Live-Ticker zum Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling
Nebenklage kündigt an: Zivilrechtlich gegen Bahn vorgehen
Bad Aibling/Traunstein - Am vorletzten Prozesstag um das Zugunglück in Bad Aibling hielten die Prozessbeteiligten ihre Plädoyers. Am Montag soll das Urteil verkündet werden. Die Nebenklage hat noch weitere Pläne.
Die Fakten des Prozesses um das Zugunglück Bad Aibling soweit im Überblick:
- Der Frontalzusammenstoß zweier Nahverkehrszüge am 9. Februar 2016 war eines der schwersten Bahnunglücke der deutschen Nachkriegsgeschichte.
- Der 40-jährige Fahrdienstleiter muss sich wegen fahrlässiger Tötung in 12 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in 89 Fällen vor dem Landgericht Traunstein verantworten.
- Der Angeklagte Michael P. ließ am ersten Prozesstag ein Geständnis durch seine Rechtsanwälte verlesen. Er räumte ein, das Fantasy-Rollenspiel „Dungeon Hunter 5“ auf seinem Handy gespielt, die Signale falsch gesetzt und auch den Notruf falsch abgesetzt zu haben - dies führte zum fatalen Zugunglück Bad Aibling.
- Eines der Kernergebnisse der Kripo-Ermittlungen: Der Fahrdienstleiter spielte in fast jedem Dienst stundenlang auf seinem Smartphone.
- "Die Kacke ist jetzt richtig am Dampfen", dies sagte Michael P. dem Fahrdienstleiter von Bruckmühl am Telefon
- Gutachter zur Funknetz-Analyse: "Es kam in keinem Bereich zu einem Funkloch"
- Prüfungen des Eisenbahnbundesamtes ergaben: Keine technischen Mängel gefunden
- Sachverständiger zählt mehrere Fehler des Angeklagten auf: "Nach jedem Schritt hätte man merken müssen, dass etwas nicht passt"
- Gutachter des EUB übte Kritik an Deutscher Bahn: Bestimmungen teilweise unklar; fehlende, veraltete Technik
- IT-Forensiker: Sekundengenaue Darstellung der Aktionen im Spiel, letzte Aktion kurz vor dem Zusammenstoß
- Rund eine viertel Stunde nach dem Unglück erhielt der Angeklagte eine WhatsApp und benutzte den PlayStore
- Psychologischer Gutachter: Michael P. war durch das Computerspiel von seiner Tätigkeit als Fahrdienstleiter abgelenkt
- Das Urteil wird am 5. Dezember um 10.30 Uhr verkündet
- Die Nebenklage will nach dem Prozess zivilrechtlich gegen die Bahn vorgehen
++ Der Prozess wird am Montag, 5. Dezember, fortgesetzt. Dann wird das Urteil gegen den Fahrdienstleiter Michael P. verkündet. Ab 10.30 Uhr berichten wir wieder live aus dem Gerichtssaal! ++
Der Live-Ticker vom sechsten Verhandlungstag um das tragische Zugunglück von Bad Aibling zum Nachlesen:
17.25 Uhr: Nachdem die Anwälte am Freitagvormittag ihre Plädoyers gehalten haben, soll am Montag das Urteil im Prozess gegen Fahrdienstleiter gesprochen werden. Unabhängig davon, wie dieses Urteil aussehen wird, will die Vertretung der Nebenklage zivilrechtlich gegen die Bahn vorgehen. Das teilte Rechtsanwalt Friedrich Schweikert am Freitagnachmittag mit.
11.57 Uhr: Vorsitzender Richter Erich Fuchs unterbricht die Verhandlung. Sie wird am kommenden Montag, 5. Dezember, mit der Urteilsverkündung fortgesetzt.
