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Mann (†35) in Grassau-Mietenkam gestorben

Welche Seelenqualen durchlebt ein Polizist nach Todesschuss? So helfen PIN und ein spezieller Kreis

Depression
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Ein Schusswaffengebrauch kann für Polizisten eine traumatische Erfahrung sein. (Symbol)

Wie geht es dem Polizisten, der nach einer Messer-Attacke im Grassauer Ortsteil Mietenkam einen tödlichen Schuss abgeben musste? Experten erklären, wie Menschen in so einem Fall geholfen wird und welche Probleme drohen.

Grassau - Was geht in einem Polizisten vor, der wie im Fall Grassau-Mietenkam durch eine Messer-Attacke selbst in eine lebensbedrohliche Situation gerät und einen Menschen erschießen muss? „Das ist eins der eindrücklichsten Erlebnisse, wenn Polizeibeamte einen tödlichen Schuss abgeben müssen. Zum Glück ist das die Ausnahme, aber ab und zu kommt es zur Ultima Ratio. Das will wirklich keiner haben“, beschreibt Jürgen Köhnlein im Interview mit dem OVB die Situation.

Jürgen Köhnlein, Bayerns Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG).

KIT und Seelsorge im Einsatz

Er ist der bayerische Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) und darf natürlich schon wegen der Wahrung der Privatsphäre nichts zum aktuellen Zustand seines Kollegen sagen. Der Beamte hatte im sonst so beschaulichen Achental nach einer Messer-Attacke eines 35-Jährigen Mannes den tödlichen Schuss mit seiner Dienstwaffe abgegeben.

Fest steht: Der Kreis um den Schützen hat sich geschlossen. Während der von der zuvorgegangenen Geiselnahme betroffenen Mutter des Toten ein Kriseninterventionsteam (KIT) zur Verfügung stand, wurden der Schütze und andere Einsatzkräfte noch am Montagabend (8. Dezember) von Spezialisten der Polizei aufgefangen. Und wie man hört, ist inzwischen auch die Seelsorge in den Fall involviert.

Die kirchliche Polizeiseelsorge ist nur ein Puzzleteil der Möglichkeiten, die Beamten in solchen Ausnahmesituationen von ihrem Arbeitgeber zur Verfügung steht. „Wir sind da glücklicherweise sehr weit bei den Möglichkeiten der Betreuung für Menschen in solchen Ausnahmesituationen. Alle Angebote sind im polizeiinternen Netzwerk PIN miteinander verbunden“, verrät Köhnlein. Das es dieses Netzwerk gibt, erfahren die Polizisten bereits in der Ausbildung auf Extremsituationen. Oftmals kennen sie auch die persönlichen Ansprechpartner für derartige Krisenfälle schon persönlich – das hilft im Fall der Fälle ganz besonders.

Zum Netzwerk PIN gehören auch der zentrale psychologische Dienst, der mit studierten Experten der Fachrichtung besetzt ist. Und der polizeiliche soziale Dienst, in dem zum Beispiel Soziologen und Sozialpädagogen beim Umgang mit Konfliktsituationen helfen.

Seelennöte mit Kollegen besprechen

Speziell für die Verarbeitung von schweren Einsatzlagen - zu der die in Grassau-Mietenkam mit Sicherheit gehören dürfte - existiert zudem ein Netzwerk mit speziell geschulten Polizisten (PEER). Peer ist der englische Begriff für der Gleiche und der Oberbegriff für geschulte Einsatzkräfte, die als erste Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Das können genauso Dienststellenleiter wie einfache Streifenbeamte sein. Das ist deswegen sinnvoll, weil es für betroffene Einsatzbeamten oft am einfachsten ist, ihre Seelennöte mit Kollegen zu besprechen. „Das sind alles nur Angebote, das soll keine Überbetreuung sein“, sagt Köhnlein.

Die meisten Einsatzkräfte in so einer Lage nehmen eine oder mehrere Möglichkeiten jedoch wahr. Schließlich sind Polizisten Menschen und keine coolen Killer. Sie sind zwar auf solche Situationen vorbereitet, aber im konkreten Moment erleben sie dann doch alles als ganz anders. Köhnlein: „Jeder Kollege reagiert anders, auch wenn die Entscheidung zum Schusswaffengebrauch alternativlos war. Hat man trotzdem Zweifel und was tut das mit einem? Reicht es, wenn die Familie den Betroffenen auffängt? Manche können schneller wieder in den Tagdienst gehen, andere brauchen eine Auszeit.“ Stefan Sonntag vom Polizeipräsidium Oberbayern Süd ergänzt, dass die Verarbeitung abhängig vom Fall und der betroffenen Situation „Tage, Wochen oder auch länger“ dauere.

Da der Polizist im Fall Grassau-Mietenkam nach den ersten Vernehmungen durch Staatsanwaltschaft Traunstein und Landeskriminalamt (LKA) nur als „Zeuge und nicht Beschuldigter“ gilt, könnte er theoretisch jederzeit auf Arbeit gehen. Laut Sonntag besteht aber natürlich auch die „Möglichkeit, sich krankschreiben zu lassen“. Schließlich, so Köhnlein, drohe die „Gefahr eines posttraumatischen Belastungssyndroms“.

Selbsthilfegruppe Schusswaffengebrauch

Zur Vermeidung oder Beendigung dieses Krankheitsbildes helfen am besten Gespräche. Deshalb gibt es bei der Polizei noch einen ganz speziellen Kreis von ehrenamtlich tätigen Kollegen. „Das ist unsere Selbsthilfegruppe Schusswaffengebrauch“, berichtet Köhnlein: „Darin sind nur Kollegen, die schon einmal gezwungen wurden, im Dienst ihre Schusswaffe einzusetzen.“ Seelsorger und Psychologen berichten, dass sich Betroffene bei Menschen, die schon einmal Ähnliches durchlitten haben, besser aufgehoben fühlen.

Eine Garantie ist das alles nicht. Einsatzkräfte zur Gefahrenabwehr bei Feuerwehr oder Polizei gehören in puncto psychische Traumatisierungen zur Hochrisiko-Population. Einige scheitern bei der Verarbeitung der Seelenqualen und schaffen den Weg zurück in den Job nicht.

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