„Ihr gutes Recht“
Verhalten von Frauen im Wiesn-Zelt verbreitet sich bei TikTok - das sagt die Polizei
Eine TikTokerin teilt ein Video, in dem sie im Festzelt auf dem Münchner Oktoberfest nach einem „Sugar-Daddy“ mit Tischreservierung Ausschau hält. Gefährlich oder clever?
„I am looking for a sugar daddy with a table“, sagen mehrere Frauenstimmen in einer Art Kanon. Übersetzt sind junge Frauen, die diesen TikTok-Sound benutzen, „auf der Suche nach einem alten reichen Mann mit einem Tisch“. So zum Beispiel @evil_suki. „Nichts gönnt mehr, als zur Wiesn hübsch zu sein“, schreibt sie am Montag, 23. September.
Sie lädt ein TikTok-Video (siehe unten) hoch, in dem sie in einem Wiesn-Festzelt nach „Sugar Daddies“ Ausschau hält. Im Hintergrund der Sugar-Daddy-TikTok-Sound. Über 465.000 Menschen haben das Video gesehen, einige junge Frauen feiern die TikTokerin. „Lass machen“, kommentiert eine und verlinkt ihre Freundin. „Nimm mich mal mit, bitte“, schreibt eine andere.
Auf dem Münchner Oktoberfest kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen. Es wird gegrabscht, belästigt und im schlimmsten Fall vergewaltigt. Expertinnen sprachen gegenüber der Frankfurter Rundschau.de von einer „sexualisierten Grundatmosphäre“ auf der Wiesn. Wie gefährlich kann es werden, wenn junge Frauen diese Stimmung nutzen, um bei fremden „alten reichen Männern“ am Tisch zu landen?
@evil_suki Mission completed ✅ ig EvilSuki #oktoberfest
♬ Originalton - Rebecca
Sugar-Daddy-Suche auf der Wiesn: Polizei München reagiert
BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA fragt bei der Polizei München an, wie gefährlich sie dieses Verhalten einschätzt. Die will sich zu dem Sugar-Daddy-TikTok-Sound konkret nicht äußern, teilt uns jedoch mit, dass es in der vergangenen Wiesn-Saison 81 Sexualdelikte gab. Die Dunkelziffer sei „erheblich höher“, da manche Frauen, gerade Touristinnen, „doppelt und dreifach über eine Anzeige nachdenken“, ergänzt Kristina Gottlöber. Sie ist Sozialpädagogin bei der Initiative für Münchner Mädchen (IMMA) und Teil der Anlaufstelle „Sichere Wiesn“, die vergangenes Jahr insgesamt 350 hilflose Frauen betreut hat.
Typische Täterprofile und Tatsituationen habe es nicht gegeben, sagt uns die Polizei. Das bestätigt Gottlöber: „Frauen werden in ganz unterschiedlichen Situationen belästigt. Das kann jemand aus dem Freundeskreis sein, der eigene Partner, ein Kollege bei der Firmenwiesen oder eben ein Fremdtäter.“ Sexuelle Übergriffe gebe es auch beim Münchner Oktoberfest in jeder Situation, altersunabhängig, unabhängig vom Alkoholkonsum und unabhängig davon, was Betroffene getragen haben. „Es gibt keine Kleidung und kein Verhalten, das vor sexualisierter Gewalt schützt“, stellt Gottlöber klar.
Wann die Sugar-Daddy-Suche auf der Wiesn „problematisch wird“
„Aus feministischer Perspektive haben diese jungen Frauen das gute Recht, sich jemanden zu suchen, mit dem sie einen schönen Abend verbringen können“, sagt die Sozialpädagogin BuzzFeed News Deutschland. „Wenn die Gesellschaft sagt, damit hätten sie sexuelle Belästigungen provoziert, dann wird es problematisch.“ Kein Mann habe das Recht, sexuelle Gegenleistungen zu verlangen, wenn er Frauen einlade oder ihnen seinen Tisch zur Verfügung stelle und die so clever sind, das Angebot anzunehmen.
„Es ist davon auszugehen, dass es Männer gibt, die versuchen solche Situationen auszunutzen“, vermutet Gottlöber. „Da ist sicher eine gewisse Erwartungshaltung, das kann man nicht vom Tisch wischen.“ Damit es für junge Frauen, die bei der Wiesn nach einem „alten reichen Mann mit Tisch suchen“, nicht gefährlich wird, rät sie Folgendes: „Hab Spaß auf der Wiesn, gestalte es so wie du magst, aber hab ein Gespür für deine eigenen Grenzen. Wenn du spürst, du willst es nicht mehr, bist du zu nichts verpflichtet. Dabei ist es egal auf wie viel Maß du dich hast einladen hast lassen.“ (siehe TikTok unten)
@annaslookbook Oane moan i pack i no 😇🍺✨ . #oktoberfest #dirndl #tracht #wiesn #styleinspo #wiesntrends #dontcallmebaby #bier #mass #ootd #outfitinspo ♬ dont call me baby - mae_grl17 on IG🙌🏼
Auch die Münchener Polizei rät allen Wiesn-Besuchern und Besucherinnen sich „frühzeitig“ aus einer Situation zu entfernen, in der sie sich „unwohl fühlen“. Besonders wichtig sei „genug Handyakku zu haben“, um im Zweifel den Notruf wählen zu können (110). In gefährlichen oder unangenehmen Situationen könnten sich Wiesn-Besucherinnen an den Sicherheitsdienst oder Ordnungskräfte wenden oder Passanten und Bedienungen um Schutz bitten.
Oder sie suchen sich direkt bei Frauen wie Kristina Gottlöber von der „Sicheren Wiesn“ Hilfe. Deren „Safe Space“ befindet sich im Servicezentrum unweit der Bavaria hinter dem Schottenhamelzelt beim Eingang „Erste Hilfe“, wo auch die Polizei mit ihrer Wiesnwache stationiert ist. „Wir nehmen jeden Fall ernst und bieten Unterstützung an – egal ob eine Frau nur ihr Handy verloren hat oder es einen Übergriff gegeben hat“, sagt Gottlöber.
Rubriklistenbild: © Screenshot: TikTok @evil_suki