11.55 Uhr: Nun richtet der Angeklagte selbst noch das Wort an das Gericht. Kleinlaut und abgehakt, aber ohne Tränen sagt er: "Ich stehe seit 9. Februar massiv unter dem Einfluss des Ereignisses. Ich bin davon stark betroffen. (...) Ich konnte die Ereignisse auch jetzt erst selbst, während der Verhandlung, verarbeiten. Ich hoffe auch, dass die Betroffenen diese Erkenntnis bekommen haben und sie ihnen weiterhelfen kann", so die letzten Worte des angeklagten Fahrdienstleiters. Bei den Opfern und Hinterbliebenen entschuldigte er sich nicht nochmal.
Verteidiger Pfordte: Strafe von maximal 2 Jahren und 6 Monaten angemessen
Die Plädoyers der Verteidiger zum Nachlesen.11.45 Uhr: Sein Mandant wisse nicht wie es weiter gehen könne, eine lebenslange Bürde sei vorhanden. Er werde nie wieder als Fahrdienstleiter arbeiten. Um das Strafmaß besser einschätzen zu können, habe man sich die Urteile der Fälle angesehen, die mit dem Unglück von Bad Aibling vergleichbar seien. In allen Fällen seien die Verantwortlichen zu Strafen mit Bewährung verurteilt worden. Es würde sich um das erste Urteil handeln, folge man dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft, in dem ein Mensch für ein Versäumnis zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden würde. Sollte man sich dennoch dazu entscheiden, den Angeklagten ohne Bewährung zu verurteilen, hält Pfordte eine Strafe von maximal 2 Jahren und 6 Monaten für angemessen.
11.40 Uhr: Zum Thema Mitverschulden von Dritten seien fehlende Sicherungssysteme seitens der Bahn auf der Strecke nicht in der Schuldzumessung seines Mandanten zu berücksichtigen. Der Angeklagte habe pflichtwidrig gehandelt. Sein Vorleben sei trotzdem zu berücksichtigen. Weder Probleme im Dienst oder sonstige Versäumnisse hätten bisher stattgefunden. Ein Geständnis und auch eine Entschuldigung sei vom Angeklagten erfolgt.
11.35 Uhr: Manchmal könnten Fehler auch schlicht nicht nachvollziehbar sein. Manche Fehler würden einfach passieren, so der Verteidiger weiter. Ein Problem der selektiven Wahrnehmung. Ein Handy könne ein Aufmerksamkeitsdefizit auslösen, dass es aber immer erfolge, könne daraus nicht gefolgert werden. Weiter geht der Verteidiger auf die Grundlagen des Gutachtens des Diplom-Psychologen Dr. Brunnauer ein. Der Psychologe stütze sich auf eine Analyse, aus der auch hervorgehe, dass viele Menschen, die regelmäßig Computer-Spiele spielten, über ein besseres Arbeitsgedächtnis verfügen. "Das Thema ist einfach noch so gut wie gar nicht erforscht", Pfordte rate daher zur Vorsicht, das Handy als alleinigen Auslöser für eine mögliche Ablenkung zu sehen.
Verteidiger: Handy-Nutzung nicht allein für Fehlverhalten verantwortlich
11.27 Uhr: Weiter äußert Thilo Pfordte Zweifel am Gutachten des Sachverständigen Will. In drei Punkten erkenne er Fehler: Beim Bremsweg, dem Wetter am Unfalltag und den Reaktionszeiten. Es könne in diesem Punkten nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesagt werden, ob die Parameter am 9. Februar auch so vorherrschten, wie sie im Gutachten aufgeführt wurden. "Ausgangspunkt war ein Ablesefehler im Fahrplan", man könne aber nicht zweifelsfrei sagen, ob dieser Fehler auch mit der Handynutzung in Zusammenhang zu bringen sei. Hier könnten, dies habe auch eine Nachfrage beim Gutachter ergeben, auch andere Gründe ausschlaggebend gewesen sein. Deshalb könne die Handy-Nutzung nicht alleine für das Fehlverhalten verantwortlich gemacht werden, folgert Pfordte.
