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Exklusiv-Interview: „Sind beide sehr bürgerliche Politiker“

Merz rügt nach Berlin-Randalen „Chaoten“ – Söder warnt vor Grünen als „Blackout-Risiko“

Friedrich Merz (CDU) und Markus Söder (CSU) im Interview
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Friedrich Merz (CDU) und Markus Söder (CSU) im Interview.

Die beiden Unionschefs sprechen im Interview über die Berliner Silvesternacht, Atomkraft, Fehler der Ampel – und ihre neue Männerfreundschaft.

München – Es ist genau ein Jahr her, dass sich Markus Söder und Friedrich Merz am Kirchsee im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen erstmals zu einem ruhigen Strategiegespräch trafen. Die harmonischen Bilder vom winterlichen See sollten ein neues Zeitalter in den zuletzt turbulenten Zeiten einläuten. Den Anfang des Jahres verbringt Merz (67) nun wieder in seinem Haus in Oberbayern. Unsere Zeitung bat ihn und Söder (55) erneut zu einem Treffen an einem See – diesmal am Kleinhesseloher See im Englischen Garten in München.

Im Seehaus sprachen wir mit den konservativen Parteichefs über die großen Baustellen der Zeit – und die Antworten der Ampel. Trotz schwieriger Zeiten ein launiges Gespräch, bei dem natürlich auch gefragt wurde, wie die Union ihren nächsten Kanzlerkandidaten nominieren will.

Herr Merz, wie und wo haben Sie Silvester gefeiert? Daheim im Sauerland, in der Wahlheimat Bayern oder in der beruflichen Heimat Berlin?
Merz: Weihnachten wie immer zuhause im Sauerland und den Jahreswechsel wie manchmal in Bayern. Berlin war für Weihnachten nie eine Option, für Silvester selten – und in diesem Jahr schon gleich gar nicht.
Was haben Sie sich gedacht, als Sie die Bilder gesehen haben?
Merz: Diese Chaoten, die meisten davon mit Migrationshintergrund, fordern mit Randale den Staat heraus.
Herr Söder, braucht es abgesehen von der Diskussion um Strafen eine neue Migrationsdebatte?
Söder: Ich sehe das in erster Linie als Berlin-Problem. In Bayern gelingt die Integration viel besser, obwohl wir mit den höchsten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund haben. Warum? Weil Integration am besten über Wirtschaft und Arbeitsplätze funktioniert und dabei ist Bayern in Deutschland einfach am besten aufgestellt. Und wir werden auch weiter Zuwanderung für den Arbeitsmarkt brauchen.
Die Bundesregierung hat dazu Pläne ...
Söder: ... aber die falschen. Die Ampel müsste einfach dafür sorgen, dass die Visa in den deutschen Botschaften am Westbalkan schneller erteilt werden. Zum Teil braucht es zwölf oder 24 Monate, um Arbeitsvisa auszustellen. Doch statt die Botschaften für die Praxis besser auszustatten, forciert man eine ideologische Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts.

Merz und Söder im Interview: Wiederholt sich in Deutschland aktuell das Jahr 2015?

