Weniger als zehn Prozent
„Work-Life-Balance-Falle“ – Warum es in Deutschland zu wenig Bürgermeisterinnen gibt
Obwohl an deutschen Verwaltungshochschulen hauptsächlich Frauen studieren, werden sie selten Bürgermeisterin. Ein Hochschulrektor sieht darin eine „Gefahr“.
Barbara Ogbone arbeitet im Rathaus einer kleinen baden-württembergischen Gemeinde. Seit 2019 leitet sie dort das Amt für Bildung, Betreuung und Bürgerengagement. 2023 hat sie sich zur Wahl als Bürgermeisterin aufstellen lassen. Sie ist eine der wenigen, die diesen Schritt gehen.
„Obwohl ein Großteil der Studierenden der Verwaltungsfachhochschulen weiblich ist, finden wir kaum Frauen in kommunalen Spitzenämtern“, sagt Kathrin Mahler Walther, Vorstandvorsitzende der EAF Berlin (Europäische Akademie für Frauen in Politik und Wirtschaft Berlin e. V.) BuzzFeed News Deutschland, einem Portal von IPPEN.MEDIA.
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Bürgermeisterinnen in Deutschland: „Sehe die Gefahr einer Work-Life-Balance-Falle“
Von den Studierenden an der Verwaltungshochschule Kehl in Baden-Württemberg sind etwa 75 Prozent Frauen und 25 Prozent Männer. „Es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen der Beteiligung von Frauen im Studium und ihren späteren Karrierewegen“, sagt Joachim Beck, Rektor der Hochschule, BuzzFeed News Deutschland. Neue Studien gehen davon aus, dass in 9,8 Prozent aller deutschen Kommunen eine Frau Bürgermeisterin ist. In den Großstädten liegt der Anteil bei 11,7 Prozent.
Beck hat eine Theorie, warum das so ist. „Viele unserer Studentinnen gehen schon mit einer gewissen Teilzeitorientierung in das Studium“, sagt er. Sie scheinen früh in ihrer Karriere auf eine Zukunft hinzuarbeiten, in der sie ihre Stunden für Care-Arbeit und Kinderbetreuung reduzieren. Das sei in vielen Berufen im öffentlichen Sektor gut möglich. „Ich sehe hier die Gefahr einer Work-Life-Balance-Falle“, sagt Beck. Im Studium erlebe er Frauen genauso engagiert und wissbegierig wie ihre männlichen Kommilitonen. „Das ändert sich ja nicht einfach so.“
Seine Hochschule versuche, die Sinnorientierung und die Entwicklungsmöglichkeiten der Kommunalpolitik wieder stärker hervorzuheben. „Wir müssen weg von der Sicherheitshängematte“, sagt Beck. Jungen Frauen müsse klar werden, dass sie auch in der Verwaltung Karriere machen können. „Eine Bürgermeisterin muss sich nicht auf jedem Kleintierzuchtverein-Treffen blicken lassen“, sagt Beck. Vielleicht schrecke viele Frauen gerade diese „Kümmererfunktion“ ab, da sie sich auch für die eigene Familie zuständig fühlen.
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„Können es uns nicht leisten, auf 50 Prozent der guten Köpfe zu verzichten“
„Frauen hinterfragen sich häufig stärker und gehen eine Bürgermeisterwahl nur an, wenn sie sich ganz sicher sind, das zu schaffen“, sagt Ogbone. Ihr fällt noch ein weiterer Grund ein, warum Frauen seltener Bürgermeisterin werden: „Frauen bekommen mehr Hatespeech ab“, sagt sie BuzzFeed News Deutschland. „Die meisten trauen sich nicht, ins Rampenlicht, weil in der ersten Reihe der raue Wind spürbar wird.“ Sie selbst habe diesen bei der Bürgermeisterwahl 2023 erlebt. „Das muss man aushalten können und wollen.“
Sie selbst hat die Wahl zur Bürgermeisterin 2023 gegen einen männlichen Kandidaten verloren. Trotzdem ist sie froh, sich getraut zu haben. Vor allem, weil sie seitdem ein neues Ziel hat: interessierte, kompetente Frauen zu Bürgermeisterinnen machen. Um das zu erreichen, wirkt die 41-Jährige nebenberuflich bei der Kampagne „Bürgermeisterin? Ich mach das!“ des Städtetags Baden-Württemberg mit, die im März 2024 startete.
Bei der Kampagne kommen verschiedene Bürgermeisterinnen zu Wort – zum Beispiel Antonia Walch aus Sternenfels, die ihr erstes Kind während ihrer ersten Amtszeit bekam (siehe oben). Von der Vereinbarkeit von Beruf und Familie über alles rund um den Wahlkampf: „Wir wollen Frauen aus der Verwaltung ermutigen, aus der zweiten Reihe herauszutreten“, sagt Ogbone. „Wir können es uns nicht leisten, in den Kommunen auf 50 Prozent der guten Köpfe zu verzichten.“
„Eine starke Demokratie braucht die Repräsentation der Bevölkerung in ihrer Vielfalt. Geschlechterparität ist die Basis dafür“, findet auch Walther. Deswegen brauche es genau solche Programme und Initiativen, um die Sichtbarkeit von Frauen in der Politik zu erhöhen.
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