Volkes Stimme vor Gericht: Neue Schöffen werden gesucht
Von Drogen-Delikten bis zu schrecklichen Unfällen: Womit man als Schöffin vor Gericht zu tun hat
In den nächsten Wochen suchen Städte und Gemeinden Schöffen. Die Frauen und Männer sollen für fünf Jahre über Straftäter zu Gericht sitzen. Eine Schöffin erzählt, eine andere traut sich nicht.
Mühldorf - Sie sitzen zu Dritt hinter dem Richtertisch, nur einer trägt eine schwarze Robe. Die beiden anderen kommen in ihrer normalen Kleidung. Auf dem Aushang steht „Schöffengericht“, angeklagt ist ein junger Mann, er soll mit Drogen gehandelt haben. Am Ende der Verhandlung gehen die Schöffen zusammen mit dem Herrn in der Robe ins Richterzimmer. Dort fällen sie das Urteil, im Namen des Volkes, deren Vertreter die Schöffen sind.
So sagt es Susanne Meinhardt, die seit fünf Jahren über die Taten von Menschen urteilt: „Das Schöffenamt soll Volkes Stimme einbringen.“ Die 59-Jährige ist keine Juristin und hat auch keine juristische Vorbildung. Gesundheitspsychologin ist ihr Job, dazu ist sie Mutter von fünf schon erwachsenen Kindern. Und eben Schöffin.
Den Kopf abgerissen
Wenn Susanne Meinhardt von ihrer Arbeit im Gerichtssaal erzählt, steht der Angeklagte im Mittelpunkt: „Hinter jedem Fall steckt ein Mensch“, sagt sie. Meinhardt bringt ihre Erfahrung als Mutter ins Spiel, ihr Gefühl für das, was Menschen, jungen vor allem, passieren kann. „Mit fünf Kindern weiß man, wie schnell es gehen kann, dass man irgendwo falsch abbiegt.“
Sie erzählt von dem grausamen Tod eines Rollerfahrers, der mit einem Spezl unterwegs war und irgendwo gegen ein Burgtor prallte. Dem Sozius wurde dabei der Kopf abgerissen. Wenn nichts passiert wäre, wäre es eine lustige Spritztour gewesen, sagt Meinhardt, nach dem Unfall ein unvorstellbarer Wendepunkt für den jungen Fahrer. „Da ist das Leben vorbei, wie will man so jemanden bestrafen?“
Uneinsichtige Gangmitglieder
Meinhardt kennt aber auch Menschen, die gar nichts einsehen. „Die sind dann immer nur schräg reingerutscht, immer sind andere schuld.“ Die unter Bewährung neue Straftaten begingen, Gangmitglieder sind. „Wir wollen die nicht wiedersehen“, sagt die Schöffin, obwohl sie weiß, dass das in manchen Fällen ein Wunsch bleiben wird.
Die drei Urteilenden, zwei Schöffen und ein hauptberuflicher Richter, entscheiden gemeinsam über Schuld und Strafmaß. Die Verhandlungen führt der Richter allein. „Wir sitzen aber nicht da, um den Stuhl warmzuhalten“, sagt Meinhardt. Und so manches Urteil fällt anders aus, als der Richter zu Beginn der Besprechung am Ende der Verhandlung meint. Theoretisch könnten die beiden Schöffen den Richter überstimmen, bei Florian Greifenstein, mit dem Meinhardt meist zusammenarbeitet, gehe es aber anders: „Wir reden es aus und stimmen nicht ab.“
Richter Greifenstein sagt: „So ist es.“ Er mache einen Vorschlag, der natürlich durch die Plädoyers von Staats- und Rechtsanwalt vorgezeichnet sei. ,„In der Beratung kristallisiert sich dann das Urteil heraus.“ Dabei, sagt der Richter, gehe es in der Zusammenarbeit mit den Schöffen weniger um die rechtliche Beurteilung. „Schöffen helfen, wenn es darum geht, den Sachverhalt zu erarbeiten: Was war eigentlich?“
Der Blick des Nichtjuristen
Dabei sei der „unverstellte Blick des normalen Bürgers“ sehr nützlich. Der Blick des Nichtjuristen, der Greifenstein zu dem Satz bringt: „Da sehen die Schöffen oft mehr als wir Richter.“ Mit zwölf Schöffen arbeitet er in Erwachsenen-Strafsachen zusammen, sein Kollege Dr. Christoph Warga mit acht Jugendschöffen. Warga spricht von einer „immens wichtigen Aufgabe“, die die Schöffen wahrnehmen und von einer „großen Freude“ in der Zusammenarbeit. „Sie haben eine andere Sichtweise, eröffnen oft einen anderen Blickwinkel auf die Fälle“, sagt der Berufsrichter über seine Laienkollegen.
