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Fünf Jahre Pandemie im Landkreis Mühldorf

Morddrohungen und Vertrauen in den Staat: Das hat Corona verändert

Ärztin Dr. Cornelia Erat und Landrat Max Heimerl in der  Katastrophenschutzentrale im Landratsamt. Dort wurde wichtige Entscheidungen während der Coronapandemie getroffen.
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Ärztin Dr. Cornelia Erat und Landrat Max Heimerl in der Katastrophenschutzentrale im Landratsamt. Dort wurde wichtige Entscheidungen während der Coronapandemie getroffen.

Der Landkreis Mühldorf war vor fünf Jahren oft ganz oben dabei, wenn es um die höchsten Coronawerte ging. So blicken Landrat und Medizinerin heute auf die Zeit zurück, diese Lehren haben sie gezogen.

Sie hatten als einer der ersten im Landkreis Corona. Wie geht es Ihnen heute?

Max Heimerl: Sehr gut, alles in Ordnung. Ich habe keinerlei Spätfolgen.

Sind Sie vorsichtiger geworden?

Heimerl: Nein, überhaupt nicht. Ehrlicherweise würde eine bewusste Reduzierung der Kontakte in meinem täglichen Leben und in meiner Arbeit auch gar nicht funktionieren. Ich bin ständig unter Menschen. Ich mache mir dazu aber auch überhaupt keine Gedanken mehr.

Hat sich der Landkreis auch so gut von Corona erholt?

Heimerl: Natürlich waren viele Maßnahmen individuell prägend. Sie haben zur Isolation von Menschen geführt. Und viele sind im Krankenhaus gestorben, ohne dass man sich von ihnen verabschieden konnte. Auf der anderen Seite haben wir trotzdem in der Pandemie eine extreme Hilfsbereitschaft erlebt. Für Menschen, die sich in Quarantäne befanden, haben sich zum Beispiel Nachbarschaftshilfen organisiert und Essen vorbeigebracht. Das war eine sehr positive Entwicklung und hat gezeigt, dass die Menschen in Krisenzeiten zusammenhalten. Dass dieser Zusammenhalt nach wie vor da ist, hat man an der Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine gesehen. Da haben viele Menschen ihre Türen sofort wieder geöffnet. Ich beobachte also nicht, dass die Pandemie negative Auswirkungen auf Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft gehabt hätte.

Es gab sofort erste Coronademos

Trotzdem gab es aber schon im März 2020 die erste Demonstration gegen die Maßnahmen, es folgten sogenannte Corona-Spaziergänge.

Heimerl: Damals hat sich eine Bewegung begründet, die ich im Landkreis so heute nicht mehr wahrnehme. Wir haben inzwischen ganz andere Themen, über die höchst kontrovers diskutiert wird. Aber das ist jetzt nicht mehr auf Corona zurückzuführen.

Die Kritik richtete sich gegen Maßnahmen des Staates.

Heimerl: Grundsätzlich hat der Staat die Funktion, den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Dem ist er insgesamt gesehen gut gerecht geworden ist. Man muss natürlich bedenken, dass Corona etwas komplett Neues war. Wir mussten uns tagtäglich auf neue Situationen einstellen.

Bestmöglichen Schutz gewähren: Ärztin Dr. Cornelia Erat und Landrat Max Heimerl.

Waren manche Maßnahmen überzogen?

Heimerl: Dass man sich nicht mehr auf eine Parkbank setzen darf oder dass man die Schulen so lange geschlossen hält, das würde man wahrscheinlich heute anders machen. Aber aus der Situation heraus, stand damals der Schutz der Bevölkerung im Vordergrund.

Es ging um Leben und Tod

Wie sind Sie persönlich damit umgegangen?

Heimerl: Es ging auf einmal um Leben und Tod. Für mich war das belastend. Mir ist es nahegegangen, wie viele Menschen aus dem Landkreis gestorben sind. Dann überlegt man sich Tag für Tag, was können, was müssen wir machen, damit möglichst wenige Bürgerinnen und Bürger dieser furchtbaren Pandemie zum Opfer fallen.

Sie halten die teils strengen Kontaktbeschränkungen für richtig?