Ihre Kanzlerin Merkel hat das heilige Versprechen abgegeben, 2015 werde sich nicht wiederholen. Jetzt müssen Landräte wieder Turnhallen konfiszieren, um Ankömmlinge unterzubringen.
Merz: Es wiederholt sich auch nicht. Wir haben zur Zeit nicht diesen völlig unkontrollierten Zuzug wie damals, denn es sind aus der Ukraine rund eine Million Flüchtlinge wegen Putins Krieg, überwiegend Frauen und Kinder, nach Deutschland gekommen, und diesen Flüchtlingen gilt unsere ganze Solidarität und Unterstützung. Allerdings steigt die Zahl der Flüchtlinge wieder über die Balkanroute. Und damit wiederholen sich die Unterbringungsprobleme.
Söder: Bayern hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als Frankreich. Wir zeigen Herz. Aber der Bund gibt die Steuerung der Migration teilweise aus der Hand an Nichtregierungsorganisationen. Ist es besser, wenn am Ende NGOs anstelle des Staates entscheiden? Das ist ein generelles Problem der Ampel: Vor allem Grüne machen Deutschland zu einer NGO-Republik. Greenpeace und Attac sind die neuen Drahtzieher im Außen- und Wirtschaftsministerium und haben mehr Einfluss als gestandene Fachleute.
Herr Merz, wie geschlossen ist die Union bei dem Thema? Eine ganze Reihe von Abgeordneten des Merkel-Flügels hat beim Chancenaufenthaltsrecht gegen die offizielle Position der CDU gestimmt.
Merz: Sie haben nicht dagegen gestimmt, sondern eine kleine Gruppe hat sich bei einem Gesetzentwurf der Koalition enthalten. Grundsätzlich hat schon meine Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer die Ereignisse 2016/2017 aufgearbeitet – und bei diesen Ergebnissen wird es bleiben.
Lassen Sie uns über die Union und Ihr persönliches Verhältnis reden. Ist unsere Wahrnehmung falsch, dass Sie in der Vergangenheit nicht immer die allerbesten Freunde waren?
Merz: Ihre Wahrnehmung ist deshalb falsch, weil wir bis zum letzten Jahr zu völlig unterschiedlichen Zeiten politische Ämter hatten. Wir kennen uns zwar seit Jahrzehnten, hatten aber wenig Überschneidungen: Markus Söder war junger CSU-Generalsekretär, als ich das erste Mal Fraktionsvorsitzender wurde – da hatten wir wenig miteinander zu tun. Markus Söder wurde Ministerpräsident, als ich gar nicht in der Politik war – auch da hatten wir wenig miteinander zu tun. Das hat sich erst geändert, als ich Parteivorsitzender der CDU wurde. Wir haben ein persönlich völlig störungsfreies Verhältnis.
Herr Söder, versuchen Sie mal charmant zu sein: Was schätzen Sie am Oppositionsführer und Menschen Friedrich Merz?
Söder: Geradlinigkeit, klare Worte und das richtige Koordinatensystem. Friedrich ist jetzt schon mein dritter Parteivorsitzender der CDU (Merz lacht) – und die Zusammenarbeit mit ihm ist mit Abstand die beste. Der grundlegende Vorteil ist, dass es in der politischen Substanz einfach eine viel höhere Gemeinsamkeit gibt. Wir sind beide sehr bürgerliche Politiker. Das hat geholfen, als wir beide nach dem schwierigen Jahr 2021 zusammengefunden haben.
Merz: Ich kann das nur bestätigen. Wir können uns aufeinander verlassen. Das gilt auch für die Bundestagsfraktion und Alexander Dobrindt.
Söder: Alexander ist ein starker Politiker und ein sehr verlässlicher Partner. Wir arbeiten super zusammen.
Können Sie uns beschreiben, wie Ihre Abstimmung praktisch aussieht?
Merz: Da sind wir beide ähnlich: SMS schreiben wir uns relativ kurz und ohne Schnörkel. Wenn es nötig ist, telefonieren wir am Sonntagabend. So oder so gibt es jeden Montagmorgen um 8 Uhr eine „Unionslage“, in der wir in kleinem Kreis die kommende Woche abstimmen.
Söder: Und anders als zu Zeiten von Angela Merkel oder Edmund Stoiber ist das eine Videokonferenz. Es ist ein großer Unterschied, ob man sich sieht. Die Arbeits- und Rollenverteilung ist ohnehin klar: Oppositionsführer in Berlin ist Friedrich Merz. Ich bin Ministerpräsident und bringe mich im Bund besonders ein, wenn es Bayern betrifft.

