„Alarmglocken schrillen“
Frage eines Chefs an Bewerberin löst Entsetzen aus: „Bitte nicht beantworten“
Wenn sich Frauen bewerben, werden sie nicht selten nach ihrem Kinderwunsch gefragt. Eigentlich soll ein Gesetz das verhindern. Wo liegt das Problem?
„Das fragt man ja eigentlich nicht, aber hast du vor, in nächster Zeit schwanger zu werden?“ Diese Frage bekam die damals Anfang zwanzigjährige Nadine* 2020 in einem Bewerbungsgespräch „ganz lässig“ gestellt. „Ich habe erst im Nachhinein gemerkt, wie unangebracht und übergriffig das war“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Vier Jahre später passierte es erneut. Dieses Mal ohne die Einsicht, dass solche Fragen im Bewerbungsgespräch verboten sind. „Passend zu seinem Macho-Tonus“ habe sie ihr zukünftiger Chef nach ihrer Familienplanung gefragt und gesagt, dass er „ja niemanden einstellen möchte, der direkt nach der Probezeit schwanger“ werde. „So schnell waren die Komplimente über meine Arbeit weggewischt.“
Frage nach Kindern im Bewerbungsgespräch kommt „clever durch die Hintertür“
Trotz Verbot fragen Chefs Frauen in Bewerbungsgesprächen nach ihrem Kinderwunsch und Familienplanung. Meist „clever durch die Hintertür“, sagt Katrin Förster. Sie ist Kinderwunsch-Coach, berät Frauen, wie sie Mutterschaft und Karriere verbinden können. Manchmal fragen sie, ob der Partner mit in die neue Stadt ziehe. Oder, was die Bewerberin an den jeweiligen Ort binde, was ihre „privaten Pläne“ seien. „Oft sind solche Fragen mit fürsorglichem Interesse getarnt“, sagt Förster BuzzFeed News Deutschland.
Förster startet eine Umfrage in ihrer Social-Media-Community für uns. 50 Frauen nehmen daran teil. Sechs von ihnen antworten, dass sie im Bewerbungsgespräch schon einmal direkt nach ihrem Kinderwunsch oder einer Schwangerschaft gefragt wurden – obwohl solche Fragen seit 2006 gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstoßen. Sie stellen eine unmittelbare Benachteiligung des Geschlechts dar. Betroffene könnten also in der Theorie auf Schadensersatz klagen.
„Hohe Dunkelziffer“ bei Fragen nach Familienplanung: „Wir sehen hier keine Besserung“
Eine Studie der Antidiskriminierungsstelle (Ads) ergab 2018, dass etwa acht Prozent schon mal von ihrem Arbeitgeber nach ihrem Kinderwunsch und sechs Prozent danach gefragt wurden, ob sie schwanger sind. „Wir sehen hier keine Besserung“, sagt ein Ads-Sprecher BuzzFeed News Deutschland. Weil nur wenige Betroffene solche Vorfälle meldeten oder gar klagten, gehe man von einer „hohen Dunkelziffer“ aus.
Dass so wenige Frauen rechtliche Schritte einleiten, liege auch daran, dass die Vorfälle schwer zu beweisen seien, sagt die Fachanwältin für Arbeitsrecht, Sandra Runge. „Häufig fallen diese Sätze in Gesprächen unter vier Augen. Nur ganz selten sitzt da noch eine andere Person, die Diskriminierungen im Streitfall möglicherweise bezeugen würde, wie etwa Betriebsräte oder Gleichstellungsbeauftragte. Das ist das große Problem“, sagt Runge BuzzFeed News Deutschland.
Viele Frauen riskierten gar nicht erst, dritte Personen wie Gleichstellungsbeauftragte zu Bewerbungsgesprächen hinzuzuziehen, „aus Angst, gleich abgelehnt zu werden“. Und selbst wenn sie es täten, dann hätten sie zwar bessere Chancen, Schadensersatz einzuklagen, aber Anspruch auf den Job hätten sie nicht. „Das sieht unser allgemeines Gleichbehandlungsgesetz nicht vor. Viele Frauen wehren sich daher gar nicht erst“, sagt Runge.
Bei Frage nach Kinderwunsch „sollten alle Alarmglocken schrillen“
Nadine antwortete auf die beiden Fragen nach einer geplanten Schwangerschaft mit „Nein“, weil Kinder noch nicht auf ihrem Plan standen. Wenn es bei Nadine anders gewesen wäre, hätte sie lügen dürfen, erklärt Runge. Aber es sei natürlich „eine ganz schwierige Gratwanderung, viele Frauen fühlen sich verständlicherweise unwohl damit“, sagt die Juristin.
Die HR-Beraterin Melanie Trommer kann das bestätigen. Einmal war sie in einem Bewerbungsgespräche dabei, in dem es der Bewerberin sehr unangenehm war, dass der Chef sie auf die Familienplanung ansprach. Trommer habe dann sofort gesagt, dass die Frau diese Frage bitte nicht beantworten solle, erzählt sie BuzzFeed News Deutschland. Für sie seien solche Fragen ein „No-Go“.
Sie versuche ihren Kunden ähnlich wie diese Recruiterin, die eine diskriminierende Chef-E-Mail veröffentlichte, klarzumachen, dass jeder etwa wegen Krankheit ausfallen könne. Unternehmen sollten einfach die beste Person einstellen. „Wenn ein Unternehmen im Bewerbungsgespräch nach der Kinderplanung fragt, sollten alle Alarmglocken schrillen“, sagt Förster. Sie glaubt, dass es solche Unternehmen schwer haben dürften, gut ausgebildete Frauen zu gewinnen – und zu halten. Nadine ist das beste Beispiel. Sie hat die Firma mit dem „Macho“-Chef nach nicht mal einem Jahr verlassen, weil die „veralteten Weltansichten“ einfach nicht zu ihr passten.
*Nadine möchte in diesem Artikel nur mit ihrem Vornamen genannt werden. Ihr vollständiger Name ist der Redaktion bekannt.
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