Ticker: Der 34. Verhandlungstag im Fall Hanna
Zwischen Amok-Alarm, Freispruch und Gefängnis: Die Plädoyers im Hanna-Prozess
Traunstein; Aschau i. Chiemgau – Das Ende im Mordprozess gegen Sebastian T. (22) naht: Am 8. März werden vormittags die Plädoyers der Staatsanwaltschaft erwartet. Anschließend folgt Nebenklägervertreter Walter Holderle, der für die Eltern von Hanna W. (†23) spricht: Der Angeklagte soll die Medizinstudentin am 3. Oktober 2022 ermordet haben. Am Nachmittag werden dann die drei Anwälte für ihren Mandanten sprechen – und mit großer Wahrscheinlichkeit auf Freispruch plädieren.
Das Wichtigste in Kürze
- Vorbericht: Plädoyers erwartet
- Amok-Warnung am Landgericht: Prozess-Tag beginnt mit starker Polizeipräsenz
- Staatsanwalt fordert neun Jahre und sechs Monate Haft
- Nebenklagevertreter kommt nun zu Wort
- Verteidigerin Rick legt los
- Baumgärtl macht für Verteidigung weiter
- Dr. Frank übernimmt als letzter Verteidiger
Update, 13 Uhr - Prozess für heute beendet
Die Rechtsanwältin Regina Rick schließt den Vortrag ihrer Kollegen mit einer Belehrung des Gerichts, was die Zweite Jugendkammer noch berücksichtigen hätte müssen. Sie zählt eine Liste von Dingen auf, die das Gericht nicht untersucht habe. Rick spricht von „Erfindungen der Polizei“, Unterstellungen, dass der Angeklagte nach einer Joggingrunde „durch die Pampa“ leicht bekleidete Mädchen sehen wollte und manche Sachverständige seien ungeeignet für Beurteilungen gewesen.
Rick betont, dass die Suchbegriffe zur Identifizierung von Gewaltvideos von der Polizei eingegeben worden seien. Dass Hanna W. über zwei Promille Alkohol im Blut hatte und sie „deutlich geschwankt“ habe. Außerdem sei nicht berücksichtigt worden, dass der Körper von Hanna W. lange in einem felsigen Wasserbett trieb und die Möglichkeit, dass Hannas Hose vom Fluss abgestreift wurde, sei nicht untersucht worden. Es seien auch viele Gutachten nicht berücksichtigt worden. „Sie haben nichts, was gegen diesen Jungen spricht“, schließt Rick.
Dann bittet die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler Rick, um die verlesene Liste. Die Aufzählung sei etwas schnell gewesen. Die an Sebastian T. gerichtete Frage, ob er noch letzte Worte an das Gericht richten wolle, verneint er. Somit wird die Verhandlung unterbrochen. Am 19. März um 12 Uhr wird die Zweite Jugendkammer ihr Urteil verkünden.
+++ chiemgau24.de berichtet auch dann wieder live aus dem Gerichtssaal +++
Update, 12.50 Uhr - Aussagen der Belastungszeugen laut Frank allesamt nicht glaubwürdig
Auch die Aussagen der Schulfreundin zum Verhalten des Angeklagten nach dem 3. Oktober 2022 seien laut Dr. Markus Frank in Zweifel zu ziehen. „Natürlich wird in einer Familie gesprochen – und dann bildet man sich halt etwas ein“, so Dr. Markus Frank. „Meine Conclusio zu dieser Zeugin ist, dass man auf ihre Aussagen nicht bauen kann, wenn man ein Urteil spricht“, fährt der Verteidiger fort und betrachtet nun die Vernehmungsprotokolle der Mutter dieser Zeugin. Frank fokussiert sich auf das vermeintliche Geständnis seines Mandanten während einer Hausparty der besagten Schulfreundin. Laut dem Verteidiger habe der Angeklagte diese Aussage „im Spaß“ gemacht, weil er schon im Fokus der Ermittler stand. Regina Rick nickt zustimmend.
