Interview mit Chefarzt Prof. Dr. Peter Young
Long COVID und die Folgen: „Ein normaler Alltag ist kaum noch zu bewältigen“
Das Chronische Fatigue-Syndrom ist eines der häufigsten Symptome von Long Covid. Mehr als 500.000 Menschen sind in Deutschland davon betroffen – auch viele bei uns in der Region. Woran liegt das? Wie wirkt sich Fatigue aus und was hilft Betroffenen? Antworten von Prof. Dr. Peter Young vom Medical Park Bad Feilnbach.
von Raphaela Kreitmeir
Sie sind Neurologe, Intensiv- und Schlafmediziner. Braucht man die Expertise in all diesen Fachbereichen, um Fatigue richtig begreifen zu können?
Prof. Dr. Peter Young: Um Fatigue richtig begreifen und behandeln zu können, braucht man noch viel mehr Expertise, denn es handelt sich ja um eine Form von Erschöpfung und Erschöpfbarkeit, die sich sowohl körperlich als auch kognitiv ausdrücken kann. Ich als Neurologe konzentriere mich auf die somatischen Aspekte – und das nicht erst seit Corona. Denn auch Patienten mit Muskelschwund-Erkrankungen, mit Multipler Sklerose oder dem Pfeifferschen Drüsenfieber, um nur einige Beispiele zu nennen, können stark unter Fatigue leiden. Aber so richtig bekannt ist Fatigue erst seit Corona – oder täuscht der Eindruck? Durch Covid hat das chronische Fatigue Syndrom in Punkto Zahl der Betroffenen eine ganz neue Dimension erreicht. Menschen sind damit in Berührung gekommen, die sonst eher nichts damit zu tun gehabt hätten. Bis zur Erkrankung waren sie gesund, fit, oftmals auch jung beziehungsweise im sogenannten besten Alter. Und auf einmal haben sie keine Energie mehr für kleinste Anstrengungen, können sich nicht mehr konzentrieren, sind in einem „Brain Fog“ wie unter einer Käseglocke gefangen und fühlen sich abgetrennt von ihrer Umwelt
CFS - Das Chronische Fatigue-Syndrom
Laut Charité treten/traten bei etwa 6 bis 15 Prozent der Betroffenen nach einer Ansteckung mit dem Coronavirus Long Covid Beschwerden auf. Zu den häufigsten gehört das chronische Fatigue-Syndrom. Der andauernde Ermüdungszustand ist die wohl schwerste Form, an Long Covid zu leiden. Ein normaler Alltag ist für die Betroffenen kaum noch zu bewältigen.
Wer ist der richtige Ansprechpartner hier in der Region für Betroffene?
Prof. Dr. Peter Young: Immer zuerst der Hausarzt, er kennt die Patienten und kann an die entsprechenden Fachärzte weiterleiten. Denn zuvor muss das Krankheitsbild medizinisch und auch internistisch abgeklärt werden, um Ursachen wie beispielsweise Stoffwechsel-Erkrankungen auszuschließen. Der Hausarzt weiß dann auch, wo der jeweilige Patient mit seinem Erkrankungsbild am besten Hilfe erhält, ob in einer Fatigue-Ambulanz, Fatigue-Sprechstunde oder in einer Rehaklinik. Was verursacht Fatigue? Das wissen wir noch nicht richtig. Wir wissen, dass es Entzündungskaskaden im Bereich der Inflammation gibt, also eine Veränderung der Entzündungskonstellation im Blut. Aber wir wissen noch nicht, wie wir diese behandeln können. Mit entzündungshemmenden Mitteln, wie bei Grippe, geht es (derzeit) noch nicht.
Wie kann man den Menschen helfen, nachdem die Diagnose feststeht, und wie funktioniert die Therapie?
