„Normalisierung“ von Hass
Wer antimuslimischen Rassismus auf TikTok verbreitet
Hetze gegen Muslime kommt in den sozialen Medien nicht immer von Rechts. Wir erklären, auf welche Codes und Inhalte TikTok-User achten sollten.
Auf TikTok gibt es Musliminnen wie die 20-jährige Jennah Schott, die über ihre Religion aufklären. Auf der Plattform mehren sich aber auch Videos, die sich gegen Muslime und Musliminnen richten.
„Wir beobachten, dass seit Oktober 2023 die Aktivitäten antimuslimischer Accounts und der Anteil von Wut in den Videos angestiegen sind“, sagt der Soziologe Özgür Özvatan BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Das hat mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel vom 7. Oktober zu tun..
Online-Hass gegen Muslime auf TikTok führt zu realer Diskriminierung
Bisher gibt es kaum Forschung zu antimuslimischem Rassismus auf TikTok. Özvatan ist einer der Ersten, der sich unter anderem für das Lagebild zu antimuslimischem Rassismus damit beschäftigt hat. Das Lagebild veröffentlichte Claim, eine Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird.
„Antimuslimischer Rassismus ist am gefährlichsten dort, wo er als eine gewöhnliche Position der gesellschaftlichen Mitte daherkommt“, sagt Özvatan. Wer durch TikTok scrollt, sieht Hass und Hetze neben Koch- und Tanzvideos – egal, ob man selbst extreme Positionen vertritt oder nicht. „Diese Normalisierung in der digitalen Welt bereitet Potenziale für Übersetzungen von Hass in die analoge Welt.“
Auch dort hat antimuslimischer Rassismus zugenommen. Im Schnitt kam es 2023 fünfmal täglich zu antimuslimische Straftaten, Beleidigungen oder Diskriminierungen, heißt es im Claim-Lagebild.
Wie erkenne ich antimuslimischen Rassismus?
Für TikTok-Userinnen und -User sei es nicht so einfach, Hetze gegen Muslime als solche wahrzunehmen, sagt Özvatan BuzzFeed News Deutschland. „Durch die Verwobenheit mit verschiedenen politischen Themen ist die Erkennung schwierig.“ Teilweise würden TikTokerinnen und TikToker auch bestimmte Codes verwenden. Statt „Muslime“ heiße es dann beispielsweise „Modems“.
TikTokerinnen und TikToker kombinieren antimuslimische Inhalte oft mit Migrationsfeindlichkeit, wie Claim schreibt. Häufig kriminalisieren sie Musliminnen und Muslime sowie den Islam. Oder sie sprechen über eine vermeintliche Islamisierung Deutschlands, die verhindert werden müsse. Das zeigt auch unsere Recherche.
Auf TikTok gibt es laut Claim 33 Accounts, die antimuslimische Inhalte produzieren und dabei eine hohe Reichweite haben. Die Motivation hinter den Videos kommt nach Angaben der Allianz aus drei Richtungen: von rechts, von migrationskritischen Muslimen oder Christen. BuzzFeed News Deutschland hat sich die einzelnen TikTok-Accounts näher angeschaut.
1. Rechte Accounts
Viele der Accounts haben blaue Herzen in der Beschreibung. Die Kurzvideos zeigen Zusammenschnitte aus politischen Debatten, in denen AfD-Politikerinnen und -Politiker rassistische Bemerkungen tätigen. Ein Thema ist die „Remigration“, die in Teilen die AfD fordert. Auf offiziellen Accounts der AfD-Landesebene, aber auch der Bundespartei, finden sich laut Claim verdeckt muslimfeindliche Inhalte.
Die AfD, die auf TikTok besonders erfolgreich ist, folgt einem bestimmten Prinzip. „Obwohl sie ein zentraler Akteur für die Verbreitung antimuslimischer Inhalte ist, spricht sie proaktiv migrantische Communitys an“, sagt Özvatan. Die Partei nutze den Empfehlungsalgorithmus von TikTok bewusst aus. Offen rassistische Beiträge werden muslimischen Nutzerinnen und Nutzern so gar nicht erst angezeigt, sondern nur welche, die für sie gedacht sind.
2. Migrantische Accounts
Überraschender ist, dass ein Teil des antimuslimischen Rassismus auf TikTok von Personen mit eigener migrantischer Geschichte ausgeht. Beliebt ist unter anderem der TikToker Feroz Kahn. Seine Eltern kommen aus Pakistan, er selbst ist in Frankfurt geboren.
Unter dem Namen @achseostwest verbreitet Kahn antimuslimischen Rassismus unter dem Deckmantel, sich nur gegen illegale Migration aussprechen zu wollen. Gleichzeitig tut er so, als ob er selbst über Rassismus aufklären würde. In einem Video behauptet er etwa, dass es Rassismus gegen Weiße gebe. Ein weiterer TikTok-Account, der laut Claim einem antimuslimischen Migranten gehört, ist @teslahanofficial5.
3. Missionarisch auftretende christliche Accounts
Die Vorstellung, dass der Islam das christliche Abendland bedroht, scheint auch im Jahr 2024 noch eine Rolle zu spielen. Auf TikTok verbreiten die Accounts IC XC NIKA, SteveBLN und derretteristjesus.ev Bibel-Lehren als antimuslimische Kampagnen. In den Videos sind Kreuze zu sehen und Schriftzüge wie „Der Islam ist falsch“.
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