KI statt Couch
„Weiße, privilegierte Bubble“ – Wie KI gegen Rassismus in der Psychotherapie helfen könnte
Betroffene erleben Gaslighting, mangelnde Sensibilität und rassistische Kommentare. Doch der Einsatz Künstlicher Intelligenz verspricht Patienten und Therapeuten neue Möglichkeiten.
„Ich hatte schon immer das Gefühl, ich bin anders, als die Kinder in meiner Klasse. Spätestens aber in der Pubertät war mir klar: Okay, ich falle auf“, erzählt Yma Louisa Nowak über ihre Jugend. Sie kommt „aus gutem Haus“, die Familie hat Geld. Mit der Zeit wird ihr klar: In den Kreisen, in denen sie sich bewegt, ist Schwarzsein ungewöhnlich.
Heute ist die 26-Jährige selbstständig, verdient ihr Geld als Influencerin auf Social Media und durch die Plattform OnlyFans. Sie spricht über Spiritualität, Lifestyle und Körperbilder. In einem ihrer Videos sagt Nowak, die sich selbst „spiritual plus size girl from Berlin“ nennt, „Ich weiß, wer ich bin und ich weiß, was ich will“. Doch das war nicht immer so. Im Alter von 18 Jahren beginnt sie ihre erste Psychotherapie.
Rassismus in der Psychotherapie hinterlässt Spuren
„Die Frage nach meinem Migrationshintergrund war eine der ersten. Noch bevor es um die Themen ging, weswegen ich Therapie machen wollte.“ Auch nach dem holprigen Start gestaltet sich der Aufbau einer therapeutischen Beziehung schwierig. „Eigentlich ging es nur um mein Äußeres“, erzählt Nowak. Sie habe damals deutlich mehr Make-up getragen. Auch Looks, zu denen sie sich „kulturell hingezogen“ fühlte, etwa Braids. Nowak hat unter anderem ghanaische Wurzeln. „Der Therapeut sagte, damit würde ich meine ‚Andersartigkeit‘ ja auch wirklich heraushängen lassen. Es gab auch Gaslighting, zum Beispiel: Je öfter Sie darüber reden oder nachdenken, desto öfter passiert Ihnen das dann auch.“
Die junge Frau denkt, sie sei das Problem und müsse sich verändern, wenn sie von anderen nicht rassistisch behandelt werden möchte. Nach ein paar Sitzungen bricht Nowak frustriert ab und versucht, einen anderen Therapieplatz zu finden. Doch die Kommentare haben Spuren hinterlassen. Das auffällige Make-up ist dezenteren Tönen gewichen, seit einer chemischen Behandlung trägt Nowak die Haare dauerhaft glatt.
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„Und, wie ist das bei euch Muslimen?“
„Abbrecher“ wie Nowak trifft Sema Akbunar häufig. „Psychotherapie in Deutschland, das ist eine sehr weiße, sehr privilegierte Bubble“, erklärt die Psychotherapeutin. In Berlin führt sie eine Praxis mit Schwerpunkt auf interkultureller und rassismussensibler Psychotherapie.
Oft kommen die Patienten mit einem Thema, das sich um Diskriminierung oder Rassismuserfahrung dreht, zu einem Psychotherapeuten, der weiß und deutsch sozialisiert ist. „Und dann sagen sie mir: ‚Mir wurde nicht geglaubt‘, man habe ihre Erfahrung kleingeredet und gefragt, ob sie nicht übertreiben würden“, berichtet Akbunar. Andere kommen direkt zu ihr, weil sie Angst haben, dass ihnen genau das widerfahren könnte.
Einer ihrer Patienten, ein türkisch-muslimischer Mann, wollte in der Therapie eigentlich über seinen Vater sprechen, doch der Therapeut habe sämtliche Erfahrung auf den kulturellen und religiösen Hintergrund reduziert: „Und, wie ist das bei euch Muslimen, wie macht ihr das...?“, seien typische Fragen gewesen, mit denen ihr Patient zuvor konfrontiert gewesen sei.
Das ist problematisch, erklärt die Expertin. „Viele Patienten haben dadurch das Gefühl, dass sie etwas ihrem Therapeuten erklären müssten. Manche Therapeuten scheinen zu vergessen, dass es kein ‚ihr‘ und ‚wir‘ geben darf, denn die therapeutische Beziehung ist das ‚wir‘“. Um Retraumatisierung zu vermeiden, müssten Therapeuten verstehen, wie sie selbst sozialisiert sind und sich fragen, mit welchem Menschenbild sie selbst groß geworden sind.
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Psychotherapeuten mit Migrationshintergrund: „Da kam fast nichts“
„Nach den schlechten Erfahrungen, habe ich angefangen, direkt nach Therapeuten mit Migrationshintergrund zu suchen“, erzählt Nowak. „Also habe ich nach Namen geschaut, die nicht deutsch klingen. Da kam fast nichts.“ In Deutschland fehlen aber nicht nur Therapeuten mit Migrationsgeschichte, sondern auch Therapieplätze.