11.22 Uhr: Zusammenfassend habe sich der Angeklagte der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht, erkennt die Anwältin. In Sachen Strafzumessung wird nun der zweite Verteidiger, Thilo Pfordte, weiter plädieren. "Menschliches Leben ist keine kumulative Größe", beginnt der Verteidiger. Deshalb werde er auch nicht über eine konkrete Zahl von Verletzten und Toten reden. Ausgangspunkt seiner Betrachtung sei, dass sich der Angeklagte schuldig gemacht habe. Nun gelte es einen angemessenen Rahmen für die Strafe zu finden. Es gelte zuerst zu klären, in welchem Maß er seine Sorgfaltspflicht verletzt habe. Es seien mehrere Fehler unterlaufen. Viele müssten dabei aber als sogenannte Folgefehler angesehen werden. Ursache sei das falsche Lesen des Plans, welche Züge wo kreuzen sollten, gewesen. Ein weiterer, unabhängiger Fehler sei der falsche Notruf gewesen.
11.15 Uhr: Nachdem der Angeklagte seinen Fehler erkannt hatte, habe er zwei Notrufe abgesetzt. Nur der erste Notruf sei dabei relevant gewesen. Ob das Unglück bei einem richtig abgesetzten Alarm hätte vermieden werde können, habe der Gutachter ebenfalls nicht abschließend klären können. "Als letztes will ich nochmal auf das Handy-Spiel zu sprechen kommen", so Thole. Es stehe fest, dass er während der Dienstzeit gespielt habe. "Es wurde aber nicht festgestellt, inwieweit er dabei aktiv war oder nur das Handy zum Spielen bereitgestellt wurde".
Verteidigerin: "Für einen Laien leuchtet das Pult wie ein Christbaum"
11.05 Uhr: Es könne abschließend nicht geklärt werden, ob das Handyspiel für dieses Versäumnis verantwortlich sei. Eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit habe der Gutachter Dr. Brunnauer nicht aufzeigen können, so die Verteidigerin weiter. "Es war Herrn P. eine Störung am Bahnhof Heufeld im Gedächtnis", so Thole. Deshalb habe er sich entschieden, den Zug mit Sondersignal "ZS1" fahren zu lassen. Aufgrund der diskutierten Beschaffenheit der Strecke und der technischen Ausstattung müssten sehr viele unterschiedliche Faktoren berücksichtigt werden. "Für einen Laien, leuchtet das Pult wie ein Christbaum. Für einen Fahrdienstleiter sieht das wahrscheinlich nicht viel anders aus", summiert die Verteidigerin.
11 Uhr: Verteidigerin Thole macht den Anfang. Ihr Mandant habe sich zu Beginn des Verfahrens bereits an die Beteiligten gewandt. Er wünsche, dass er rückgängig machen könne, was passiert sei. Das sei nicht möglich. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, wie der ideale Fahrdienstleiter hätte handeln müssen. Auch der Angeklagte hätte so handeln müssen. Die Vorkommnisse müssten also dediziert betrachtet werden. Der Fahrdienstleiter müsse auf eine zügige Abfolge der Züge achten. Nur so könne der Fahrplan eingehalten werden. Der Angeklagte habe irrtümlich angenommen, dass die Züge in Bad Aibling kreuzen sollten. Zuvor gestellte Weichen und Einstellungen habe er nicht vollständig zurückgenommen. Warum das passiert sei, könne der Fahrdienstleiter selbst nicht beantworten.
10.55 Uhr: Alle Beteiligten versammeln sich wieder im Saal. Als nächstes folgen die Plädoyers der beiden Verteidiger Ulrike Thole und Thilo Pfordte. Vorsitzender Richter Erich Fuchs betritt den Saal, es wird fortgesetzt.
10.50 Uhr: Während der Unterbrechung und auch bei den Plädoyers der Prozessbeteiligten wirkt der Angeklagte sehr emotional. Er hat ein Taschentuch in der Hand und schneuzt. Tränen laufen ihm über das Gesicht.
