Live-Ticker zum Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling
Haftstrafe für Michael P. - Stimmen im Video-Interview
Bad Aibling/Traunstein - Nach insgesamt sechs Verhandlungstagen wurde am Montag kurz nach 10.30 Uhr das Urteil gegen den Fahrdienstleiter verkündet. Michael P. ist wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. *NEU: Video*
Die Fakten des Prozesses um das Zugunglück Bad Aibling soweit im Überblick:
- Der Frontalzusammenstoß zweier Nahverkehrszüge am 9. Februar 2016 war eines der schwersten Bahnunglücke der deutschen Nachkriegsgeschichte.
- Der 40-jährige Fahrdienstleiter musste sich wegen fahrlässiger Tötung in 12 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen vor dem Landgericht Traunstein verantworten.
- Der Angeklagte Michael P. ließ am ersten Prozesstag ein Geständnis durch seine Rechtsanwälte verlesen. Er räumte ein, das Fantasy-Rollenspiel „Dungeon Hunter 5“ auf seinem Handy gespielt, die Signale falsch gesetzt und auch den Notruf falsch abgesetzt zu haben - dies führte zum fatalen Zugunglück Bad Aibling.
- Eines der Kernergebnisse der Kripo-Ermittlungen: Der Fahrdienstleiter spielte in fast jedem Dienst stundenlang auf seinem Smartphone.
- "Die Kacke ist jetzt richtig am Dampfen", dies sagte Michael P. dem Fahrdienstleiter von Bruckmühl am Telefon
- Gutachter zur Funknetz-Analyse: "Es kam in keinem Bereich zu einem Funkloch"
- Prüfungen des Eisenbahnbundesamtes ergaben: Keine technischen Mängel gefunden
- Sachverständiger zählt mehrere Fehler des Angeklagten auf: "Nach jedem Schritt hätte man merken müssen, dass etwas nicht passt"
- Gutachter des EUB übte Kritik an Deutscher Bahn: Bestimmungen teilweise unklar; fehlende, veraltete Technik
- IT-Forensiker: Sekundengenaue Darstellung der Aktionen im Spiel, letzte Aktion kurz vor dem Zusammenstoß
- Rund eine viertel Stunde nach dem Unglück erhielt der Angeklagte eine WhatsApp und benutzte den PlayStore
- Psychologischer Gutachter: Michael P. war durch das Computerspiel von seiner Tätigkeit als Fahrdienstleiter abgelenkt
- Urteil am 5. Dezember verkündet: Freiheitsstrafe 3,5 Jahre für Fahrdienstleiter Michael P.
Richter Fuchs: Angeklagter "kein Krimineller, sondern auch Opfer"
11.44 Uhr: Neben der Fehler des Angeklagten hat das Gericht auch die Folgen des Unglücks in das Urteil aufgenommen. "Es waren zwölf tote Männer im besten Alter." Richter Fuchs nimmt zum Schluss Bezug auf die Brandkatastrophe von Schneizlreuth. Wie dort sei auch beim Zugunglück der Angeklagte "kein Krimineller, sondern auch Opfer". Die Freiheitsstrafe biete für den Angeklagten die Chance, eine strukturelle Rückkehr ins Leben vorzubereiten. Dem Antrag der Verteidigung auf Aufhebung des Haftbefehls stimmt das Gericht nicht zu. Damit beendet Vorsitzender Richter Erich Fuchs den Prozess.
11.37 Uhr: "Er hat trotzdem die Gefahr auf die leichte Schulter genommen. (...) Das darf nicht sein", so Fuchs. Die nachteiligen Folgen für die Familien seien unermesslich. Deshalb könne man sich nicht im unteren Bereich des Strafrahmens bewegen. "Er ist Opfer seiner eigenen Spielleidenschaft geworden. Die Strafe mag hoch erscheinen. (..) Aber er kann in absehbarer Zeit zu seiner Familie zurückkehren", die Opfer des Zugunglücks von Bad Aibling könnten das nicht.
11.30 Uhr: "Das hätte ihm auch nicht weitergeholfen, sein Verschulden steht fest", so Fuchs. Ein Erlaubnisempfangsmelder, wie er noch während der Verhandlung von einem Gutachter gefordert worden war, sei ebenfalls nicht ausschlaggebend. Zusammenfassend sei zu erkennen, dass der Angeklagte fahrlässig gehandelt hatte. Es handle sich über ein pflichtwidriges Verhalten über einen längeren Zeitraum, die Fahrlässigkeit besitze somit einen höheren Grad, so Richter Fuchs abschließend zur Begründung. Strafmaß-lindernd habe sich schließlich das Geständnis ausgewirkt. Er stehe zu seiner Verantwortlichkeit.