Prof. Dr. Peter Young: Das kommt natürlich auf die spezielle Symptomatik an. Wir leben im Zeitalter der personalisierten Medizin, in dem für jeden Patienten genau das an Therapie entwickelt wird, was individuell hilft. Das kann der Einsatz von niedrig dosierten Psychopharmaka als eine Form von Wachmacher sein, oder Schlaftherapie. Dadurch wird die Fatigue nicht beseitigt, aber reduziert. Ganz wichtig ist es, die Patienten dabei zu unterstützen, mir ihrer neuen „Normalität“ zurechtzukommen. Sie müssen lernen, mit der Frustration, was alles nicht mehr wie gewohnt funktioniert, zurechtzukommen, und Methoden entwickeln, wie sie mit dem, was ihnen an Energie zur Verfügung steht, Fortschritte machen können. Als Hilfe für Fatigue-Erkrankte liest man immer wieder von Pacing. Was ist damit gemeint? Betroffene müssen ihre Grenzen neu verstehen und kennenlernen, sie müssen die Leistungsansprüche an sich selbst reduzieren und neu definieren. Und das ist erst einmal ein harter Weg. Denn das Leben mit all seinen Anforderungen bleibt ja bestehen. Job, Familie, soziale Kontakte – all das fordert Energie. Und davon haben Betroffene viel zu wenig. Die meisten sind erst einmal komplett überrascht, wie schwerwiegend ihre Erschöpfung und Erschöpfbarkeit sind. Sie fühlen sich hilflos und brauchen Unterstützung.
Können Sie sich an einen Fatigue-Fall erinnern, der Sie besonders bewegt hat?
Prof. Dr. Peter Young: Sogar an zwei: Ein Patient, der als ambitionierter Läufer an Marathons teilnahm, steckte sich mit Corona an und hatte erst einmal nur leichte Symptome wie Schnupfen und Husten. Allerdings fühlte er sich von Anfang an ziemlich erschöpft. Nach der Erkrankung folgte erst ein symptomfreies Intervall, dann erkrankte er nach circa sechs Wochen an schwerer Fatigue. Seine maximale Gehstrecke betrug noch fünf Minuten, dann waren seine Energiereserven komplett aufgebraucht. Während der achtwöchigen Reha bei uns im Haus nahm er zum einen an dem Pacing-Programm teil, lernte also seine neuen Grenzen kennen, zum anderen trainierte er unter Anleitung seine Ausdauer. Am Ende der Reha schaffte er es, eine Stunde am Stück spazieren zu gehen. Vor allem aber hatte er die Zuversicht gewonnen, dass sich sein Zustand weiter zum Besseren entwickeln kann. Ein weiterer Fall, an den ich mich gut erinnere, ist eine junge Frau, eine Berufssoldatin, die bereits seit einem Jahr an Long Covid litt, sich aber immer versuchte zusammenzureißen und sich alles abverlangte. Danach folgten totale Zusammenbrüche, weil sie nicht mehr konnte. In den zehn Wochen Reha bei uns hat sie gelernt, ihre Erwartungen herunterzuschrauben und zu erkennen, wo ihre Grenzen liegen. Sie konnte so 70 Prozent ihrer Leistungsfähigkeit wiederherstellen.
Leselust geweckt?
Diesen Artikel findet Ihr in der neuen Ausgabe der ROSENHEIMERIN.
Außerdem bunte Geschichten aus dem Leben, tolle Stories über besondere Menschen und jede Menge Inspiration in Sachen Lifestyle, Fashion, Beauty und Genuss.
Lasst Euch einfach inspirieren.
Die ROSENHEIMERIN
JETZT am Kiosk und unter www.rosenheimer.in
Kann man Fatigue behandeln?
Prof. Dr. Peter Young: Man kann die Betroffenen mit einem auf sie abgestimmten Behandlungskonzept unterstützen. Das ist unser Anliegen als Mediziner, egal ob als Hausarzt, als Spezialist oder in einer Fach-Rehaklinik. Gleichzeitig gilt es für uns alle, Betroffene angemessen zu behandeln. Denn Fatigue sieht man nicht, ist äußerlich nicht erkennbar. Es ist auch keine Willenssache, den Alltag wie gewohnt zu bewältigen. Betroffene würden gerne alles abarbeiten, können aber nicht. Das gilt es anzuerkennen. Wenn sich durch die starke Zunahme des Chronischen Fatigue Syndroms infolge von Corona die Gesellschaft dahingehend öffnet, dann hat Corona wenigstens einen positiven Effekt gehabt.