Es gibt nicht genügend Kassensitze, also Zulassungen, die es Therapeuten ermöglichen, über die Krankenkassen abzurechnen. So wird auch Nowak erst als Selbstzahlerin fündig. „Ich wusste, dass das jetzt der Richtige ist“, erklärt sie. „Keine dummen Fragen und ich fühle mich direkt verstanden.“
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„Kein Pflichtprogramm“ - Expertin fordert Veränderung in der Ausbildung
„Aber nicht jeder, der einen ausländischen Namen oder Migrationsgeschichte in der Familie hat, ist interkulturell sensibel. Auch diese Menschen brauchen Schulungen und Sensibilisierung für das Thema”, warnt Akbunar. Dass die meisten praktizierenden Psychotherapeuten weiß und deutsch sozialisiert sind und aus privilegierten Verhältnissen kommen, sei ein strukturelles Problem. „Allein schon für die Ausbildung braucht man viel Geld und sehr gute Noten.“
Das Problem sieht Akbunar aber vor allem bei den Ausbildungsinhalten. Sie ist als Dozentin tätig, gibt Seminare für angehende Psychotherapeuten, bietet aber auch Weiterbildungen für bereits praktizierenden Therapeuten an. Die Expertin kritisiert: „Interkulturelle Psychotherapie ist oftmals nur ein Wahlfach, kein Pflichtprogramm. Immer wird zu einem Perspektivwechsel aufgerufen und Empathie gefordert. Da frage ich mich schon, wie es sein kann, dass diese Inhalte nicht verpflichtend gelehrt werden müssen.“
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Mehr Therapieplätze für BPOC und queere Menschen durch KI
Das schlage sich später in mangelnder Sensibilität nieder. Es fehle aber auch Mut, berichtet Akbunar. „Das löst Unsicherheit und Ängste aus, sich als weiß sozialisierter Psychotherapeut mit einem Patienten auseinanderzusetzen, der solche Themen mitbringt.“ Die Therapeutin erklärt, dass manchmal schon die Scheu davor, einen ausländisch klingenden Namen falsch auszusprechen, dafür sorgen kann, dass die Ärzte eher Patienten zurückrufen, die einen deutschen Namen haben. Psychotherapeuten seien so gefragt, dass sie viele Anfragen ablehnen müssen. Ob eine Absage nun aus rassistischen oder anderen Gründen erfolge, sei nicht nachvollziehbar.
Gegen Rassismus bei der Zuweisung eines Psychotherapieplatzes kann Künstliche Intelligenz helfen. Das hat eine Studie aus England mit 129.400 Betroffenen gezeigt. Ein Chatbot soll Menschen, die einen Psychotherapieplatz suchen, dabei unterstützen, die eigenen Symptome besser einschätzen zu können und direkt den passenden Therapeuten anzufragen.
In der Studie konnten sich Personen aus der Kontrollgruppe nur mit einem Formular um einen Therapieplatz bewerben. Alle anderen nutzen den KI-Chatbot nutzen. Dadurch entschieden sich am Ende mehr Hilfesuchende für eine Psychotherapie. Vor allem nicht-binäre Menschen oder Menschen aus ethnischen Minderheiten profitierten davon.
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„Bevor man keinen oder einen schlechten Therapeuten bekommt, würde ich lieber eine KI nehmen“
Das Forschungsteam vermutet, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen dem Chatbot in einigen Punkten mehr vertrauen als Menschen. Betroffene empfinden demnach weniger Schamgefühle und Stigmatisierungsängste, wenn sie mit der KI sprechen, öffnen sich mehr und bekommen eine passende Vermittlung. So könnten auch Therapeuten davon profitieren und schneller in die Thematik einsteigen.
Akbunar fände eine Integration einer solchen KI bei der Zuweisung von Patienten sinnvoll. Sie empfiehlt ihren Seminarteilnehmern zum Beispiel alle paar Monate ihre Patientenliste durchzugehen und zu überprüfen, wie divers sie ist. „Therapeuten lassen sich aber nicht gern in die Karten gucken“, erklärt Akbunar. Somit fehle eine Kontrollinstanz. Die KI könnte nach bestimmten Kriterien oder auch nach Zufallsprinzip aussuchen und so Rassismus umgehen. Akbunar sagt: „Ein Mix wäre gut. Eine Hälfte der Patienten-Wahl mit KI und die andere Hälfte suchen Therapeuten selbst aus.“
Auch Yma Louisa Nowak kann sich den Einsatz von KI vorstellen. Zuerst würde sie sich wünschen, dass es mehr Schwarze Psychotherapeuten gibt und Menschen mit Migrationsgeschichte, doch eine KI habe sie sogar schon ausprobiert und positive Erfahrung gemacht. „Ich habe ChatGPT gefragt, ob es normal sei, dass ich mich heute nicht so gut fühle und was man da machen könne. Und ich muss sagen, ich habe mich bei diesem KI-Gespräch wohler gefühlt, als bei meinen vorherigen Therapeuten. Bevor man keinen oder einen schlechten Therapeuten bekommt, der schlimmstenfalls noch traumatisiert, würde ich lieber eine KI nehmen.“
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