++ Vorsitzender Richter Erich Fuchs unterbricht die Verhandlung für eine kurze Pause. Danach werden die Verteidiger und auch der Angeklagte selbst sich zu Wort melden können. ++
"Die Attraktion und die Affinität zu diesem Spiel war sehr stark"
09.38 Uhr: Als letzter Nebenklagevertreter richtet Rechtsanwalt Schubert sein Wort an das Gericht. Auch er vergleicht den vorliegenden Fall mit der Handy-Nutzung am Steuer eines Autos. Er vertritt die Hinterbliebenen eines der Triebwagen-Führer, der beim Unglück ums Leben kam. Ein Interesse an der Strafverfolgung sei erst entstanden, als seine Mandanten von der Handy-Nutzung erfahren hatten. Auch Schubert stellt keinen Antrag in Bezug auf das Strafmaß.
09.36 Uhr: "Die Attraktion und die Affinität zu diesem Spiel war sehr stark", so die Rechtsanwältin weiter. Die Aufmerksamkeit sei dadurch sehr stark vermindert gewesen. Ihr Mandant akzeptiere die Entschuldigung des Angeklagten, habe aber immer noch mit den Folgen zu kämpfen. In seinen Armen sei ein Mensch gestorben, er könne keine Züge mehr benutzen, das solle der Angeklagte wissen. Einen Strafmaßantrag will auch Hieble-Fritz nicht stellen.
10.33 Uhr: Rechtsanwältin Hieble-Fritz ist nun an der Reihe. Wie eine Verkettung von Faktoren zu dem Unglück führen konnte, sei für viele immer noch unbegreiflich. Besonders die Tatsache, dass, ein richtiger Notruf vorausgesetzt, das Unglück noch hätte verhindert werden können, schockiere ihre Mandanten. Schlicht auf Unverständnis stoße der Umfang und die Dauer der Handy-Nutzung, die seitens des Angeklagten stattgefunden habe.
Schweikert: "Ich vertrete eine Vielzahl von Betroffenen, deshalb werde ich keinen Strafmaßantrag abgeben"
10.30 Uhr:
"Es liegen Fehler vor (...) Die Revision hätte feststellen müssen, dass zwei Dioden-Stränge nicht miteinander verbunden waren", so Schweikert weiter. Noch weitere Faktoren trügen dazu bei, dass es zu dem Unfall gekommen ist. Zentral sei aber, dass der Angeklagte verantwortlich für seine Tat sei. "Wir haben von so vielen massiven Fehlern gehört. (...) Das einzige, was das rechtfertigen kann, ist das Handy-Spiel", so der Nebenklagevertreter. Wenn er nicht abgelenkt gewesen wäre, hätte man von einer bewussten Fahrlässigkeit ausgehen müssen, folgert Schweikert. "Ich vertrete eine Vielzahl von Betroffenen, deshalb werde ich keinen Strafmaßantrag abgeben", schließt Schweikert sein Plädoyer.
10.25 Uhr: Auch Schweikert bezieht zunächst die Deutsche Bahn in seine Betrachtung mit ein: "Wir haben hier einen Fahrdienstleiter, der eigentlich drei Fahrdienstleiter ist", so Schweikert. Auf vielen anderen Strecken sei die Einteilung besser organisiert, zusätzlich fehle auch ein zusätzliches, technisches Hilfsmittel, dass dem Fahrdienstleiter hilft, den Überblick zu bewahren. Neben den vielen Richtlinien dürfe man aber nicht vergessen, worum es hier gehe, "es geht um Menschen."
10.20 Uhr: Nun ist Rechtsanwalt Schweikert an der Reihe. Auch er ist ein Nebenklagevertreter. Nach einem Dank an die Staatsanwaltschaft komme er zu einer weiteren Aufgabe, die die Nebenklage zu erfüllen habe, die Information. Viele Beteiligte seien noch nicht über das Unglück von Bad Aibling hinweg. Schlicht weil die Vorkommnisse noch nicht abschließend beleuchtet sei. Dass es noch gewisse Unklarheiten gebe, sei alleine dem Angeklagten zuzuschreiben.
