Ticker: Gerichtsurteil im Eiskeller-Mordprozess
Neun Jahre Haft für Sebastian T.: Erste Stimmen nach dem Schuldspruch
Traunstein / Aschau i. Chiemgau – Am Landgericht Traunstein wurde am 19. März das Urteil gegen Sebastian T. (22) gefällt: Er hat nach Ansicht des Gerichts Hanna W. (†23) auf ihrem Heimweg vom Club „Eiskeller“ bewusstlos geschlagen und ermordet. Er wurde zu neun Jahren Haft verurteilt.
Das Wichtigste in Kürze:
Update, 15 Uhr – Erste Stimmen zum Urteil
Nach der Verkündung des Urteils gegen Sebastian T. haben sich dessen Verteidiger, Oberstaatsanwalt Gunther Scharbert und Rechtsexperte Peter Dürr gegenüber ovb24 geäußert. Regina Rick sprach unter anderem von „einem falschen Urteil“, kündigte Revision an und beteuerte erneut die Unschuld ihres Mandanten.
Update, 13 Uhr – Die Vorsitzende Richterin zum Strafmaß
„Wie ist der Angeklagte zu bestrafen?“, fragt Aßbichler. Es sei unbestreitbar, dass Jugendstrafrecht angewendet werden müsse. „Viele Leute werden sich fragen: Warum sagt er nichts? Doch hierzu ein Hinweis des Gerichts: Der Angeklagte muss nichts sagen. Er darf lügen – die Verteidigung nicht.“ Sebastian T. sei aber sehr jung und sozial sehr unerfahren. Die Hauptverhandlung sei sehr belastend, ebenso die Berichterstattung. Außerdem habe es sich um eine spontane und keine geplante Tat gehandelt. Doch die Verletzungen von Hanna W. seien groß gewesen und es seien zwei Delikte in einem kurzen zeitlichen Ablauf durchgeführt worden. „Die Belastung der Eltern von Hanna ist unvorstellbar“, so Aßbichler.
Unter Berücksichtigung dieser Fakten sei eine Jugendstrafe von neun Jahren geboten. Dies habe auch einen erzieherischen Aspekt. Es sei Zeit für die Aufarbeitung des Geschehens erforderlich, denn die Bilder würden den Angeklagten verfolgen. „Es ist bereits angekündigt worden, dass Revision eingelegt wird und die Sache vor den Bundesgerichtshof geht”, so Aßbichler. Abschließend appelliert sie an die Medien, sich ihrer großen Verantwortung in Bezug auf die Berichterstattung zu erinnern. Dann schließt sie die Verhandlung. Der Prozess gegen Sebastian T. ist nun beendet.
Update, 12.50 Uhr - So rekonstruiert das Gericht die Tat
„Wir haben lange gerechnet, und der Angeklagte konnte genau zu dem Zeitpunkt am Tatort sein“, sagt Aßbichler weiter. „Die Frage ist: Wäre eine DNA an Hannas Leichnam zu erwarten gewesen? Nein, denn sie ist stundenlang im Wasser getrieben.“ Doch beim Angeklagten sei es möglich gewesen, DNA zu finden, doch der habe eine falsche Hose gebracht.
Gegenüber der Polizei habe Sebastian T. gesagt, er sei nicht in der Nähe des Clubs Eiskeller gewesen. „Wir brauchen die beste Freundin von T. nicht als Zeugin“, schließt Aßbichler und fährt fort mit der Begründung des Urteils. Sebastian T. sei schüchtern, unscheinbar und man traue ihm eine solche Tat nicht zu. „Aber er ist nicht in der Lage Gefahren einzuschätzen, er explodiert, er schaut Gewaltvideos und Schwerpunkt darin war: das Quälen eines Menschen bis zum Tode“ so Aßbichler.
