„Damit rechne ich täglich“
„Hass ist heftiger“: Teenager verbringen zehn Stunden täglich online
Ein Leben ohne Social Media ist für junge Menschen unvorstellbar. Obwohl der Hass heftiger denn je sein kann, schätzen sie auch die Chancen, die ihnen die Anonymität bietet.
Queere Jugendliche verbringen im Schnitt täglich mehr als zehn Stunden vor Bildschirmen. Das sind beinahe vier Stunden mehr als gleichaltrige Heterosexuelle. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Kalifornien, für die rund 10.400 minderjährige Menschen aus Europa, den USA, Australien und Brasilien befragt wurden.
„Besonders für queere junge Menschen hat der digitale Raum eine wichtige Bedeutung, da er fehlende Ressourcen kompensieren kann. Konkret: Zu wenig erreichbare Angebote, die Angst, von Menschen gesehen und geoutet zu werden, die Unsicherheit, was einen erwartet beim Besuch von lokalen Angeboten“, sagt Nick Hampel vom bundesweiten queeren Jugendnetzwerk Lambda BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Warum Teenager und die Gen Z so viel Zeit online verbringt
Im digitalen Raum könnten die Jugendlichen so sein, wie sie sind – ein maßgeblicher Aspekt, für die vielen Stunden täglich online, wie auch die Autoren der Studie betonen. Viele junge LGBTQIA+-Menschen werden dabei auch von ihrem Umfeld in die digitale Welt hineingedrängt, erklärt der 17-jährige schwule Manuel aus Sindelfingen BuzzFeed News Deutschland: „In meiner Schule war ich schon mit 15 Jahren geoutet, nicht ganz freiwillig. Das hat dazu geführt, dass ich bei einigen außerschulischen Aktivitäten ausgeschlossen wurde. Man wollte mich nicht dabei haben, also hatte ich mehr Freizeit und dann ging ich eben online.“
„Es ist wichtig zu verstehen, dass die heutige Jugend hybrid lebt und das, was digital passiert, für sie genauso real ist wie das, was analog passiert. Digitale Freunde, digitale Unterstützung, digitaler Austausch sind real“, sagt Hampel. Der Grund, warum das Erleben des digitalen Raums für jüngere und ältere Generationen so unterschiedlich ist, liegt laut dem Fachmann von Lambda in den Sozialisationserfahrungen mit Medien. Messenger, soziale Medien, KI, Suchmaschinen – sie alle sind Teil der jungen Lebensrealität.
Hass im Internet ist für Gen Z real und „noch heftiger“
„Wichtig ist, dass entsprechend auch Hass im Internet für junge Menschen real sind und durch die Allgegenwärtigkeit zum Teil sogar intensiver erlebt werden, als im analogen Raum.“ Der digitale Raum bleibt so für queere Jugendliche ein ambivalenter Ort. Sie erfahren hier Gemeinschaft, die ihnen im analogen Raum fehlt. „Gleichzeitig ist der Hass aktuell größer denn je“, sagt Hampel. Und Manuel sagt: „In der Schule ab und zu einen doofen Spruch abzubekommen, damit rechne ich täglich. Aber der Hass, den du online abbekommst, der ist noch heftiger, da gibt es kein Zögern, wie es vielleicht noch live der Fall wäre. Wer Queers hasst, der kotzt dir das digital direkt verbal ins Gesicht und wünscht dir den Tod an den Hals!“
Einfach abschalten, ist jedoch keine Alternative. „Es gibt bestimmte Eigenschaften des digitalen Raums, die ihn für queere Jugendliche besonders relevant machen. Einerseits ist das der Aspekt der Anonymität: Gerade für ungeoutete junge Menschen ist es eine enorme Entlastung, ohne die Preisgabe der eigenen Identität, Informationen, Austausch und Unterstützung zu erhalten. Neben der Anonymität spielt die Allgegenwärtigkeit eine wichtige Rolle. Egal ob um zwei Uhr morgens oder vom abgelegensten Dorf aus: der digitale Raum überwindet zeitliche und örtliche Barrieren“, sagt Hampel.
Wichtiger wäre es also stattdessen, vorurteilsfrei die gelebte Realität anzuerkennen und vielleicht an anderer Stelle zu helfen. „Genau das ist der Grund, warum wir aktuell Deutschlands erstes digitales queeres Jugendzentrum gründen. Quasi eine queersensible, sowie jugend- und datenschutzorientierte Alternative zu den großen Social Media Plattformen“, sagt der Lambda-Sprecher.
Gen Z ist durch das Internet unabhängiger, wie und wo sie neue Freunde findet
Durch die Möglichkeit, sich mit Menschen aus der ganzen Welt zu vernetzen, entstehen für die queere Gen-Z neue Möglichkeiten. „Gerade für junge queere Menschen bedeutet das, dass sie nicht mehr abhängig davon sind, welche anderen jungen Menschen in ihrer Klasse, ihrem Verein, oder ihrer Nachbarschaft leben“, sagt Hampel.
Das kann auch den politischen und gesellschaftlichen Kampf für mehr Gleichberechtigung und Akzeptanz voranbringen. „Wir leben in einer digitalen Gesellschaft, daher verschieben sich auch Demonstrationen und Veranstaltungen immer mehr in den digitalen Raum.“ Queere Jugendliche verbringen über zehn Stunden täglich vor dem Bildschirm, aber vielleicht ist das gar nicht so schlimm.
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