Nebenklagevertreter kritisiert Bahn: "Geld genug war da, aber es wurde nicht nachgerüstet"
10.15 Uhr: So auch Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Jansen, vieles sei bereits gesagt worden, fachlich gäbe es von seiner Seite keine Ergänzung. Er thematisiert in seinem Plädoyer die Deutsche Bahn. Er spricht sich dafür aus, auch diese Seite zu betrachten. "Geld genug war da, aber es wurde nicht nachgerüstet", so der Rechtsanwalt. Weiter müsse auch das Notruf-System nochmals betrachtet werden. Wenn jemand in einer hektischen Situation gezwungen sei, sich zwischen zwei Tasten zu entscheiden. Es bestehe hier definitiv die Wahrscheinlichkeit danebenzugreifen. Deshalb sei ein Strafmaß von vier Jahren hier sehr hoch, Jansen spricht sich für maximal drei Jahre aus.
10.12 Uhr: Weiter geht es mit dem Plädoyer von Rechtsanwalt Stanke, ein weiterer Nebenklagevertreter. "Wenn ich im Spiel sterbe, dann kann ich das Level wiederholen, das geht im echten Leben nicht", steigt er in seine Rede ein. Seine Mandanten nähmen die Entschuldigung des Angeklagten an. Man schließe sich an die Ausführungen der Vorredner an.
Dürr: Es ist alles schief gelaufen, was schief laufen kann
10.08 Uhr: "Wir werden nie genau klären können, welches Drücken im Spiel mit welcher Fehlhandlung in Einklang zu bringen ist", summiert der Nebenklagevertreter. Fest stehe, dass alles schief gelaufen ist, was schief laufen konnte. Trotz den vermeintlich richtigen Handlungen des Angeklagten konnte das Unglück nicht mehr verhindert werden. Schuld ganz zu Beginn, so Rechtsanwalt Dürr, sei definitiv das Handy-Spiel. "Für die Hinterbliebenen ist der fehlgeleitete Notruf das eigentliche Drama", so Dürr. Trotz aller Fehler hätte das Unglück verhindert werden können, wenn eine richtige Bedienung stattgefunden hätte. Seine Mandanten gingen sehr unterschiedlich mit dem Prozess und auch dem medialen Interesse um. Einige mussten sich nach Prozessbeginn erneut in Behandlung begeben. "Das Unglück kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden, er muss mit der Tat leben", richtet Dürr sein Wort an den Angeklagten. Wenn er Hilfe bedürfe, soll er sich in professionelle Hilfe begeben, so sein Rat an den Angeklagten.
10 Uhr: Nun spricht Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Peter Dürr. Nach der Einlassung des Angeklagten am ersten Verhandlungstag, hatte sich der Fahrdienstleiter nicht weiter geäußert. Die genaue Nutzung seines Handys hätte weiter Aufschluss über die Vorkommnisse geben können. Er habe sich dagegen entschieden. Weiter rekonstruiert Dürr den Ablauf des Unglückstages. "Jede halbe Stunde zwei Züge, Zuständigkeit für drei Bahnhöfe. (...) Das ist auf Dauer langweilig, das kann man vielleicht noch nachvollziehen. (...) Dass er nicht der einzige ist, der zum Handy greift, dürfte sicher sein. Doch das ist verboten", so Dürr. Der Angeklagte habe sich aktiv entschieden zu spielen.
Plädoyers im Prozess um das Zugunglück Bad Aibling




"Unter dem Einfluss dieses elendigen Spiels hat er seine Fehler nicht mehr korrigieren können"
09.57 Uhr: "Unter dem Einfluss dieses elendigen Spiels hat er seine Fehler nicht mehr korrigieren können", folgert der Nebenklagevertreter. Der 40-jährige Fahrdienstleiter sei im Spiel gefangen gewesen. Die vermehrte Forderung nach einem Verbot von Spielen im Dienst werde durch den vorliegenden Fall nur noch offenkundiger. "Man muss den Kopf frei haben, sich konzentrieren, dann passiert so etwas nicht", so Graue abschließend. Er halte die Forderung des Oberstaatsanwalts von 4 Jahren für angemessen.