Heimerl: Der Schutz der Menschen hat oberste Priorität. Was immer wir als öffentliche Hand machen, ist ein Abwägen zwischen der Freiheit der Menschen und ihrer Sicherheit. Und das geschah damals in einer Situation, in der man eben absolutes Neuland betrat und nicht genau wusste, wie sich Entscheidungen auswirken würden.

Gilt das auch für die Maßnahmen, die der Landkreis verhängt hat, wie die Maskenpflicht, die zeitweilig in Innenstädten galt?

Heimerl: Was wir vor Ort entscheiden konnten, war absolut überschaubar. Wenn, dann handelte es sich um konkrete Ausführungen von allgemeinen Vorgaben. Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Und trotzdem weiß heute niemand, ob diese oder jene Maßnahme damals etwas gebracht oder verhindert hat. Stellen Sie sich vor, wir wären sehr Laissez-faire mit dem Thema umgegangen und hätten vielleicht Situationen mit deutlich mehr Todesfällen bekommen wie in Bergamo? Wir hätten den Menschen sagen müssen, dass es in den völlig überbelegten Krankenhäusern keinen Platz mehr gibt und sie alleine zurechtkommen müssen. Viele wären zu Hause gestorben. Und viele hätten das Vertrauen in den Staat verloren.

Wie hat Sie die Kritik erreicht?

Heimerl: Ich habe viele Gespräche geführt und unzählige E-Mails und Briefe erhalten: freundliche, besorgte, einige aber auch absolut unter der Gürtellinie, bis hin zu Morddrohungen.

War das Gesundheitsamt vorbereitet?

Dr. Cornelia Erat: Wir waren natürlich in einem gewissen Maße vorbereitet. Es gab zum Beispiel Pläne für Ebola und für Pocken. Aber kein Mensch konnte mit einer Pandemie in diesem Ausmaß rechnen. Darauf konnte man nicht vorbereitet sein.

Wie sah die personelle Situation aus?

Erat: Die Personaldecke war anfangs sehr dünn. Es war undenkbar, auf dieser Basis die Kontaktnachverfolgung von so vielen Personen zu bewältigen. Wir haben aber von Anfang an aus den anderen Fachbereichen des Landratsamts gigantische Unterstützung bekommen. Darüber hinaus haben uns diverse Behörden ebenfalls Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung gestellt.

Wie viele Leute waren mit der Kontaktverfolgung beschäftigt?

Erat: In Spitzenzeiten hatte das Kontaktverfolgungsteam an die 100 Mitarbeiter, aktuell sind es im ganzen Gesundheitsamt nur 35, die meisten in Teilzeit.

Hätte man die Ausbreitung einschränken können, wenn von Anfang an mehr Mitarbeiter da gewesen wären?

Erat: Corona war so leicht übertragbar und hat sich in dieser globalisierten Welt so schnell verbreitet, dass man nur das Schlimmste verhindern konnte.

Hätte man auf die Kontaktverfolgung verzichten können?

Erat: Ich glaube, dass wir noch erheblich mehr Fälle gehabt hätten. Vor allem ging es ja darum, vulnerable Gruppen zu schützen.

Es gab viel Kritik an der Ausstattung der Gesundheitsämter: “Mit dem Faxgerät gegen die Pandemie”. Was hat sich verändert?

Heimerl: Dieses Narrativ stimmt nicht. Ein Beispiel: Unsere IT hat den Sitzungssaal innerhalb von wenigen Stunden mit 30 Computerarbeitsplätzen ausgestattet. Wir waren im Rahmen der Möglichkeiten digital sehr gut aufgestellt. Diese Mär mit den Faxgeräten kommt daher, dass viele unserer Kommunikationspartner – also die Labore oder die Ärzte – eben nicht gut ausgestattet waren. Deswegen mussten auch wir teilweise wieder umstellen und mit Fax kommunizieren.

Gab es gar keine technischen Mängel?

Erat: Wir waren anfangs natürlich nicht optimal aufgestellt. Dabei ging es vor allem um fehlende Schnittstellen, um einheitliche Softwarelösungen und solche Dinge. Was wirklich gefehlt hat, waren sichere Kommunikationskanäle.

Ist das jetzt gelöst?

