Zukunfts- & Trendforscherin im Interview
Wie unsere Welt eine bessere wird und warum Rosenheim einen Kindness-Beauftragen braucht
In Zeiten der Krisen und Kriege klingt es wie eine Heilsbotschaft: Unsere Welt wird freundlicher. Freundliche Menschen und Organisationen werden die unfreundlichen ausbooten – so die Prognose der renommierten Trend- und Zukunftsforscherin Oona Horx Strathern.
von Isabella Fiala
Frau Horx Strathern, wenn Sie in die Zukunft blicken: Wie wird unsere Welt in zehn Jahren aussehen?
Ich denke, wir werden in zehn Jahren in einer nachhaltigeren, freundlicheren Welt leben. Die Welt wird nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltiger sein. Alle fordern gerade eine nachhaltige Ökologie, aber wir vergessen die soziale Nachhaltigkeit. Die ist genauso wichtig. Denn ohne eine soziale Nachhaltigkeit werden wir nicht motiviert sein, ökologisch nachhaltig zu leben.
In Ihrem soeben erschienenen Buch „Kindness Economy. Das neue Wirtschaftswunder“ beschreiben Sie eine Trendwende zu mehr Kindness, Freundlichkeit. Erfolgreiche Unternehmen wie Amazon und Firmenchefs wie Elon Musk verbindet man allerdings nicht unbedingt mit dem Begriff Kindness, sondern eher mit Profitdenken und schlechten Arbeitsbedingungen.
Jeder Trend hat auch immer einen Gegentrend. Manchmal braucht man den Peak-Point, den höchsten Punkt einer Entwicklung, um Lösungen zu finden. Wenn man die Wirtschaft anschaut – maximale Produktion, maximale Produktivität, maximale Ausbeutung, maximale Unzufriedenheit bei vielen Arbeitnehmern – braucht man einen Gegentrend, eine Gegenbewegung. Man sucht nach einer neuen Art von Economy, nämlich die Kindness Economy. Dies gilt nicht nur für die Wirtschaft, sondern für alle Bereiche des Lebens. Die zentrale Frage lautet dabei: Wie kann man eine bessere Lebensqualität für Menschen schaffen?
Die Generation Z fordert eine bessere Work-Life-Balance und soziale Arbeitsbedingungen. Hier findet bereits ein Umdenken statt.
Ganz genau. Ich glaube, die Kindness Economy wird in den nächsten Jahren immer wichtiger. Das liegt zum einen an der Digitalisierung. Dadurch sind wir sehr anonym geworden, das Bedürfnis nach mehr Menschlichkeit, mehr Miteinander und sozialer Nachhaltigkeit ist groß. Die digitalisierte Welt ist so unkind, so unfreundlich. Auf dem Sozialen Netzwerk X, ehemals Twitter, beschimpfen sich die Menschen, schreiben gemeine Kommentare. Hier brauchen wir einen Gegentrend. Es ist kein Zufall, dass Mark Zuckerberg gesagt hat: Vergesst Twitter! Twitter is so unkind. Er hat eine Plattform entwickelt, Threads, und die basiert auf dem Prinzip Kindness. Hier zeichnet sich der neue Trend bereits ab. Der andere wesentliche Faktor für die Entwicklung hin zu mehr Kindness ist, dass mehr Frauen in die Wirtschaft kommen.
Weil Frauen sozialer sind?
Ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt, aber viele Untersuchungen sagen, Frauen agieren sozialer als Männer, sie sind kommunikativer. Dass wir Frauen mehr Einfluss in der Wirtschaft haben werden, wird vieles verändern. Wir werden gegen die blauen, dunklen Anzüge, die Männerkultur, antreten, da wird einiges anders und besser werden.
Seit 30 Jahren arbeiten Sie als Trendforscherin und beraten große Firmen wie BMW, Audi oder L’Oréal. Erkennen Sie hier bereits eine Wende zu mehr Kindness?
Ja, das merkt man schon langsam. Bei vielen Firmen findet ein Umdenken statt. Der britische Konzern Unilever, weltweit einer der größten Hersteller von Verbrauchsgütern, zum Beispiel kümmert sich mehr um die Menschen, das Unternehmen wird nicht nur ökologisch, sondern auch sozial nachhaltiger. Ein weiteres Beispiel ist der Outdoor-Hersteller Patagonia, eine riesige Firma, die sich seit ihrer Gründung 1973 sehr stark sozial und ökologisch engagiert und zugleich wirtschaftlich sehr erfolgreich ist und viel Profit macht. Patagonia war auch eine der ersten großen Firmen, die eine Kinderbetreuung eingeführt haben.
Wird es für den Verbraucher zunehmend wichtig, für welche Werte ein Unternehmen steht?
Immer mehr Kunden achten darauf, welches Produkt sie kaufen und für welche Werte die Firma steht. Bei Schokolade achtet man zum Beispiel auf das Fairtrade-Siegel, in Zukunft werden wir viel mehr Zertifizierungen haben, an denen man sich orientieren kann. Neben den bestehenden Key Performance Indicators, mit denen der wirtschaftliche Erfolg eines Unternehmens gemessen werden, wird man in Zukunft auch nach den Kindness Performance Indicators schauen.