09.55 Uhr: "Ausschlaggebend ist aus meiner Sicht, dass er in der Zeit durch das Spiel abgelenkt gewesen ist", bezieht sich Graue auf das Gutachten von Dr. Brunnauer. Durch das Spielen am Handy sei der Angeklagte in den betrieblichen Abläufen eingeschränkt gewesen, auch über die reine Spielzeit hinaus. Das sage jemandem nicht nur das ausführliche Gutachten, sondern bereits der gesunde Menschenverstand, so Graue scharf. Er vergleicht die Handlung des Angeklagten mit Telefonieren hinter dem Steuer.
09.50 Uhr: Als nächstes hält Nebenklagevertreter Rechtsanwalt Graue sein Plädoyer. Er wolle die Ausführungen der Staatsanwaltschaft nicht wiederholen. "Die Staatsanwaltschaft und auch die Polizei haben die Vorbereitungen perfekt abgeschlossen. Ich habe selten so eine gute Ausarbeitung erlebt", lobt der Vertreter der Nebenklage die Arbeit seines Vorredners. Man habe es in diesem Fall mit einer enormen Menge Leid zu tun. Der Auslöser sei dabei definitiv der Fahrdienstleiter gewesen. "Das war ein grob fahrlässiges Verhalten des Angeklagten", richtet Graue sein Wort an das Gericht.
Oberstaatsanwalt fordert 4 Jahre Haft für Fahrdienstleiter
09.45 Uhr: Die finanziellen Forderungen würden das Leben des Angeklagten bald massiv verändern. "Er hat von Anfang an bei der Tataufklärung mitgewirkt", hält Branz dem Fahrdienstleiter trotzdem zugute. Auch die Tatsache, dass er noch nicht vorbestraft sei, müsse sich lindernd auswirken. Deshalb fordert der Staatsanwalt den Angeklagten für 4 Jahre Haft zu verurteilen. Die Höchststrafe betrage 5 Jahre. Zudem spricht sich Branz für eine Fortdauer der Haft aus.
09.40 Uhr: Für fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung sei zunächst die Höhe der Pflichtverletzung zu berücksichtigen. "Der Angeklagte weiß, dass er kein Smartphone benutzen darf, er weiß auch um seine Aufgaben. (...) Wenn etwas passiert, hat er die volle Verantwortung zu übernehmen", so Branz deutlich. Dass 12 Menschen wegen einem Computer-Spiel sterben mussten, sei unglaublich. Jeder für sich sei schon ein schwerer Verlust. Hinzu kämen noch zahlreiche Verletzte, manche, die auch jetzt noch unter den Folgen litten, "mein Mitgefühl gilt ihnen", so Branz.
"Er hat den Tod von 12 Menschen verursacht, deswegen ist er auch schuldig zu sprechen."
09.36 Uhr: Auch dass die Notrufanlage über zwei Kanäle verfüge und der Angeklagte kurz vor dem Unglück den falschen nutzte, könne nicht rein auf die Existenz zweier Systeme zurückgeführt werden. "Er hätte alle Prüfungshandlungen vornehmen müssen. (...) Er hat den Tod von 12 Menschen verursacht, deswegen ist er auch schuldig zu sprechen."
