NS-Zeitzeugin und Ausnahme-Bergsteigerin
Martha Schürf: Nachruf auf das bewegte Leben einer Siegsdorferin
„Sie hat sich schon als junges Mädchen geweigert, den Hitlergruß zu machen.“ Martha Schürf wuchs in Hörgering bei Eisenärzt in der Gemeinde Siegsdorf auf, mit 94 Jahren ist sie nun gestorben. Es bleibt die Erinnerung an eine Frau, die ihren Prinzipien treu blieb. Ihre Nichte Hildegard Kecht erzählt vom NS-Widerstand und der großen Bergliebe ihrer Tante:
Siegsdorf – Marthas Vater war vom Ersten Weltkrieg zurückgekehrt, erzählt Hildegard Kecht. Kriegsmüde, ausgezehrt. Und nicht mehr bereit, in einen weiteren Krieg zu ziehen: „Er hat damals erste Kontakte zu den Bibelforschern gehabt.“ Und zu dieser Zeit sei auch Martha Schürf geboren worden.
Kriegsdienstverweigerung des Vaters - Verfolgung durch die Nazis
Die Eltern der kleinen Martha konvertieren zu den Zeugen Jehovas, damals Bibelforscher genannt. Aus Glaubensgründen verweigert ihr Vater den Kriegsdienst. Er verteilt in den 1930er Jahren Schriften, die sich gegen Hitlers Regime aussprechen. Dadurch gerät die Familie von Martha Schürf in den Fokus der Nazis: „Das war schon sehr mutig damals“, betont auch Hildegard Kecht. Und auch ihre Tante Martha erzählte von Ausgrenzung und Ärger schon in der Schule: Den Hitlergruß habe sie schon als Mädchen verweigert.
Marthas harte Kindheit ohne Eltern
Der Widerstand hat schwere Konsequenzen für die Familie: Beide Eltern von Martha werden inhaftiert. Sebastian Schürf wird in den berüchtigten Gestapo-Keller verschleppt, so Kecht. Die Mutter kommt nach Dachau in Haft. Zurück bleiben Martha und ihr jüngerer Bruder Herbert.
Fortan kümmert sich die ältere Schwester Veronika, um ein Auseinanderreißen der Familie abzuwenden. Sie sind auf sich allein gestellt. Der älteste Bruder von Martha ist als Soldat im Krieg. Das habe vermutlich geholfen, dass Marthas Eltern überleben, da die Nazis den Kriegsdienst des Ältesten wohl als mildernde Umstände für seine Eltern werten.
„Martha war eine sehr talentierte und fleißige Näherin“
Letztlich ist die Familie nach Kriegsende wieder vereint. Martha geht ihren Weg. Erst habe sie, so ihre Nichte, in einem Notariat gearbeitet, dann aber eine Lehre als Näherin abgeschlossen: „Sie hat zunächst beim Haider in Traunstein gearbeitet, aber dann bei Bogner begonnen. Die Martha war eine sehr talentierte und fleißige Näherin“
Das habe gut gepasst, erklärt Hildegard Kecht, denn: Bogner war damals die führende Skisportmarke und Martha eine leidenschaftliche Skifahrerin. Nicht nur das - die Siegsdorferin ist auch eine außergewöhnlich ambitionierte Bergsteigerin. Als Frau - ungewöhnlich für die damalige Zeit:
Eine der wenigen Alpinistinnen ihrer Zeit
„Martha hat sicherlich über fünfzig Viertausender bestiegen, wenn es reicht“, so Hildegard Kecht. In den Bergen findet Martha ihr Zuhause und ihr Glück. Nach einer enttäuschen Liebe bleibt sie alleinstehend und widmet ihre Energie den Bergen: „Sie war viel in der Schweiz, Matterhorn, Biancograd am Piz Bernina, die ganzen Klassiker.“ Sie war aber auch in Nepal, erzählt Kecht weiter, auch den höchsten Berg Ecuadors, den Chimborazo habe sie bestiegen.
Mit achtzig Jahren noch auf der Skipiste
Wie lange ist Martha Schürf in den Bergen dieser Welt unterwegs? „Ja, eigentlich ihr Leben lang.“ Hildegard Kecht erzählt, wie ihre Tante sich noch mit achtzig Jahren ihre Knie operieren ließ, um wieder Skifahren zu können. Und tatsächlich sei sie, so Kecht, danach nochmal auf Skiern die Piste runtergebrettert: „Die Martha war da eisern. Jeden Tag trainieren, alles zu Fuß gehen.“
„Nochmal richtig zusammengewachsen“
In den allerletzten Jahren sei es ihr dann schwergefallen, dass sie nicht mehr ganz so konnte, wie sie wollte. Aber, erzählt Hildegard Kecht: „Ich habe mich dann ja viel um die Martha gekümmert, und in dieser Zeit sind wir beide nochmal richtig zusammengewachsen.“
Vorbild für Generationen - Martha Schürf unvergessen
Als Schulmädchen gegen das NS-Regime, als erwachsene Frau eine talentierte Näherin und eine Ausnahme-Bergsteigerin. Martha Schürf hat ein beeindruckendes Leben geführt und nicht nur ihre Familie wird sie für immer als engagiertes und integres Vorbild in Erinnerung behalten. Ihren Elan hat sie an viele jüngere Bergsteiger weitergegeben und war eine Vorreiterin gerade für Frauen im Alpinismus.