Der Konsum der Pornovideos habe sich bis zur Tat gesteigert, und die Vielzahl der Aufrufe ergebe ein Bild. In der fraglichen Nacht sei der Angeklagte ganz zufällig auf Hanna W. getroffen. Die Medizinstudentin hatte sich spontan entschlossen, nicht mit ihrem Nachbarn nach Hause zu gehen. Dann habe der Angeklagte Hanna von hinten angegriffen und sich mit den Knien auf sie gewuchtet.
Hanna habe versucht ihre Eltern anzurufen, Sebastian T. habe es bemerkt und das Handy ins Wasser geworfen. Sebastian T. habe dann begonnen, die junge Frau zu schlagen. „Hanna war bewusstlos, sie konnte sich nicht wehren. Aber aus irgendeinem Grund hat er aufgehört. Er lässt ab von Hanna, wirft sie ins Wasser und läuft nach Hause“, so Aßbichler. Wer das Spiel „Clash of Clans“ an seinem Handy gespielt habe, sei nicht wichtig, da es nicht im Tatzeitraum liege. Der Angeklagte selbst habe nicht gesagt, dass er die App an dem Morgen benutzte.
Update, 12.40 Uhr - Darum ist der Mithäftling glaubwürdig
„Der Mithäftling sagte, es seien keine Spuren festgestellt worden, das wusste der Angeklagte von seinem Anwalt“, so die Richterin. „Das hätte er von niemandem sonst erfahren können.“ Der Zeuge aus der JVA Traunstein habe gesagt, dass Sebastian T. Hanna bewusstlos geschlagen habe – und dies sei nie in der Presse gewesen. „Er habe sie bewusstlos geschlagen, damit sie sich nicht wehren könne“, zitiert Aßbichler die Aussage des Zeugen.
„Auch das war nicht in der Presse, entspricht aber den Feststellungen.“ „T. sagt, er habe sie dann ins Wasser geworfen“, zitiert Aßbichler weiter und mehr. Der Mithäftling habe auch von dem Tatort erzählt, und er habe so viele weitere Informationen gehabt, die nicht in der Presse erwähnt worden waren. „Unzutreffende Schilderungen in der Presse waren zum Beispiel, dass Hanna stranguliert worden sei, oder der Tatort der Parkplatz an der Kampenwandbahn war – diese Informationen hat der Zeuge nicht erwähnt“, so Aßbichler.
Update, 12.32 Uhr - Sebastian T. hat sich selbst verraten
Am 3. Oktober 2022 sei Hanna W. erst um 22.05 Uhr über ihren Schmuck identifiziert worden. Niemand außer der Polizei habe zu diesem Zeitpunkt von dem Tod der Medizinstudentin gewusst. Zuerst hätten sich die Ermittlungen vorrangig an der Holzkernuhr ausgerichtet – ein Verdacht gegen Sebastian T. habe lange nicht bestanden. Auch bei seiner ersten Vernehmung noch nicht.
Doch der Angeklagte verriet sich scheinbar selbst: Bei seiner polizeilichen Vernehmung habe er selbst angegeben, dass er am Montagabend, dem 3. Oktober 2022, von dem Tod von Hanna erfahren habe. „Es muss an diesem Montag gewesen sein, an dem ich für den Marathon gelaufen war“, soll der Angeklagte bei dieser Vernehmung gesagt haben. Außerdem schilderte er einen Vorfall, bei dem ein Angriff auf den Kopf vor Hanna erfolgte. „Er erwähnte auch einen Stein“, sagt Richterin Aßbichler, obwohl die Ergebnisse der Rechtsmedizin dem Angeklagten nicht bekannt gewesen seien.
„Wenn man sich vorstellt, was Hanna alles geschehen sein könnte, dann ist die Beschreibung des Angeklagten schon sehr konkret“, schließt die Richterin. Im Übrigen brachte Sebastian T. eine Freizeithose mit zur Polizei und nicht die Laufhose, die auf dem Überwachungsvideo gezeigt worden war. Außerdem erwähnt die Richterin natürlich die Geständnisse des Angeklagten gegenüber drei Personen, bei der Hausparty seiner besten Freundin. Zusätzlich habe Sebastian T. selbst bestätigt, dass er das Geständnis gegenüber seinem Mithäftling abgegeben habe.
