Wenn alte Klassenzimmer zu einer Wohnung werden
„Liebe auf den ersten Blick“: Peter und Angie Syr wohnen im einstigen Haager Schulhaus
Es muss schon ein besonderes Gefühl sein, in seinem einstigen Klassenzimmer zu wohnen und in die Schulgeschichte einzugehen. So ist es bei Peter Syr, der seit über einem Jahrzehnt im Grafenstock des Haager Schlossturms lebt.
Haag – Bis zur dritten Klasse drückte Syr die Schulbank in Haag und lernte Lehrerinnen wie „Frau Hangl“, „Schwester Edita“ und „Fräulein Leschinger“ kennen. Wo er einst vom Pausenhof, jetzt Spielplatz an der Mauer, über den Gang an den Toiletten vorbei zum Klassenzimmer ging, betritt er heute seine stattliche Wohnung. „Das war Liebe auf den ersten Blick“, so Syr. Seine Frau Angie, selber Pädagogin, wohnt dort mit ihm.
Probleme beim Umbau warf vor allem die Knabentoilette auf. „Die halbe geteerte Wand musste herausgenommen werden und die Pissoirrinne“, so Syr. Seine Wohnung umfasst die Zimmer der zweiten und dritten Klasse, Rektorat und Lehrmittelzimmer, heute Abstellkammer. Oberhalb seines Eingangs am Ende der Freitreppe sieht man den Holzübergang zum zweiten Grafenstock. Den nutzten die Lehrerinnen der Englischen Fräulein.
Die Haager Schulgeschichte
Die Haager Schulgeschichte ist nach den Forschungen von Dr. Eugen Kellner auf 1525 nachzuweisen, als Gräfin Kunigunde für Schulunterricht auf der Haager Burg sorgte. Das spätere Schulhaus, mit Holzschindel gedeckt, stand am Kirchplatz, daneben ein Lehrerwohnhaus. Den grauen Schulalltag um 1800 mit schwänzenden Schülern und unterbezahlten Pädagogen schildert August Trautner in seinen „Tausend Jahre Haager Geschichte“. Die Lehrer seien altersmüde und von Nahrungssorgen geplagt. Die Räumlichkeiten ließen zu wünschen übrig.
Mädchen und Buben saßen zusammen in einem Klassenzimmer. Sie teilten sich in drei Jahrgängen zu zwei Abteilungen. Von sechs bis zwölf hatten sie zumindest ab 1802 offiziell Schulpflicht in der Werktagsschule. Daran schloss sich die Feiertagsschule bis 18. „Lehrjungen und Bauernburschen“ aber saßen lieber in der Wirtschaft als in der Schule, so der Chronist. 1802 wurde das erste Haager Schulhaus verkauft. Die Kinder wechselten in den ersten Stock des Spitals neben der Kirche. 1862 notierte der Lokalschulinspektor mit 162 Buben und Mädchen eine völlige Überbelegung. Das Gemeindezimmer müsse hinzugenommen und ein weiterer Hilfslehrer angestellt werden. Als 1864 die Englischen Fräulein nach Haag kamen, richteten sie unter dem Schlossturm auch eine Mädchenschule und einen Kindergarten ein. Die Gemeinde verlegte daraufhin die Knabenschule aus dem alten Spital hierher, was bis 1931 dauerte.
Krieg hinterließ auch in Haag Verwüstung
Ein „dickes Kriegsende“ gab es für das Schulhaus. Bis Mitte Mai blieben dort die Verwundeten. Dann wechselten die Nationen und bescherten „ein Bild der Verwüstung“. 130 Franzosen hausten recht wild drei Tage lang. Vor den Italienern war nichts sicher, selbst das Geschirr der Achtklässler konnten sie brauchen und die Gardinen. Fünf Wochen wüteten die Polen im Schulgebäude. Man schlief auf Landkarten und nahm die Schulbänke zum Einheizen der Feldküche her. Die Sicherungen wurden ruiniert, die Schalter entfernt. Am 28. Juni zogen die Besatzer endlich ab. „Sieben volle Tage“ von morgens bis abends mussten viele Hände zusammen helfen, um den „Saustall“ aufzuräumen.
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Die Behörde wich in den Kindergarten aus, der sich unter dem Schulgebäude an der Freitreppe zum Schlosshof befand. Ab Mai gab es in den Schulzimmern abendliche Englischkurse, die ständig ausgebucht waren. Die Volksschule öffnete erst wieder am 17. September. Die Lehrer, Bücher, Tafeln, Griffeln und Hefte fehlten. 1946 waren hier 65 Kinder. Von Zuhause brachten sie in der Notzeit nach dem Krieg Mehl, Ei oder Zucker mit, um zumindest Weihnachtsplätzchen zu backen. 1970 war dann eine neue Schulära für Haag angesagt, als das neue Gebäude in „Haag-West“ bezogen wurde.