Bezüglich des Geständnisses, das Sebastian T. gegenüber einem Mithäftling gegeben habe, sagt Dr. Markus Frank: „Erst zehn Monate später hat sich der Zeuge an seinen Anwalt gewandt.“ Bezüglich der Glaubwürdigkeit der Aussage sagt Frank, die psychologischen Diagnosen und die Justizvorgeschichte des Mithäftlings erweckten erhebliche Zweifel. Gerade weil der Zeuge einer Frau gegenüber eine Krebserkrankung vorgetäuscht habe, damit diese ihm sich sexuell zuwenden würde.
Bei der Beurteilung der Aussage des Mithäftlings, dass Sebastian T. ihm gestanden habe, Hanna W. aus sexuellen Motiven bewusstlos geschlagen und in den Fluss geworfen zu haben, sei der Medienkonsum des Häftlings zu berücksichtigen: „Die paar Phrasen, mit denen er uns in der Hauptverhandlung bedient hat, die kann ich ohne weiteres aus TV-Sendungen übernehmen“, so Frank.
Update, 12.38 Uhr - Dr. Frank übernimmt als letzter Verteidiger
Dr. Markus Frank übernimmt: Auch er konzentriert sich zuerst auf die polizeiliche Vernehmung der Schwester von Sebastian T.s Schulfreundin am 22. November 2022. „Man sei am 3. Oktober hinter dem Auto der Zeugin gestanden. Dabei habe der Angeklagte gefragt, ob man schon von dem Mord an einer jungen Frau aus Aschau gehört habe. Wenn das so sei“, betont der Verteidiger, „dann handelt es sich um Täterwissen.“ Laut der Aussage der Zeugin bei der Polizei sei die Gruppe nach einem Ausflug zum Tischtennisspielen am Auto zusammengestanden und es sei schon dunkel geworden.
Der Verteidiger stellt dem Vernehmungsprotokoll die Aussagen der Zeugin in der Hauptverhandlung gegenüber, wo sie sich nicht mehr an dieses Gespräch am Auto erinnern konnte. Auch an die Nachricht ihrer Schwester, in der diese von ihrer „Paranoia“ wegen des Mordes in Aschau sprach, erinnerte sich die Zeugin in der Hauptverhandlung wohl nicht. Dr. Frank geht noch auf einen weiteren Bekannten von Sebastian T. ein, der bei diesem Tischtennisausflug dabei gewesen sein soll. Er sagte aus, von einem Gespräch über den Mord an Hanna an diesem Abend nichts zu wissen.
Insgesamt zeigen die Aussagen dieser Zeugen laut Dr. Frank, dass die Angaben der Schulfreundin von Sebastian T. unglaubwürdig seien. Sie hatte den Angeklagten mit ihren Aussagen aber schwer belastet, weil ihm damit Täterwissen unterstellt wurde. Es gebe einige eklatante Widersprüche in den Aussagen der Zeugen – beispielsweise bezüglich der mutmaßlichen Bedrohung der Schulfreundin durch Sebastian T. mit seinem Messer: Laut der Schwester der Schulfreundin, sei sie selbst im Auto gesessen, als Sebastian T. der Schulfreundin das Messer an den Hals setzte. Laut der Schulfreundin selbst, sei die Schwester aber nicht dabei gewesen und sie habe ihrer Schwester auch nicht von dem Vorfall erzählt.
Update, 11.57 Uhr - Baumgärtl macht für Verteidigung weiter
Nun übernimmt Harald Baumgärtl und betont, dass jeder der drei Anwälte des Angeklagten einen eigenen Ansatz in der Verteidigungsstrategie verfolge. Auch für die Öffentlichkeit sei es wichtig zu verstehen, dass jeder der Verteidiger für den Angeklagten arbeite. Anschließend fasst Baumgärtl die Aussagen der Schulfreundin von Sebastian T. zusammen und fokussiert sich darauf, deren Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Weil ihr Mobiltelefon am 3. Oktober 2022 nicht in eine Funkzelle in Aschau eingeloggt gewesen sei, könne es nicht sein, dass Sebastian T. ihr an diesem Abend bei einem Spaziergang von dem Mord in Aschau erzählt hatte.