Update, 12.28 Uhr - Es war kein Unfall
Die Rechtsmediziner hätten alle erdenklichen Hinweise in Bärbach und Prien untersucht, und keine gefunden, die Rückschlüsse auf die Frakturen an den Schulterdächern von Hanna W. erlaubten. Bezüglich der Wehre in der Prien habe auch der Hydrologe darauf hingewiesen, dass ein Anstoßen oder Festhängen ohne große Kraft und somit ohne die fraglichen Frakturen ausgegangen wäre. Der Notruf von Hannas Handy sei aktiv von ihr gewählt worden, und hätte nicht durch Pflanzen oder den Fluss ausgelöst werden können. Die Zweite Jugendkammer schlussfolgerte also, dass es sich nicht um einen Unfall handelte.
Update, 12.14 Uhr - Details zur Urteilsverkündung
„Folgendes Ergebnis konnte im Rahmen der Hauptverhandlung festgestellt werden“, beginnt Aßbichler. „Es handelt sich nicht um einen Unfall.“ Hanna habe keine Schwimmbewegungen im reißenden Bach gemacht, die Nummer der Eltern gewählt und die Verletzungen an ihren Schulterdächern seien keine Treibverletzungen.
Zu den Quetsch-Riss-Verletzungen am Kopf der Geschädigten sagt Aßbichler: „Insbesondere bei den Kopfverletzungen handelt es sich um eine Gewalteinwirkung und nicht um eine Verletzung durch das Treiben im Wasser.“ Zu den großflächigen Einblutungen auf Hannas Rücken: „Diese können durch eine Hyperaktivität beim Ertrinken entstehen, doch Hanna war nicht hyperaktiv. Sie war bewusstlos.“ Auch die Hände der Geschädigten seien nicht verletzt gewesen, was ebenso auf Bewusstlosigkeit hindeute.
Die Kleidung Hannas sei nach Ansicht des Gerichts nicht von dem Fluss ausgezogen worden. Es habe keine Verletzungen an Hannas Körper gegeben, die auf ein Hängenbleiben an einem Ast oder Baumstamm oder Ähnliches hingewiesen hätten. Nur dies hätte den Rückschluss zugelassen, dass die Hose und die Jacke durch den Fluss abgestreift wurden.
„Hanna hätte sich nur auf den ersten Metern der Strecke im Bärbach selbst ausziehen können. Dann war sie tot“, so Aßbichler. Die Frage ist: Zieht sich jemand die Hose über die Turnschuhe aus, um die Strecke zum Ufer zu schwimmen? Zieht sich jemand die Jacke aus, um ans Ufer zu schwimmen?“, fragt die Vorsitzende Richterin. „Der Bärbach sei so schmal, dass sich Hanna angesichts ihrer Körpergröße leicht zum Ufer bewegen hätte können.” Hanna sei bewusstlos gewesen und es sei absurd, Schwimmbewegungen und Hyperaktivität anzunehmen.
Update, 12 Uhr - Neun Jahre Haft
Die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler verkündet das Urteil: Sebastian T. wird wegen gefährlicher Körperverletzung und Mordes schuldig gesprochen. Der Angeklagte wird zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Aßbichler weist darauf hin, dass von der Verteidigung ein Generalverdacht gegen jeden geäußert wurde, der nicht ins Bild gepasst habe. Sie lobt die umfangreiche Ermittlungsarbeit der Polizei und betont, wie lange und intensiv das Gericht in die Wahrheitsfindung investiert hat.
Update, 11.25 Uhr - Familie von Hanna eingetroffen
Auch die Familie von Hanna mit Nebenklägervertreter Walter Holderle ist nun eingetroffen. Zusammen begeben sie sich in einen Raum, um auf die Urteilsverkündung zu warten. Etwa 50 Medienvertreter haben sich vor den Türen des Gerichtssaals eingefunden. Sie werden im Saal sicherlich drei Reihen belegen. Die Spannung steigt, und ungeduldig wird auf Einlass gewartet. Erst um halb 12 wird aufgeschlossen. Die Pressesprecherin des Landgerichts sagt, es habe keinen erneuten Amokhinweis gegeben. Dieser habe für den ursprünglichen Tag der Urteilsverkündung, den 5. März, gegolten. Die Sicherheitsvorkehrungen seien nur aus Vorsicht geboten.