"Er war gedanklich gefangen im Spiel, deshalb ist es auch zu diesem Vorfall gekommen"
11.24 Uhr: Er habe gewusst, dass das Spielen verboten war, ein gravierender Verstoß. Seine Verantwortung für die Menschen in den Zügen habe er nicht wahrgenommen. Alle Reisenden im Zeitraum seien einem erheblichen Risiko ausgesetzt gewesen. Man sei überzeugt davon, dass ohne das Spielen des Fahrdienstleiters dieser Umstand nicht zutreffend sei. Eine mögliche Mitschuld der Bahn sei im Verfahren nicht von Relevanz gewesen. Man habe sich nur mit dem Angeklagten und seinen Handlungen beschäftigt. Die Technik habe, soweit man das erkannt habe, richtig funktioniert. Er habe sich bewusst entschieden, die Maßnahmen ausser Kraft zu setzen.
11.20 Uhr: "Er war gedanklich gefangen im Spiel, deshalb ist es auch zu diesem Vorfall gekommen", folgert der Richter weiter. Deshalb habe er auch die Gründe für die Fehlstellung der beiden Fahrstraßen nicht erkannt. "Unerklärliche, unverständliche Denkfehler", so Fuchs zusammenfassend. Die Fehler könnten nur einen Grund haben: Die kognitiven Fähigkeiten seien durch das Spielen am Handy erheblich beeinträchtigt gewesen.
11.15 Uhr: "Der Angeklagte hat während der Dienstzeit sein Handy benutzt", dadurch sei er in seiner Konzentration abgelenkt gewesen. Das habe der Gutachter Dr. Brunnauer deutlich nachgewiesen. Trotz der Bedenken der Verteidiger sei an der Sachkunde des Gutachters kein Zweifel zu erkennen. "Jeder, der gedanklich in zwei Bereichen unterwegs ist, weiß, dass das die Leistungsfähigkeit in mindestens einem Bereich beeinträchtigt", so Fuchs weiter.
11.10 Uhr: "Er hat vorschriftswidrig gehandelt, er hätte sich vor dem Setzten von "ZS1" versichern müssen, dass die Strecke frei ist", ergänzt der Richter. Auch den richtigen Notruf hätte er dabei beherrschen müssen. Die Prozedur sei mehrfach trainiert worden und das Gericht sei sicher, dass er den Alarm bereits früher hätte auslösen können.
11.05 Uhr: Zudem habe er bei der Abwicklung an eine Störung geglaubt. Ein weiterer Grund dafür, dass der Angeklagte dann das Sondersignal "ZS1" gegeben hatte. Das Gericht habe keinen Zweifel daran, dass der Angeklagte das grüne Ausfahrtsignal gesehen hatte. Trotzdem gab er erneut das "ZS1"-Signal. Die anschließenden Notrufe gingen erwiesenermaßen ins Leere. Hätte der erste Notruf auf dem richtigen Kanal erfolgt, hätte das Unglück vermieden werden können, ist sich Richter Fuchs sicher.
11 Uhr: So auch bei der Abwicklung der beiden Unglückszüge. Nachdem er die beiden Meridian-Züge aus den angrenzenden Gebieten übergeben bekommen hatte, spielte er weiter. Solange, bis der Angeklagte, nach seiner eigenen Aussage, seinen Ablesefehler auf der Zugtabelle erkannte, so Richter Erich Fuchs. Er habe noch versucht, den Fehler auszubessern, das sei ihm aber nicht mehr zur Gänze gelungen.
Richter Fuchs: "Er hat vorschriftswidrig gehandelt"
10.55 Uhr: Der Vorsitzende Richter fasst erneut die Geschehnisse des Unglückstages zusammen. Auch die Eckpunkte der Einlassung des Angeklagten gibt er nochmals wieder. Man habe dazu folgende Feststellungen im Rahmen der Hauptverhandlung getroffen: Der Angeklagte habe vor und während seines Dienstes auf seinem Smartphone gespielt. Dieser Umstand sei sekundengenau durch den Gutachter nachvollzogen worden.
10.50 Uhr: Am Tag des
Unglücks seien zwölf Menschen ums Leben gekommen. Der Richter verliest die Namen und Geburtsdaten der Toten. Der Blick des Angeklagten ist stur geradeaus. 85 Personen seien zudem verletzt worden, manche litten noch heute unter den Folgen. "Man kann von Glück sprechen, dass sich das Unglück an einem Faschingsdienstag ereignet hat. Sonst wären womöglich noch viel mehr Menschen zu Schaden gekommen", so Fuchs weiter. Der Sachschaden betrug rund 10 Millionen Euro.
10.45 Uhr: Seit dem Jahr 2000 sei der Angeklagte als Fahrdienstleiter tätig gewesen, steigt Erich Fuchs in die Begründung ein. Seine Aufgabe sei es, zuverlässig die Zufahrten auf die Strecke zu erledigen. Dazu zählten auch Kreuzungen von Zügen. "Dazu gibt es auch ein umfangreiches Regelwerk der Bahn. Das muss der Fahrdienstleiter beherrschen." Er habe alle Kenntnisse zur Erledigung seiner Tätigkeit gehabt. Seitens der Vorgesetzten sei der 40-Jährige als fachlich qualifiziert beschrieben worden.