Ein weiterer Punkt, der darauf hinweise, dass dies nicht stimme, sei, dass die Schulfreundin in ihrer Vernehmung von einer „großen Runde“ mit Sebastian T. geredet habe. Ihr Mobiltelefon habe aber an diesem Tag keine außerordentlich große Menge an Schritten gezählt. Auch in einer Nachricht an ihre Schwester habe sie von einem Treffen am 4. und nicht am 3. Oktober gesprochen. Baumgärtl zitiert die Nachricht der Schulfreundin: „Ich habe bei der Polizei einen Schmarrn erzählt - es war nicht am 3., sondern am 5. also zwei Tage nachher.“ Diese Sprachnachricht sei zu würdigen, wenn es um die Glaubwürdigkeit der Zeugin gehe, schließt der Anwalt.
Update, 11.43 Uhr - Jetzt legt Verteidigerin Rick los
Nun ist Anwältin Regina Rick an der Reihe: Die Verteidigerin von Sebastian T. beginnt ihr Plädoyer mit einem Schlag unter die Gürtellinie gegen Staatsanwalt Wolfgang Fiedler und die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler. Sie zitiert aus den bereits in den letzten Verhandlungstagen angeführten E-Mails zwischen Staatsanwalt und Richterin und verliest eine Kommunikation über die Tat und den Tathergang des Angeklagten. Sie wirkt etwas trotzig, als sie ihr Zitat mit den Worten schließt: „Dem ist nichts hinzuzufügen. Mein Mandant ist freizusprechen.”
Update, 11.22 Uhr - Nebenklagevertreter Holderle schießt scharf gegen Verteidigerin Rick
Auch die Aussagen der festnehmenden Polizeibeamten holt Nebenklagevertreter Holderle in Erinnerung: „Einer der Beamten schloss, dass der Angeklagte im Prinzip schon mit der Festnahme gerechnet hat.“ Auch was der Mithäftling in der JVA aussagte, sei glaubhaft. „Der Zeuge hat sich noch sehr, sehr genau daran erinnern können, wann das Gespräch stattgefunden hat. Seine Erinnerungen waren sehr detailgetreu und es ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass es das Gespräch tatsächlich gegeben hat. Und wieso soll der Zeuge die Unwahrheit gesagt haben?“ Es habe keine Gründe gegeben, keinen Streit zwischen dem Zeugen und dem Angeklagten, dem Mithäftling sei auch kein Deal vorgeschlagen worden.
Laut Holderle seien die Aussagen des Zeugens aus der JVA Traunstein auch von einem weiteren Häftling bestätigt worden. Auch dieser sei wegen der Schuld Sebastian T.s stutzig geworden, da der Angeklagte ihm gegenüber gestanden habe, dass er sich für Gewaltpornos interessiere und dass man „Erlebtes auch verdrängen könne.“ Zu den Unfallthesen der Verteidigung sagt Holderle: „Wir haben alle das Video gesehen. Hanna wankte trotz des Alkoholkonsums nicht und war fähig, geradeaus zu gehen.“ Es sei außerdem auch völlig abwegig, dass die Medizinstudentin am Straßenrand urinieren wollte, und dabei in den Bärbach stürzte.
