Töginger Netzwerk diskutiert Strompreisentwicklung
DGB Bayern will Strommarkt teilweise und Dyneon notfalls komplett verstaatlichen
Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl war in der vergangenen Woche zu Gast im Chemiedreieck. Am Donnerstag (15. Juni) saß er im Töginger „Netzwerk“ zur Gesprächsrunde mit dem oberbayerischen DGB-Geschäftsführer Günter Zellner, dem Dyneon-Betriebsratsvorsitzenden Peter Engel und IG BCE-Bezirksleiter Markus Hautmann zusammen.
Töging – Im Töginger „Netzwerk“ erklärte Bayerns Gewerkschaftsführer den freien Strommarkt in Deutschland für gescheitert und forderte schnelle und tiefgreifende staatliche Eingriffe, um eine Abwanderung der Industriearbeitsplätze ins Ausland zu verhindern. Doch auch die rund 650 Dyneon-Beschäftigten und ihr Betriebsratsvorsitzender Peter Engel bekamen Rückenwind vom DGB Bayern: „Wenn 3M wirklich nicht verkauft, werden wir die Standortschließung so teuer wie möglich gestalten!“, drohte Bernhard Stiedl mit Blick auf das angekündigte Ende der Fluorpolymerproduktion in Gendorf 2025.
Seit einem halben Jahr ist bekannt, dass der US-Konzern die Produktion in Burgkirchen dauerhaft stilllegen will. Konzernseitig wurde zur Begründung das auf Ebene der EU derzeit diskutierte Verbot der für die Produktion benötigten PFAS-Stoffe genannt. Doch die Gewerkschaftsvertreter sind sich einig, dass es sich auch um eine wirtschaftspolitische Entscheidung handelt: „Die US-Regierung stuft Fluorpolymere inzwischen als systemrelevant ein“, erklärte Markus Hautmann von der IG BCE.
Durch die Auflösung des einzigen Produktionsstandorts in Europa drohe daher eine Abhängigkeit von Asien und Amerika hinsichtlich dieser für viele Bereiche wichtigen Schlüsseltechnologie. Man habe daher inzwischen den Bundeskanzler eingeschaltet, erklärte Bernhard Stiedl, um einen Verkauf der Anlagen zu erzwingen. Denn Kaufinteressenten gibt es offenbar trotz der unklaren Zukunft von PFAS in der EU: „Wir sind die weltweit fortschrittlichste Produktionsstätte“, betonte Peter Engel. Ab dem kommenden Jahr soll die Produktion sogar „100 % emissionsfrei“ sein, wie der Betriebsratsvorsitzende erklärt: wenn die neue Wasseraufbereitung in Betrieb geht.
Strommarkt durch Mittel aus Übergewinnsteuer regulieren und subventionieren?
Hauptthema des DGB in Töging war aber zweifellos der Strompreis, der besonders seit dem Ukrainekrieg explodiert ist. Laut DGB Bayern belaufen sich die Kosten für die Industrie derzeit auf etwa 20 Cent je Kilowattstunde. „Da sind wir am obersten Ende in Europa!“, erklärte Bernhard Stiedl. Wegen der Unterschiede beim Ausbau der erneuerbaren Energien drohe Deutschland obendrein eine Aufteilung in Strompreiszonen. Dass Bayern hier besonders schlecht abschneiden würde, dafür macht Bernhard Stiedl die Staatsregierung verantwortlich, die „aus ideologischen Gründen“ den Netzausbau und den Ausbau der Windkraft nicht genügend vorantreibt: „Debatten führen nicht zu günstigem Strom!“, so Bernhard Stiedl, dem es alternativ an Speichertechnologien im „Sonnenland Bayern“ fehlt.
Um bis 2040 klimaneutral zu werden, müssten in Bayern ab sofort wöchentlich zwei Windanlagen entstehen. „Wir wissen alle, dass das nicht passieren wird!“, ist der Gewerkschaftsführer überzeugt. Zusätzlich zum subventionierten Ausbau erneuerbarer Energien über beschleunigte Genehmigungsverfahren, müsse der Staat daher auch die Erneuerung der Netzinfrastruktur anschieben. Die Stromtrassen über Grafenwöhr und Landshut sowie Wasserstoffpipelines müssten nun staatlich beschleunigt werden. Die Mittel hierfür sollen von den Energiekonzernen kommen: „Das Auslaufen der Übergewinnsteuer für Energieerzeuger zum Ende Juni muss verhindert werden!“, so Bernhard Stiedl. Schließlich habe man gesehen, wie viel Profit die Energiekonzerne trotz Energiekrise gemacht hätten.
Staatliche Eingriffe sollen Strompreissenkungen für alle bringen
Der DGB stellt fest, dass Strom in Deutschland nicht nur für die Industrie zu teuer ist, sondern auch für den Mittelstand, das Handwerk und die Privathaushalte. Deswegen zeigte Bernhard Stiedl auch wenig Verständnis für aktuelle Planungen des Bundeswirtschaftsministeriums an einer „gestaffelten Strompreisdeckelung“ für Großverbraucher. Der DGB befürchtet in diesem Zusammenhang vielmehr ungerechte Einzelsubventionierungen: „Wir brauchen einen flächendeckend gedeckelten Industriestrompreis von vier bis fünf Cent pro Kilowattstunde“, fordert Bernhard Stiedl, „da die Arbeitsplätze sonst bald ins Ausland abwandern!“. Denn daran, dass es beispielsweise wegen der Strompreiszonen Standortverlagerungen innerhalb Deutschlands geben könnte, wie in der politischen Debatte schon zu hören war, daran glaubt bei den Gewerkschaften in ganz Deutschland niemand ernsthaft. Vielmehr dürfe beispielsweise der für alle gleichermaßen geltende Gaspreisdeckel nicht im Mai 2024 enden.
Markus Hautmann: „Versorgungsunsicherheit für die Industrie beschissen!“
IG BCE-Bezirksleiter Markus Hautmann sieht eine „Lücke von etwa zwei Jahren“, in der die Versorgung mit Strom nicht sichergestellt ist. Schon jetzt könnten viele Betriebe mehr produzieren, wenn mehr Energie zur Verfügung stünde. Wann diese Lücke auftreten wird, darüber wurde Markus Hautmann nicht konkret. Sicher zeigte er sich aber darüber, dass die Energiewende ohne die chemische Industrie überhaupt nicht zu bewältigen ist. Hinsichtlich des Netzausbaus sollten aber nicht nur große Stromtrassen geschaffen werden, sondern auch „intelligente Netze“, die eine bessere Verteilung des Stroms, beispielsweise von privaten PV-Anlagen auf Hausdächern ermögliche.
Generell sieht der DGB auch hier die Gesetzgeber in der Pflicht: so müssten derzeit PV-Anlagen ab 30 Kilowatt komplett ins Netz einspeisen, anstatt zunächst den eigenen Bedarf zu decken. „Sowas würden wir abschaffen“, sagt Bernhard Stiedl. Denn dass PV-Besitzer den Strom billig einspeisen und ihren Bedarf dann teuer decken sollen, sei zweifellos wenig attraktiv.
pbj