Ein Messgrad für das soziale Engagement eines Unternehmens?
Ja, die Kindness Performance Indicators sind eine Art Tabelle, an der man ablesen kann, wie sozial ein Unternehmen ist. Das gibt Vertrauen in die Firma. Der Verbraucher weiß: Die Menschen werden gut behandelt, die Firma setzt sich für die Umwelt und soziale Standards ein.
Das Prinzip Kindness wird nicht nur Mensch, Umwelt und Wirtschaft verändern, sondern auch unsere Städte, prognostizieren Sie in Ihrem Buch. Wie sehen die Städte der Zukunft aus?
Ich arbeite viel in der Stadtentwicklung und -planung und hier wird geschaut: Was brauchen die Menschen? Es gibt in unserer Gesellschaft viele Ein-Personen-Haushalte und unsere Gesellschaft wird älter. Diese zwei Demographen brauchen mehr Nachbarschaft, mehr Gemeinschaft. Die zentrale Frage ist also, wie man eine Stadt entsprechend gestaltet, um auf diese Bedürfnisse eingehen zu können. In Paris wird gerade versucht, die 15-Minuten-Stadt umzusetzen. Das bedeutet, dass jeder Bewohner innerhalb von 15 Minuten zu Fuß alle wichtigen Services für das tägliche Leben erreichen kann.
Oona Horx Strathern
geboren in Dublin, aufgewachsen in London, ist seit 30 Jahren als Trend- und Zukunftsforscherin sowie als Autorin und Beraterin tätig. Auf internationalen Bühnen sowie in Print und TV ist sie eine gefragte Expertin. Horx Strathern versteht sich als eine Erforscherin des Neuen, aber vor allem des Besseren. Es geht ihr um einen frischen (weiblichen) Optimismus hinsichtlich unserer Wohn- und Lebensräume der Zukunft. Sie ist Verfasserin des Wohnreports für das Zukunftsinstitut. Zu ihren Kunden zählen BMW, Audi, Axor, L’Oréal, Avanade, Strabag, A1 und KPMG.
Im ländlichen Raum ist die Grundversorgung oft schwierig, in vielen Dörfern schließen die kleinen Geschäfte und der nächste Supermarkt ist nur mit dem Auto oder Bus erreichbar. Wie kann dem entgegengewirkt werden?
Das ist ein großes Problem. Hier braucht man dringend wieder den Dorfplatz mit Metzger, Bäcker, Dorfladen, einem Café. Trofaiach, eine Kleinstadt in Österreich, hat deshalb die Stelle eines Kümmerers, eines Innenstadt-Koordinators, geschaffen, um wieder Leben in die Kleinstadt zu bringen. Gemeinsam mit den Bewohnern und lokalen Unternehmen denkt, entwickelt und plant er die Stadt neu.
Auch in Rosenheim herrscht zunehmend Leerstand.
Das kann eine große Chance sein, wenn hier ein Umdenken stattfindet vom reinen Konsumdenken hin zu einer sozialen Stadt. Eine Stadt kann durchaus kind oder sogar ein fürsorglicher Ort zum Leben sein. In einem leeren Laden muss nicht zwingend das nächste Geschäft eröffnen. Der Leerstand kann auch für Begegnungsstätten, für temporäre Orte der Kunst, für einen Co-Working-Space genutzt werden, das bringt Leben in die Stadt und belebt zugleich den Einzelhandel.
Es gibt in Rosenheim bereits erste Projekte zur Leerstandsbelebung wie die Kulturzentren Affekt und Alte Druckerei sowie die vor Kurzem eröffnete Pop-up-Galerie Foyer33.
Das ist ein Anfang. Jan Gehl, ein dänischer Stadtplaner hat einmal gesagt: „Eine gute Stadt ist wie eine gute Party – die Leute bleiben länger, als sie eigentlich müssten, weil sie sich amüsieren.“ Ich glaube, wir brauchen auch neue Berufe wie zum Beispiel den des Kindness-Beauftragten. Wenn Rosenheim einen Kindness-Beauftragten hätte, könnte er neue Ideen für die Stadt entwickeln.
Was wäre seine Aufgabe?
Er würde zum Beispiel schauen, was in der Stadt fehlt. Was könnte man mit den leeren Geschäften machen, wie ist die Mobilität der Menschen, die kein Auto haben. Was ist mit der Einsamkeit? Das ist ein großes soziales Thema, das auch für die Gesundheitskasse viel bedeutet. Wenn man sich hierfür einsetzen würde, könnte man an anderer Stelle viel Geld einsparen. Das Prinzip Kindness kann vieles bewirken und verändern.
Kann man Kindness, Freundlichkeit eigentlich erlernen?
Das ist eine gute Frage. Der Evolutionsbiologe Richard Dawkins sagt, Kindness liegt nicht in unserer DNA. Wir müssen sie erlernen. In Irland, wo ich geboren bin, wird Empathie als Schulfach unterrichtet. Das ist ein guter Ausgang für die nächste Generation. Vielleicht hat diese dann eine andere Idee, wie man Business machen kann, weil sie gelernt hat, wie wichtig Kindness für das Miteinander und den wirtschaftlichen Erfolg ist.
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