09.30 Uhr: Nachdem der Angeklagte, laut Gutachter Brunnauer, 72 Prozent der Zeit am Handy gespielt habe, sei er definitiv abgelenkt gewesen. Der Sachverständige habe eindeutig nachgewiesen, dass eine massive Überdeckung von Spielehandlungen gegenüber seiner Tätigkeit als Fahrdienstleiter stattgefunden habe. "Letztlich liegt hier der Grund für die Fehlhandlung des Angeklagten", fährt der Staatsdiener fort. Eine Mitschuld einer anderen Person oder eines Unternehmens kann Oberstaatsanwalt nicht erkennen. Die nötigen Sicherheitsmaßnahmen seien vorhanden. "Er muss wissen, wem er freie Fahrt gibt", wiederholt Branz. Selbst wenn zusätzliche Maßnahmen vorhanden gewesen wären, würde das nichts daran ändern, dass der 40-Jährige falsch gehandelt habe, folgert der Ankläger.
09.25 Uhr: Eine Vielzahl von Vorschriften sei für einen Fahrdienstleiter zu beachten, bevor er ein Sondersignal geben dürfe. "Weil das so gefährlich ist, muss der Fahrdienstleiter sicherstellen, dass kein Gegenverkehr kommen kann", das er das nicht gemacht hat, habe der Angeklagte bereits in seiner ersten Vernehmung gestanden. "Der Angeklagte regelt den Zugverkehr, aber gedankenlos, nur so nebenbei", fährt Branz fort. Warum er dabei auch noch falsch gehandelt habe, hinterfragt der Oberstaatsanwalt jetzt. "Jetzt kommen wir wieder zum Handy". Nach der Demonstration des Spiels im Gerichtssaal sei klar, dass es beidhändig zu bedienen sei.
Branz: "Ich mich hier zurücknehmen, damit ich nicht emotional werde"
09.20 Uhr: Nachdem der Angeklagte einem Irrtum unterlegen sei, stellte er die Weichen für beide Züge. "Er nimmt die ursprüngliche Einfahrt zurück und stellt um, der Zug kommt in Bad Aibling an. (...) Er versucht eine Fahrstraße zu stellen. Das gelingt ihm nicht. (...) Dann nimmt das Unheil seinen Lauf", so Branz weiter. Der Angeklagte stellte das Sondersignal. Seitens des Zuges wird das Signal quittiert, er fährt los. "Wer wann freie Fahrt hat, dafür ist alleine der Fahrdienstleiter verantwortlich, nicht der Zugführer", dann kommt es zur Katastrophe. Der Angeklagte bemerkte seinen Fehler, will das Signal zurücknehmen. Kein Erfolg. Der Notruf geht aufgrund eines Bedienfehlers ins Leere. Der zweite Notruf erfolgt ebenfalls ohne Erfolg. Beide Züge sind bereits kollidiert, berichtet der Oberstaatsanwalt. "Das was ich dort gesehen habe, hat sich bei mir in der Seele festgesetzt. Deshalb muss ich mich hier zurücknehmen, damit ich nicht emotional werde", so Branz von seinen Eindrücken von vor Ort.
09.16 Uhr: Der Angeklagte habe seinen Dienst am 9. Februar angetreten, bereits zuvor habe er das Handy-Game auf dem Smartphone gespielt. Doch auch während der Schicht, ab 5.11 Uhr, habe er eine Spiele-Sitzung gestartet, fasst Branz weiter die Chronologie zusammen. Auch während sich die beiden Unglückszüge angenähert hatten, unterbrach er das Spiel nicht.
09.14 Uhr:
Die technischen Voraussetzungen im Stellwerk finde man an unzähligen anderen Orten im Bundesgebiet. "Es haben sich keine Hinweise auf einen Defekt ergeben", so der Ankläger weiter. Es habe nichts gegeben, was nicht funktioniert habe, auch in den modernen Zügen sei alles auf dem aktuellen Stand gewesen. "Was sind die Hauptaufgaben des Fahrdienstleiters? Züge, die aufeinander folgen, sollen nicht aufeinander auffahren. (...) Und auf seiner eingleisigen Strecke dürfen die Zügen nicht gegenläufig aufeinander fahren", erkennt Branz.