Schöffe zu werden ist einfach. Wer nicht gegen die rechtlichen Grundlagen verstößt, hat sehr gute Chancen, ernannt werden. Denn trotz der kleinen Zahl, ist die Suche für die Gemeinden und Landkreise nicht einfach. Kritiker sagen, jeder, der sich nicht wehrt, kann Schöffe werden.
Die Bewerbung ist denkbar einfach
Für diese Einschätzung spricht das Verfahren. Wer Schöffe werden will, muss ein Formular ausfüllen, das wenig Ansprüche stellt. Die Personalien sind gefragt, genauso ein Kreuzchen bei der Frage nach Vorstrafen binnen der letzten zehn Jahre und laufenden Ermittlungen, weitere Kreuzchen bei den Fragen nach ausreichenden Deutschkenntnissen, der Mitgliedschaft in der Stasi oder einem Offenbarungseid. Es bleiben drei Zeilen Platz für eine Begründung des Engagements, fertig ist die Bewerbung.
Das Landratsamt will sich inhaltlich nicht zur Auswahl der Schöffen äußern, obwohl es direkt damit befasst ist. „Über die Eignung als Schöffe entscheidet ein Ausschuss, der nur für die Schöffenwahl zusammentritt“, erläutert Sprecher Wolfgang Haserer. „Dieser besteht aus einem Richter des Amtsgerichts, dem Landrat des Landkreises sowie sieben Vertrauenspersonen.“ Er tritt am 24. Juli zusammen..
Radikale auf dem Schöffenstuhl in Mühldorf keine Problem
Stephen Kroner ist Sprecher des Amtsgerichts in Mühldorf. Er sagt über das Bewerbungsverfahren: „Man prüft nicht auf Herz und Nieren durch.“ Trotzdem gibt es aus seiner Sicht nach der Berufung eine Kontrolle: „Wenn den Richtern etwas Radikales auffällt, müssen sie es natürlich melden.“ Die Mitglieder bestimmter Gruppen, Kroner nennt Reichsbürger, seien dem Gericht ohnehin bekannt.
Richter Greifenstein hat damit am Amtsgericht Mühldorf keine negativen Erfahrungen gemacht. „Radikale Ansichten sind bei uns kein Problem.“ Kroner glaubt: das Alter. Jüngere Schöffen zwischen 30 und 40 gebe es kaum. Wer sich als Schöffe betätige, sei meist älter.
Eine Schöffin will nicht über ihre Arbeit sprechen
Es sind nicht viele Schöffen, die öffentlich über ihre Arbeit sprechen wollen. Sogar auf der offiziellen Seite „Schöffenwahl 2023“ sind Schöffen nur mit abgekürztem Namen aufgeführt. Für den Mühldorfer Anzeiger hatte sich eine weitere Schöffin zum Gespräch bereit erklärt, zog dann aber zurück. „Man ist ja bekannt und wer weiß, wer dann vor meiner Tür steht“, sagte sie zur Begründung.
Ärger mit Angeklagten, fürchtet Schöffin Meinhardt nicht. „Die sollen mal kommen, die beeindrucken mich nicht“, sagt sie. Negative Erlebnisse hat sie in ihrer ersten Amtszeit nicht gemacht.