„Hanna müsste ins Wasser fallen, sich dort die Jacke ausziehen und dann telefonieren – das ist abwegig und widersinnig“, so Holderle. Hannas Hose sei von ihrer Mutter noch enger genäht worden, weil die 23-Jährige sehr schlank war. „Aus Sicht von Malcherek war das Ausziehen der Hose durch das Wasser abwegig“, betont der Nebenklägervertreter. Auch, dass in der Lunge der Hanna W. kaum Wasser festgestellt worden sei, stelle heraus, dass sie nicht im Überlebenskampf ertrank. „Hanna wurde umgebracht - und im Namen der Eltern von Hanna danke ich dem Staatsanwalt für das sehr präzise Plädoyer. Genauso hat sich das Ganze zugetragen.“
Auch den Leitern der Soko „Club“ dankt Holderle im Namen seiner Mandanten. Dass eine Polizeibeamtin von der Verteidigung massiv angegangen und diskreditiert worden sei, empfinde man als hochgradig unangebracht. „Das, was die Eltern von Hanna in diesem Verfahren erleben mussten, hat Grenzen überschritten. Verteidigung ist ganz ganz wichtig - und es gehört mit Sicherheit dazu, dass man kritisch hinterfragt. Wenn man dann aber gegenüber Medien von einer ‚Traunsteiner Rechtsauffassung’ spricht, oder von einer ‚Revision’, dann ist das unangebracht“, so der Anwalt von Hannas Eltern.
Holderle: „Noch ein paar Worte an Sie, Frau Rick“, schließt Holderle: „Einen früheren Mandanten einzuführen, und ihn im Gerichtssaal mit den Zuschauern zu platzieren, ist ein Stich in die Seele der Eltern von Hanna. In diesem Verfahren geht es nicht um Sie, nicht um ein Verfahren von früher. Da geht es um den Tod von Hanna. Ein solches Vorgehen ist einem Organ der Rechtspflege unwürdig.“ Bezüglich der Strafe schließt sich Holderle der Forderung des Staatsanwalts an.
Update, 10.57 Uhr - Nebenklagevertreter kommt nun zu Wort
Nun ist Walter Holderle, der Nebenklägervertreter und Anwalt der Eltern von Hanna W. an der Reihe: Holderle geht zuerst auf die Schreckensnachricht ein, die seine Mandanten in der Nacht des 3. Oktober 2022 erhielten. Anschließend widmet er sich den vielen Auffälligkeiten, die sich aus den Vernehmungen und den Beweisen gegen Sebastian T. ergeben haben, und geht dabei explizit auf den Gewaltpornokonsum des Angeklagten ein: ‚Cute, strangled and fucked’, so was schaut sich der Täter zwei Tage vor der Tat an!“, so Holderle. „Der Pornokonsum des Angeklagten war exorbitant hoch!“
Dann fokussiert sich der Anwalt auf Charaktereigenschaften von Sebastian T., die auf ein gewisses Talent für strategisches Denken schließen lassen – beispielsweise die Vorliebe des Angeklagten für das Schachspiel. Weiter fragt Holderle, warum der Angeklagte am 4. und 5. Oktober 2022 krankgeschrieben war, obwohl er noch am 3. Oktober frühmorgens joggen konnte. „Das sind Fragen, die sich stellen“, so Holderle. Der Nebenklägervertreter geht explizit auf die Kratzer an Sebastian T.s Unterarmen ein, das Täterwissen, das Sebastian T. schon sehr früh offenbarte, und schließt: „Da gibt’s nur einen Zusammenhang!“
Holderle geht anders als Staatsanwalt Fiedler auf die vielen Zeugenaussagen ein. Er erwähnt vornehmlich die Aussagen von Bekannten des Angeklagten, die Auffälligkeiten zeigten. „Wenn man sich das alles anschaut, was sich hier an Fragen auftut, dann fragen sich die Eltern von Hanna: Wieso spricht er nicht? Und wieso sprechen die Eltern nicht? Das ist augenfällig. Man könnte sehr gut aufklären – doch man macht es nicht.“ Holderle wirft den Eltern des Angeklagten vor, dass auch in Bezug auf Handyauswertungen mehr Mithilfe seitens der Eltern erwartet werden hätte können.
Update, 10.40 Uhr - Staatsanwalt fordert neun Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe
Bei dem Angeklagten habe sich in den Tagen vor der Tat erheblicher Druck aufgebaut, so Fiedler: „Um diesen Druck abzubauen, ging er in dieser Nacht bewusst aus dem Haus, um zu laufen.“ Dabei habe er Hanna W. gesehen, die unfreiwillig – wegen des kaputten Reißverschlusses an ihrer Hose – einen Blick auf ihr Gesäß freigab. