EU-Streit: Das Ende von Schengen?
Grenzen dichtmachen und Asylbewerber zurückweisen? Geht das überhaupt? – So ist die Lage
Sind Zurückweisungen an der deutschen Grenze durchführbar? Politisch, rechtlich und in praktischer Hinsicht gehen da die Meinungen weit auseinander. Ist überhaupt genug Personal da für eine Ausweitung der Grenzkontrollen? Wir klären auf.
München/Berlin – Zurückweisungen an deutschen Grenzen gibt es derzeit nur in bestimmten Fällen: Etwa wenn jemand mit einer Einreisesperre belegt ist oder kein Asyl beantragt. Seit Oktober 2023 ist das laut Bundesinnenministerium 30.000 Mal vorgekommen. Doch was hieße es, wenn künftig in viel mehr Fällen zurückgewiesen werden sollte?
Stichprobenartig Autos herausziehen wird nicht reichen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat bereits eine Ausweitung der Grenzkontrollen angeordnet. Zu den bisherigen Kontrollen zu Polen, Tschechien, der Schweiz und Österreich soll nun auch an den Grenzen zu Frankreich, Luxemburg, den Niederlanden, Belgien und Dänemark kontrolliert werden. Stichprobenartig einzelne Autos herauszuziehen, wird aus Sicht des Migrationsforschers Gerald Knaus aber nicht ausreichen. „Binnengrenzkontrollen, die irgendeine Wirkung haben sollen, bedeuten das Ende von Schengen, erfordern einen Bundesgrenzschutz und Zäune rund um Deutschland“, lautet seine Einschätzung. „Und selbst diese Binnenkontrollen werden scheitern, wenn Nachbarn kein Interesse haben, mitzumachen.“ Auch die Bundesregierung befürchtet, dass Zurückweisungen die Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten belasten würden.
Das ist auch das Signal, das aus Wien kommt. „Österreich wird keine Personen entgegennehmen, die aus Deutschland zurückgewiesen werden“, sagt Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zu „Bild“. Karner argumentiert, dass Deutschland zwar das Recht habe, Menschen zurückzuschicken, wenn ein anderes EU-Land für ihren Asylantrag zuständig ist. Dafür sei aber ein formelles Verfahren und die Zustimmung des betroffenen Mitgliedsstaates nötig. Zurückweisungen im Rahmen von Kontrollen an den EU-Binnengrenzen seien nicht erlaubt, sagt Karner.
Bei der CSU hofft man auf einen „Kaskadeneffekt“
In der CSU setzt man allerdings darauf, dass sich diese Sicht sehr schnell ändern könnte, sobald Deutschland einmal Fakten geschaffen hat. Von einem „Kaskadeneffekt“ spricht der Chef der Landtagsfraktion, Klaus Holetschek, gegenüber unserer Zeitung. „Das konsequente Handeln und Zurückweisen an unserer Grenze führt dazu, dass auch angrenzende Länder diesen Weg konsequent gehen werden“, sagt Holetschek. „Wenn sich diese Kaskade bis zur Außengrenze fortsetzt, ist es das, was wir erreichen wollen.“
Denn wenn künftig deutsches Recht angewendet würde und nicht mehr europäisches, müssten – so sieht es die Union – die Polizisten nicht mehr jeden, der bereits in einem anderen EU-Staat als Asylbewerber registriert ist, dennoch ins Land lassen, wenn dieser an der Grenze erneut ein Asylgesuch stellt. Stattdessen könnten sie in diesen Fällen zurückweisen. Die weitere Abwicklung wäre das Problem des Nachbarlandes. Ob das juristisch haltbar ist, ist umstritten – das Bundesinnenministerium hält es einem Rechtsvermerk zufolge für bedenklich.
Polen: Grenzkontroll-Pläne „inakzeptabel“
Polen kritisiert die Pläne der Bundesregierung zur Einführung von vorübergehenden Kontrollen an allen deutschen Landgrenzen scharf. „Dieses Vorgehen ist inakzeptabel“, sagte Regierungschef Donald Tusk in Warschau. Das Schengen-Abkommen werde damit praktisch ausgesetzt. „Was Polen braucht, ist nicht eine Verstärkung der Kontrollen an unserer Grenze, sondern eine stärkere Beteiligung von Ländern wie Deutschland an der Bewachung und Sicherung der Außengrenzen der EU“, fügte Tusk mit Blick auf die Situation an der Grenze seines Landes zu Russlands Verbündetem Belarus hinzu. Man werde andere betroffene Länder um dringende Konsultationen über Schritte innerhalb der EU bitten.
Ist genug Personal da für eine Ausweitung der Kontrollen?
Andreas Roßkopf, Vorsitzender für den Bereich Bundespolizei bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP), glaubt durchaus, dass schon konsequente Kontrollen einen „Riesendruck“ auf die Nachbarländer ausüben können, wenn nach deutschem Recht zurückgewiesen würde. Ein Problem sieht Roßkopf allerdings in der personellen Ausstattung. Die Ausweitung der Kontrollen sei mit den momentanen Kräften nur zu leisten, „so lange keine weitere Mehrbelastung entsteht“. Denn, so Roßkopf: „Wir sind am Limit.“
Der Bundespolizei fehlt es an der nötigen Ausstattung
Auch deshalb sei an einen wirklich flächendeckenden Grenzschutz „oder gar Grenzschließungen“ derzeit nicht zu denken, sagt Roßkopf. Neben mehr Personal fehle es dazu an Ausstattung – konkret an Fahrzeugtechnik, Ausrüstung zur Kennzeichenerkennung, Drohnentechnik und flexibel einsetzbaren Kontrollstellen. „Die Bundespolizei hat es verpasst, in moderne Grenztechnik zu investieren“, sagt Roßkopf unserer Zeitung. „Das fällt uns jetzt auf die Füße.“