Wie Merz und Söder die Kanzlerkandidaten-Frage klären wollen

Wenn Sie ein so tolles Einvernehmen haben, haben Sie die Kanzlerkandidatur sicher schon geklärt.
Merz: (lacht) Ich habe darauf gewartet, ob das als erste, zweite oder dritte Frage kommt.
In der Mitte. Aber die Frage muss ja kommen, weil es beim letzten Mal eher suboptimal lief.
Merz: Das haben Sie nett formuliert.
Muss die Nominierung beim nächsten Mal zeitiger erfolgen?
Merz: Deswegen bin ich im Herbst 2020 innerhalb der CDU ja auch etwas unfreundlich geworden. Sie brauchen für die gute Vorbereitung einer Bundestagswahl ein Jahr. Unterstellen wir mal, die Wahl findet regulär im Herbst 2025 statt – was bei dieser Ampel ungewisser denn je ist –, dann hieße das: Spätestens im Frühherbst 2024 müssen wir eine Entscheidung treffen.
Ist es wieder so wie früher, dass sich die beiden Vorsitzenden auf einen Kandidaten einigen müssen?
Söder: Wenn sich die Vorsitzenden nicht einigen, ist die Sache von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Das war schon in den 70ern bei der Kampfkandidatur Franz Josef Strauß gegen Ernst Albrecht so. Das heißt: Wir müssen uns verständigen. Nur Einigkeit führt zum Erfolg.
Also: Wie verständigen?
Söder: Aus meiner Sicht ist die Sache klar: Der Parteivorsitzende der CDU hat innerhalb der CDU den klaren Führungsanspruch. Die CDU wiederum hat im Normalfall den Vorrang gegenüber der CSU. Ich persönlich habe definitiv keine Ambitionen mehr. Das Thema Kanzlerkandidatur ist für mich erledigt. Im Leben eines CSUlers kommt dies auch höchstens einmal auf einen zu – so war es bei Strauß, Stoiber und auch mir –, aber kein zweites Mal. Meine Aufgabe ist Ministerpräsident in Bayern, dafür brenne ich und dafür setze ich mich mit aller Kraft ein. Ich möchte, dass wir in Bayern eine freie bürgerliche Regierung behalten und keine Mini-Ampel wie in Berlin bekommen.
Lassen Sie uns über das Hier und Jetzt sprechen: Christian Lindner hat ein Thesenpapier vorgelegt. Ältere fühlen sich an Otto Graf Lambsdorff 1982 erinnert. Der Anfang vom Ende der Koalition damals.
Söder: Der Unterschied ist: Christian Lindner legt dieses Papier nicht vor, um die strategische Ausrichtung der Ampel-Politik zu ändern, sondern aus schlechtem Gewissen vor den Landtagswahlen in diesem Jahr. Die FDP macht bislang das komplette Gegenteil von dem, was sie versprochen hat. Christian Lindner ist der größte Schulden-Finanzminister, den Deutschland je hatte.

CDU- und CSU-Unionschefs über Atomkraft und die Zukunft der Energiegewinnung

Ein deutsches Schicksalsthema dürfte die Energie werden. Herr Merz, Sie haben intern gesagt, zum Bestellen der Brennstäbe sei es jetzt zu spät. Haben Sie die Hoffnung aufgegeben, die AKWs über den April hinaus laufen zu lassen?
Merz: Wir fordern seit dem letzten Sommer, dass die Kernkraftwerke weiterlaufen sollen. Daran hat sich nichts geändert. Der Bundeskanzler aber hat in einem förmlichen Brief an die Koalitionspartner mit der Richtlinienkompetenz ein Machtwort gesprochen und gesagt: Am 15. April ist Schluss. Das ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik. Daran wird sich nach meiner Einschätzung nichts mehr ändern. Die Sozialdemokraten und die Grünen haben sich politisch festgelegt. Ich halte das trotzdem für einen Fehler.
Aber dann macht es auch keinen Sinn mehr, wenn die Union weiter eine Verlängerung fordert.
Söder: Doch. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir die Kernenergie noch länger benötigen. Die Grünen sind das Blackout-Risiko Nummer eins. Deshalb brauchen wir sofort einen neuen Stresstest, um zu sehen, was uns ab April bevorsteht. Wir können doch nicht nur auf Dauer von sehr teurem amerikanischem Fracking-Flüssiggas und einem Hofknicks in Katar abhängig sein. Damit droht durch die extrem hohen Preise ein schleichender Abstieg Deutschlands. Wir dürfen uns in dieser Lage nicht der Kernenergie und auch nicht günstigem deutschen Gas verweigern. Sonst geht es uns wie der Fußball-Nationalmannschaft: gute Moral, aber mieses Ergebnis.
Was ist die Lösung?
Söder: Neben dem massiven Ausbau der Erneuerbaren braucht es eine Energiebrücke für die Krisenjahre: Im Norden fördern wir Gas, im Süden laufen dafür die Kernkraftwerke länger. Das schafft Sicherheit und Stabilität für die nötige Übergangszeit.
Warum Fracking nur im Norden, nicht in Bayern?
Söder: Das geht nach Geologie. Wir haben anders als der Norden schlicht keine großen Potenziale. Ich weiß, dass Fracking umstritten ist – aber es herrscht eine besondere Notlage und die heutige Skepsis der Bevölkerung basiert auf den Methoden von vor zehn Jahren. Heute gibt es ganz andere Technologien. Das sagen selbst die Experten der Bundesregierung. Leider ignoriert die Ampel gute Argumente. Robert Habeck sollte lernen, dass er in erster Linie auch Wirtschaftsminister ist und nicht nur grüner Klimaminister. Es bleibt eine grüne Lebenslüge, zu glauben, man könne gleichzeitig aus Öl, Kohle, Gas und Kernkraft aussteigen, ohne dass es zu einem wirtschaftlichen und sozialen Crash in Deutschland kommt.