Urteil: Freiheitsstrafe von 3,5 Jahre für Michael P.
10.40 Uhr: Jetzt betritt Richter Erich Fuchs den Saal. Die Anwesenden erheben sich. "Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. (...) Der Angeklagte wird zu einer Strafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt", so der Richter. Die Mimik des Fahrdienstleiters wirkt wie versteinert. Der Richter fährt mit seiner Urteilsbegründung fort.
10.25 Uhr: Unter riesigem Medienandrang beginnt der letzte Verhandlungstag gegen den 40-jährigen Fahrdienstleiter, der am 9. Februar für den Zusammenstoß zweier Regionalzüge bei Bad Aibling verantwortlich ist. Zahlreiche Kamerateams und Journalisten warten gebannt auf den Vorsitzenden der Kammer, Richter Erich Fuchs. Gerade treffen die beiden Verteidiger des Angeklagten im Saal ein. Die Zuschauerränge sind bereits bis auf den letzten Platz gefüllt.
10.15 Uhr: Um 10.30 Uhr startet der siebte Verhandlungstag. Dann wird das Gericht das Urteil gegen Fahrdienstleiter Michael P. verkündet. Während Oberstaatsanwalt Jürgen Branz eine Haftstrafe von vier Jahren in seinem Plädoyer forderte, hält die Verteidigung eine Bewährungsstrafe für ausreichend. Sie baten die Kammer um Milde und gaben zu bedenken, dass bisher noch in keinem Fall eines Zugunglücks in Deutschland eine Gefängnisstrafe verhängt wurde. Wenn man den Fahrdienstleiter verurteilen wolle, dann maximal zu einer Strafe von 2 Jahren und sechs Monaten, so die beiden Rechtsanwälte.
++ Der Prozess wird am Montag, 5. Dezember, fortgesetzt. Dann wird das Urteil gegen den Fahrdienstleiter Michael P. verkündet. Ab 10.30 Uhr berichten wir wieder live aus dem Gerichtssaal! ++
Was bisher im Gerichtssaal geschah:
Nach dem umfassenden Geständnis des angeklagten Fahrdienstleiters Michael P. am ersten Prozesstag, sagten bisher zahlreiche Zeugen und Gutachter vor Gericht aus. Am sechsten von insgesamt sieben angesetzten Verhandlungstagen machten beispielsweise ein IT-Forensiker und ein psychologischer Sachverständiger Angaben zur Sache.
Zum Nachlesen:
So forderte Oberstaatsanwalt Jürgen Branz eine Gefängnisstrafe von insgesamt 4 Jahren. Die Vorwürfe hätten sich umfänglich bestätigt. "Wir haben einen Fahrdienstleiter, der seit 19 Jahren im Dienst ist, ein erfahrender Fahrdienstleiter, der immer gute Bewertungen bekommen hat." Die Auslastung im Stellwerk betrage rund 70 Prozent. Die Züge kämen im Halbstunden-Takt, eine relativ einfache Tätigkeit. "Ihm wird langweilig, dann kommt er auf eine unsinnige Idee", so Branz weiter. Er begann ein Spiel zu spielen, wie Millionen anderen. "Unglaublich", resümiert der Oberstaatsanwalt zu den Grundvoraussetzungen.
Die beiden Verteidiger, Ulrike Thole und Thilo Pfordte baten in ihren Plädoyers hingegen, Milde walten zu lassen. In vergleichbaren Fällen seien Angeklagte noch nie zu einer Freiheits- sondern immer nur zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. "Es war Herrn P. eine Störung am Bahnhof Heufeld im Gedächtnis", so Thole. Deshalb habe er sich entschieden, den Zug mit dem Sondersignal "ZS1" fahren zu lassen. Aufgrund der diskutierten Beschaffenheit der Strecke und der technischen Ausstattung müssten sehr viele unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden. "Für einen Laien, leuchtet das Pult wie ein Christbaum. Für einen Fahrdienstleiter sieht das wahrscheinlich nicht viel anders aus", summiert die Verteidigerin.
Weiter äußert Thilo Pfordte Zweifel am Gutachten des Sachverständigen Will. In drei Punkten erkenne er Fehler: Beim Bremsweg, dem Wetter am Unfalltag und den Reaktionszeiten. Es könne in diesem Punkten nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, ob die Parameter am 9. Februar auch so vorherrschten, wie sie im Gutachten aufgeführt wurden. "Ausgangspunkt war ein Ablesefehler im Fahrplan", man könne aber nicht zweifelsfrei sagen, ob dieser Fehler auch mit der Handynutzung in Zusammenhang zu bringen sei.
Vierter Verhandlungstag im Prozess um das Zugunglück Bad Aibling




Plädoyers im Prozess um das Zugunglück Bad Aibling




sl/mh