09.10 Uhr: Oberstaatsanwalt Branz macht den Anfang: Die Vorwürfe hätten sich umfänglich bestätigt. "Wir haben einen Fahrdienstleiter, der seit 19 Jahren im Dienst ist, ein erfahrender Fahrdienstleiter, der immer gute Bewertungen bekommen hat." Die Auslastung im Stellwerk betrage rund 70 Prozent. Die Züge kämen im Halbstunden-Takt, eine relativ einfache Tätigkeit. "Ihm wird langweilig, dann kommt er auf eine unsinnige Idee", so Branz weiter. Er begann ein Spiel zu spielen, wie Millionen anderen. "Unglaublich", resümiert der Oberstaatsanwalt zu den Grundvoraussetzungen.
8.55 Uhr: Am heutigen sechsten Verhandlungstag um das tragische Zugunglück von Bad Aibling wurde gestern die Beweisaufnahme geschlossen. Heute sollen dann die Plädoyers gehalten werden. Als Erster wird voraussichtlich Oberstaatsanwalt Jürgen Branz plädieren. Er wird unter anderem noch einmal den detaillierten Ablauf des Zugunglücks schildern. Daran anschließen wird sich der Vortrag der beiden Verteidiger des Fahrdienstleiters. Danach sind laut Gerichtssprecher Tobias Dallmayer die Nebenkläger mit ihren Plädoyers an der Reihe. Sie haben schon angedeutet, dass sie sich in vielen Punkten sicherlich der Staatsanwaltschaft anschließen können.
Was bisher im Gerichtssaal geschah:
Nach dem umfassenden Geständnis des angeklagten Fahrdienstleiters Michael P. am ersten Prozesstag, sagten bisher zahlreiche Zeugen und Gutachter vor Gericht aus. Am sechsten von insgesamt sieben angesetzten Verhandlungstagen machten beispielsweise ein IT-Forensiker und ein psychologischer Sachverständiger Angaben zur Sache.
Zum Nachlesen:
Der Forensiker und Diplomingenieur Dennis Pielken führte so den Spielmodus, den der Angeklagte am 9. Februar im Zeitraum zwischen 6.15 und 6.50 Uhr gespielt hatte im Gerichtssaal vor. Im Modus "Festung" muss der Spieler Truhen finden und öffnen. "Diese Level sind in der Regel sehr klein und haben auch nur wenige Gegner", so Pielken weiter. Danach ende dieser Teil. Der Ton im Spiel untermalt die Aktionen. Im Gerichtssaal ist das Klirren von Schwertern und getragene Hintergrund-Musik zu hören. Sekundengenau konnte der Sachverständige dabei nachweisen, wann der Angeklagte welche Aktionen im Spiel ausführte. Bis wenige Minuten vor dem Zusammenstoß der Züge spielte Michael P., eine viertel Stunde nach dem Unglück schrieb er über WhatsApp und war im PlayStore unterwegs.
Im zweiten Gutachten des Tages beschäftigt sich Dr. Alexander Brunnauer mit der Frage, ob die kognitiven Fähigkeiten des Angeklagten durch das Spiel "Dungeon Hunter 5" beeinträchtigt waren und ihn dadurch von seiner Tätigkeit als Fahrdienstleiter abgelenkt haben. Der Angeklagte sei am 4. November im Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg untersucht worden. Er gab an unter Depressionen zu leiden. Schädigungen des zentralen Nervensystems konnten nicht festgestellt werden. Er zeigte sich im Gespräch kooperativ und auskunftsfreudig, so der Gutachter weiter. "Es ist davon auszugehen, dass unter Berücksichtigung der Dauer der Spielesessions eine Beeinträchtigung von exekutiven Funktionen stattgefunden hat", summierte der Psychologe.
++ Der Prozess wird am Freitag den 2. Dezember, fortgesetzt; dann sollen die Plädoyers gehalten werden. Ab 9 Uhr berichten wir wieder live aus dem Gerichtssaal! ++
Vierter Verhandlungstag im Prozess um das Zugunglück Bad Aibling




sl/mh