Erat: Es wird besser, wir sind auf dem Weg. Wir haben eine ganze Reihe eigener Lösungen gefunden, ebenso wie das Gesundheitsministerium im Rahmen des Digitalpaktes.

Werden darin die anderen Partner im Gesundheitswesen eingebunden?

Erat: Ja. Auch während der Pandemie gab es schon über das RKI eine Meldesoftware, an die nach und nach die Labore angeschlossen wurden. Ein großes Problem war, dass unsere Software für meldepflichtige Erkrankungen nicht darauf ausgerichtet war, dass so viele Menschen gleichzeitig damit arbeiten oder dass man damit Kontaktpersonen dokumentiert, kontaktiert und auch noch Meldungen generiert. Wir hatten hier im Haus sehr schnell eine eigene Datenbank, sodass wir digital gut arbeiten konnten. Aber die digitale Meldung ins Nachbargesundheitsamt war dann eben nicht immer möglich.

Die Kontaktnachverfolgung war ja nur eine Aufgabe des Gesundheitsamts.

Erat: Ein Großteil unserer Mitarbeiter hat sich auch noch um Teststellen gekümmert, um das Impfzentrum, um Schutzmaterial, hat die Seniorenheime beraten. Das ist ein bisschen untergegangen in der ganzen Geschichte. Auch das erste Testzentrum hier vor dem Landratsamt haben wir betreut. Dann haben wir das Testzentrum und das Impfzentrum am Volksfestplatz mit aufgebaut.

Wenn eine neue Pandemie kommt, ist das Gesundheitsamt besser vorbereitet?

Erat: Wir stehen durch die Erfahrungen sicher besser da. Aber ehrlicherweise muss man sagen, es gibt viele Kandidaten an Viren für eine neue Pandemie. Wenn ein neues Virus wie bei Corona als Tröpfchenübertragung von Mensch zu Mensch weitergegeben wird, kann man gut von den Erfahrungen profitieren. Aber was ist, wenn es sich zum Beispiel um Dengue-Fieber handelt? Dann beschäftigen uns plötzlich ganz andere Themen. Dann geht es um stehende Gewässer, um Pfützen oder Regentonnen. Und wir brauchen in den Kliniken vielleicht Dialysegeräte statt Beatmungsgeräte. Kein Mensch weiß, was kommt.

Das heißt, man kann sich gar nicht vorbereiten?

Erat: Die Frage ist, was und wie viel der Staat als reine Vorsorgemaßnahme vorhalten kann und will. Das betrifft grundsätzlich ja alle Bereiche wie Polizei, Rettungsdienst oder Klinik. Vorräte und Kapazitäten kosten Geld und müssen ständig erneuert werden. Natürlich wären wir gerne so gut wie möglich aufgestellt.

Gibt es personelle Konsequenzen im Gesundheitsamt?

Erat: Wir haben natürlich den größten Teil der Stellen aus der Pandemie wieder abgebaut, sind aber trotzdem personell jetzt etwas besser aufgestellt.

Heimerl: Wir haben uns auch organisatorisch besser aufgestellt. Das Gesundheitsamt hat zum Beispiel eine zentrale Rolle im Katastrophenschutz bekommen. Rettungsdienst, THW und alle weiteren Blaulichtorganisationen sind noch stärker eingebunden. Die strukturelle Grundlage, um Krisen bewältigen zu können, ist inzwischen wirklich gut.

Nach fünf Jahren ist das Thema Pandemie fast verschwunden? Ein Fehler?

Heimerl: Bei uns im Landratsamt ist es dahingehend präsent, dass wir uns grundsätzlich auf Krisensituationen vorbereiten, dass wir trainieren und uns ständig weiterentwickeln.

Und bei den Menschen im Landkreis?

Heimerl: Ich denke, wie jemand persönlich mit dem Thema umgeht, entscheidet jeder ganz individuell für sich. Es gibt Menschen, die agieren bis heute eher vorsichtig, andere Menschen sehen das Thema wieder lockerer. Es ist die Freiheit des Einzelnen, die wieder im Vordergrund steht. Von daher bin ich überzeugt, dass man den Menschen jetzt keine Ratschläge oder gar Vorgaben machen sollte, wie sie sich zu verhalten haben.

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