Markus Söder: „Absolute Mehrheiten wirken auf die Bürger heute zumeist unsympathisch“

Herr Merz, die Union kritisiert viel, verschweigt aber, dass viele Probleme aus 16 Jahren Merkel-Regierung stammen.
Merz: Das ist vor allem die Erzählung der Ampelparteien, die den Eindruck erwecken, wir hätten 16 Jahre allein regiert. Aber es war immer einer von denen mit dabei, meistens die SPD. Von den letzten 24 Jahren war die SPD sogar 20 Jahre lang an der Regierung beteiligt und hat sieben Jahre den Kanzler gestellt.
Aber der Atomausstieg war das Thema von Söder und Merkel.
Söder: Da haben Sie aber ein sehr selektives Gedächtnis. Als ob wir das allein betrieben hätten ...
Merz: Der Beschluss zum Ausstieg 2011 entstand unter dem Eindruck des Reaktorunfalls in Japan. Aus heutiger Sicht würde die Union die Reihenfolge ändern: Nicht erst aussteigen und sich dann die Alternativen zu überlegen. Um es klar zu sagen: Die alte Kernenergie ist durch. Aber wir brauchen Klarheit, wo künftig der grundlastfähige Strom herkommt. Man kann uns wahrlich manchen Fehler aus den 16 Jahren vorwerfen – aber warum um alles in der Welt muss diese Regierung diese Fehler denn wiederholen – erst überall aussteigen und dann mühsam danach suchen, wie wir unsere Energieversorgung sichern?
Ein Blick auf Bayern: Wie wichtig ist die Landtagswahl für die politische Statik der Union bundesweit?
Merz: Die Bayern wählen drei Wochen vor Hessen – bei den beiden großen Flächenstaaten legt Bayern also vor. Hessen ist für uns ein sehr anspruchsvolles Terrain. Das ist wie im vergangenen Jahr, als das kleinere Schleswig-Holstein vorlegte und die CDU dann in Nordrhein-Westfalen große Erfolge feierte ...
Söder: ... Du willst uns doch jetzt nicht mit Schleswig-Holstein vergleichen? (lacht) Streichen Sie den Satz mit der guten Zusammenarbeit. (Gelächter)
Im Ernst: Herr Merz, finden Sie wie Ilse Aigner, dass das Ziel der CSU die Rückeroberung der absoluten Mehrheit sein sollte?
Söder: Das sieht Ilse Aigner mittlerweile auch anders. Wir sind uns da völlig einig.
Merz: Da ich mit Ilse Aigner gut befreundet bin, kann ich sagen: Sie weiß wie wir alle, dass absolute Mehrheiten nur noch in den seltensten Ausnahmefällen erreichbar sind. Ein bärenstarkes Ergebnis der CSU in Bayern wäre ein großer Erfolg für die ganze Union.
Söder: Das Ziel ist, stabil zu regieren. Absolute Mehrheiten wirken auf die Bürger heute zumeist unsympathisch. Und eine Partei, die sich nur um ihre Zahlen dreht, wirkt arrogant. Wichtig ist unsere gemeinsame Regierungsbilanz. Bayern geht es im Vergleich zu allen anderen Bundesländern sehr gut und wir haben einen Plan für die Zukunft. Wir wollen gemeinsam mit den Freien Wählern weiterregieren. Schwarz-Grün wird es in Bayern nicht geben. Wir brauchen kein Ampel-Hickhack, sondern eine verlässliche bürgerliche Regierung für den Freistaat. Dafür stehen wir.

Interview: Georg Anastasiadis, Mike Schier und Christian Deutschländer

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