Update, 10.55 Uhr - Starke Polizeipräsenz und lange Schlangen vor dem Gericht in Traunstein
Vor dem Gerichtsgebäude hat sich bereits eine lange Schlange von Menschen gebildet. Auch das Polizeiaufgebot ist stark: Im Gebäude selbst waren bereits Sprengstoffhunde unterwegs. Der Amokhinweis, von dem Richterin Jacqueline Aßbichler bei der Verkündung der Plädoyers sprach, scheint auch für heute zu gelten.
Konkrete Informationen dazu gibt es noch keine.Die Halle im Gerichtsgebäude ist bereits gut gefüllt. Überall sitzen und stehen Journalisten. Auch vor den Eingängen zum Gerichtssaal warten schon viele Menschen. Es dürften viele der Zuschauer wieder nach Hause geschickt werden, denn im Saal haben bloß 90 Zuschauer Platz. Einen nicht unerheblichen Anteil davon werden die Reporter ausmachen.
Vorbericht
Nach fünf Monaten und 34 Verhandlungstagen wird im Landgericht Traunstein das Ende des Mordprozesses gegen Sebastian T. (22) erwartet. Am 19. März um 12 Uhr wird die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler das Urteil der Zweiten Jugendkammer verkünden: Wird der Angeklagte wegen Mordes an Hanna W. (†23) schuldig gesprochen? Welche Begründung wird dem Urteil zugrunde gelegt? Und welche Strafe wird Sebastian T. verbüßen müssen? Auf all diese Fragen wird es dann Antworten geben.
Am 3. Oktober soll der damals 21-Jährige die Medizinstudentin Hanna W. (†23) auf ihrem Heimweg vom Club „Eiskeller“ in Aschau ermordet haben. Laut Anklageschrift soll Sebastian T. die junge Frau aus sexuellen Motiven angefallen, bewusstlos geschlagen und in den Bärbach geworfen haben. Der Leichnam der Medizinstudentin, welcher noch am selben Tag im Fluss Prien gefunden wurde, ließ zwar keine Spuren sexueller Gewalt erkennen – doch das Verletzungsbild war außergewöhnlich. Vor allem die symmetrisch gebrochenen Schulterdächer der Medizinstudentin warfen Fragen auf.
Freispruch oder neun Jahre Haft?
Dass Sebastian T. um zwei Uhr morgens für einen Marathon trainiert haben will, mag gerade noch logisch klingen. Die Kombination aus Blutspuren an seiner Kleidung, Gewaltvideos auf seinem Handy und seine mutmaßlichen Geständnisse ergibt jedoch ein einzigartiges Gesamtbild. Wird nun noch das eigenartige Verhalten des Angeklagten nach Hannas Tod und die vermeintlichen Verletzungen an seinen Unterarmen hinzugerechnet, bleibt wenig Raum für Spekulationen. Walter Holderle, der Anwalt von Hannas Eltern betonte aber auch, dass das Schweigen des Angeklagten und seiner Eltern gewisse Rückschlüsse zuließen.
Während die Verteidigung, welche sich auf unglaubwürdige Zeugen und eine mangelhafte Arbeit der Kammer berief, für einen Freispruch plädierte, forderte Staatsanwalt Wolfgang Fiedler neun Jahre und sechs Monate Haft für den Angeklagten: Rechtlich sei die Tat als gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord mit Verdeckungsabsicht zu würdigen. „Es war ein feiger Angriff auf eine wehrlose junge Frau, der ihre Familie und die ganze Region unter Schock und in einen Angstzustand versetzt hat“, so Fiedler.


