doch bevor es einen Schritt weiter geht, muss erst einmal alles aufgearbeitet werden. „Das ist ein Lernprozess für die Beteiligten, aber erst dann kann mit etwas Neuem begonnen werden. Ansonsten steht es auf einem wackligen Fundament und hat keine Zukunft“, sagt Bibinger.
„Nein“ zur Umbenennung der Schule
Seit 2009 trägt die Aschauer Grundschule den Namen von Papst Benedikt XVI., der hier als Kind zur Schule ging. Initiator für die Namensgebung war der damalige Rektor Walter Reichmann. Für seine Idee gab es damals Kritik aus dem Kollegium, der damalige Bürgermeister Josef Huber fand die Idee gut. Einer Namensänderung der Schule steht er skeptisch gegenüber: „Als geschichtlich denkender Mensch stand für mich die historische Persönlichkeit im Vordergrund, der in Aschau die Volksschule besucht hat und dessen Schülerakte in unserem Schularchiv lagerte, jetzt im Archiv der Gemeinde“, schreibt er den OVB-Heimatzeitungen. Er hält Papst Benedikt XVI. für einen „gutmütigen Mann“. Sollte man eine Namensänderung in Betracht ziehen, müssten beispielsweise auch in Mühldorf einige Straßennamen ehemaliger Fürstbischöfe wegen Kriegsverbrechen und Hexenverbrennungen umbenannt werden.