Blitze, Starkregen und eine vermisste Person
Wieder Tausende Blitze über dem Chiemgau – Was die riesige Gewitterzelle anrichtete
Bäume fallen und Blitze zucken: Was als harmlose Gewitterzellen begann, verwandelte sich schnell in ein Unwetter der Extraklasse. Über 9000 Blitze, Orkanböen und heftiger Regen fegten über den Chiemgau hinweg und hielten die Feuerwehren auf Trab.
Chiemgau – Zuerst raubt sie die Abenddämmerung, dann macht sie die Nacht zum Tag. Am Montag (11. August) formte sich über dem Chiemgau eine gewaltige Gewitterzelle, ließ den Himmel erleuchten und Bäume fallen. „Es gab gegen 21 Uhr mehrere kleinere Gewitterzellen zwischen Rosenheim und Bad Reichenhall, welche sich dann nach circa 30 Minuten über dem Chiemgau zu einer größeren Gewitterzelle vereinigt haben“, sagt Lothar Bock vom Deutschen Wetterdienst (DWD).
„Extreme Echointensitäten“
Das Gewitter habe sich im Radar mit „sehr starken und extremen Echointensitäten“ dargestellt, führt der Wetterexperte aus. „Mit ‚Echointensitäten‘ bezeichnen wir Meteorologen die Stärke eines von Niederschlagspartikeln zurückgestreuten Radarsignals.“ Große Regentropfen und Hagelkörner, wie sie in einem starken Gewitter vorkommen, würden das stärkste Rückstreuverhalten anzeigen, „entsprechend einer sehr starken oder extremen Echointensität“, erklärt der Meteorologe Bock.
Unwetter über dem Chiemgau am 12. August




9.000 Blitze
Zwar verdrängten die vollbeladenen Wolken eine mögliche Sternschnuppen-Nacht, sorgten dafür allerdings für ein anderes Spektakel. „Insgesamt wurden im Bereich des Gewitters über 9000 Blitze registriert“, teilt der Wetterexperte Lothar Bock mit. Blitze würden elektromagnetische Impulse auslösen, die von Sensoren an den Wetterstationen gemessen werden können.
„Beeindruckend“, sagt Hubert Hobmaier von der Kreisbrandinspektion Traunstein, „es war schon ein kräftiges Gewitter und ist überraschend schnell aufgezogen.“ Zuerst habe es laut Hobmaier eine „ganz normale Gewitterwarnung“ des DWD gegeben, die anschließend nach oben gestuft wurde. „Gerade die Sturmböen und dieses starke Regenband am Anfang – das hat schon absehen lassen, dass es zu Feuerwehreinsätzen führen wird“, erinnert sich der Feuerwehrler.
128 km/h Orkanböe in Chieming
In Verbindung mit dem Gewitter seien Höchstwerte an den Messstationen des DWD zwischen „zehn und 20, örtlich 20 bis 35 Millimeter Niederschlag“ gemessen worden. „Die Messstationen Reit im Winkl und Chieming führen mit 34 beziehungsweise 35 Litern pro Quadratmeter in der Summe die Hitliste an“, sagt der Wetterexperte Bock. Die Wetterstation in Chieming sei relativ genau im Zentrum des Gewitters gelegen und konnte eine Orkanböe der Windstärke 12 mit 128 Kilometern pro Stunde messen. In Waging am See wurde eine Sturmböe der Windstärke 10 registriert.
„Griff zur Motorsäge“
Wind und Regen brachten die von Hobmaier prognostizierten Einsätze. Die Feuerwehren im Landkreis Traunstein mussten zu rund 40 Einsätzen ausrücken. „In den meisten Fällen war der Griff zur Motorsäge nötig, um umgestürzte Bäume von Fahrwegen zu beseitigen“, sagt Hubert Hobmaier. Als erste Feuerwehr im Landkreis Traunstein sei die Feuerwehr Grassau um 21.48 Uhr wegen eines umgestürzten Baumes auf die Staatsstraße 2096 alarmiert worden. Im Anschluss fielen zahlreiche weitere Bäume im Landkreis, spannten die Wehren ein und blockierten die Straßen. Zusätzlich seien vereinzelt Keller vollgelaufen.
Person im Wald verlaufen
Im Zentrum des Gewitters in Hart bei Chieming „wurde die Feuerwehr wegen einer Person alarmiert, die sich in einem Waldstück verlaufen hatte“, sagt Hobmaier. Die aus Georgien stammende Frau sei auf dem Heimweg von der Arbeit von dem Gewitter überrascht worden und habe einen Notruf abgesetzt. „Aufgrund der Sprachbarriere war das ganz schön knifflig, dass man die finden konnte“, führt der Feuerwehrler aus. Glücklicherweise habe man die Frau wohlbehalten, aber durchnässt gefunden. „Nachdem sich die Frau im Feuerwehrfahrzeug aufgewärmt hatte, haben wir sie kurzerhand in ihre Wohnung gefahren“, berichtet die Harter Kommandantin Daniela Rottner.
Die vereinigte Gewitterzelle „zog nord- bis nordostwärts und erreichte bis circa 22.00 Uhr Trostberg, Traunreut und Traunstein. Gegen 22.45 Uhr zog das Gewittergebiet Richtung Burghausen beziehungsweise Oberösterreich ab“, sagt der Meteorologe Lothar Bock. Nicht zum ersten Mal wirkte der Chiemsee als Barriere. Während Orkanböen und Starkregen am östlichen Ufer wüteten, blieb der Westen größtenteils verschont.
Chiemsee trennt die Fronten
Der Rosenheimer Kreisbrandrat Richard Schrank berichtet von wenigen vereinzelten Einsätzen im westlichen Chiemgau: „Nicht das, was man sonst so gewohnt war – Gott sei Dank mal ein bisschen weniger.“ Das bestätigt auch die Feuerwehr in Bernau. „Wir sind da relativ glimpflich davongekommen“, sagt ein Sprecher. Mit der Stärke des Unwetters habe man in Bernau nicht gerechnet. „Von dem her hat es uns doch wieder mal etwas überrascht“, führt der Feuerwehrler aus.
Baum auf altem T3
Glücklicherweise musste die Feuerwehr nur zu einem Einsatz ausrücken. „Es war nur ein einziger Baum in der Baumannstraße, der auf ein Auto draufgestürzt ist“, berichtet der Sprecher der Bernauer Feuerwehr. Der Einsatz sei nach einer knappen Stunde beendet gewesen. Ein massiver Baum mit einem Stamm von 60 Zentimetern Durchmesser sei auf einen Wohnmobil-Camper gefallen, „so ein alter T3, aber bei dem Unwetter, das vor ein paar Wochen über Bernau gezogen ist, da hatten wir alleine in Bernau 38 Einsätze.“ Der Feuerwehrler geht davon aus, dass diese plötzlichen und starken Gewitter in den nächsten Jahren häufiger auftreten werden.

