„Mir fehlen die Worte!“
„Ich schäme mich“: Wunsch-Weihnachtsbaum zeigt größeres Problem bei der Rente
Eine Frau filmt einen Wunsch-Weihnachtsbaum für Rentner und Rentnerinnen. Sie ist wütend, den das Problem könnte bald 20 Prozent betreffen.
„Es ist einfach nur krass“, sagt eine Frau auf TikTok und filmt einen Weihnachtsbaum im Einkaufszentrum „Bero“ in Oberhausen (NRW). Sie liest vor, welche Wünsche ältere Menschen aufgeschrieben und an den Baum gehängt haben. Der 74-jährige Helmut beispielsweise wünscht sich „einfach nur einen Lidl-Gutschein“. Auch die 81-jährige Theresa wünscht sich einen Lebensmittelgutschein. „Sorry, aber da fehlen mir die Worte!“, sagt die TikTokerin. „Du freust dich dein ganzes Leben auf die Rente und wünschst dir dann Lebensmittel.“
@justynaraake Sorry, aber da Fehlen mir die Worte! Kinder & ältere Menschen haben in diesem Land einfach keine Lobby! Während wir Krimenellen Gelder in den Rachen schütten, sehnen sich unsere Alten einfach nur nach einer selbstbestimmten warmen Mahlzeit! Ich schäme mich!!! #gesellschaft #deutschland #wazwunschbaum #waz #gesellschaftskritik #lobby #wirsindamarsch #klartext ♬ Little Things - Adrian Berenguer
„Ich schäme mich!“, schreibt sie unter das Video, das mittlerweile 3,1 Millionen Menschen gesehen haben. Sie regt sich darüber auf, wie ungerecht Rentnerinnen und Rentner behandelt würden und kritisiert, dass sie sich im Vergleich mit Sozialhilfe-Empfängerinnen keine warme Mahlzeit leisten könnten.
Gemeinsam mit der Westdeutschen Allgemeine Zeitung (WAZ) hatte die Caritas Oberhausen 2021 die Idee eines Senioren-Wunschbaums gegen die Altersarmut. Besucher können sich einen der Zettel nehmen und zum Beispiel Helmut seinen Lidl-Gutschein kaufen. Dass sich so viele Rentner Lebensmittelgutscheine wünschten, liege daran, dass sie sich zu Weihnachten besondere Lebensmittel kaufen wollten, sagt eine Caritas-Sprecherin BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Altersarmut in Deutschland: Wunschbaum für Rentnerinnen und Rentner bestätigt Realität
„Die Altersarmut in Deutschland ist in den letzten Jahren etwas angestiegen“, sagt Eric Thode, Experte für nachhaltige soziale Marktwirtschaft bei der Bertelsmann-Stiftung, BuzzFeed News Deutschland. Die Armutsgefährdungsquote der über 65-Jährigen habe 2015 noch bei 15 Prozent gelegen, 2023 seien es 18,1 Prozent gewesen. Zwar auch getrieben durch die Inflation, aber im Verhältnis sei die Armutsgefährdung der Älteren stärker gestiegen als die der Gesamtbevölkerung, die 2023 bei 16,6 Prozent lag.
Laut einer Analyse könnte die Armutsrisikoquote bis 2035 auf 20 Prozent ansteigen. Brauchen wir also immer mehr Wunsch-Weihnachtsbäume für Rentnerinnen und Rentner? Diese seien zwar „wichtiges Zeichen für die Unterstützung von armen älteren Menschen“, könnten jedoch eine „unzureichende Absicherung im Alter natürlich nicht ersetzen“, sagt Thode. Es gebe bereits Systeme wie die Grundsicherung im Alter und Grundrente, die Altersarmut in Deutschland verhindern sollen.
Viele Rentnerinnen und Rentner beantragen keine Grundsicherung – „viele sparen lieber am nötigsten“
Bei der Grundsicherung im Alter handelt es sich um eine bedürftigkeitsgeprüfte staatliche Leistung ähnlich wie das Bürgergeld, die beantragt werden muss. Der Vergleich der TikTokerin hinkt also, denn nicht nur Arbeitslose, sondern auch Rentnerinnen und Rentner können staatliche Hilfe beantragen.
Das Problem: „Schätzungen gehen davon aus, dass 60 Prozent der Älteren, die eigentlich Anspruch auf Grundsicherung haben, diese nicht beantragen“, sagt der Experte BuzzFeed News Deutschland. Gründe dafür seien fehlende Informationen, Schwierigkeiten bei der Antragstellung oder auch Scham, auf staatliche Leistungen angewiesen zu sein. „Viele sparen lieber am nötigsten.“
Die Grundrente, die es seit 2021 gebe, werde zwar automatisch ausgezahlt, komme aber nur denen zugute, die mindestens 33 Jahre gearbeitet haben und in der Zeit aufgrund geringer Löhne nur einen kleinen Rentenanspruch erworben haben. „Wichtig wäre hier eine Reform des Systems, das armutsgefährdeten Älteren unbürokratisch, unkompliziert und ohne Stigmatisierung die Leistungen zahlen würde, auf die sie Anspruch haben. Damit müssten Weihnachtswunschbäume für Senioren weniger herhalten, Grundbedürfnisse zu decken.“
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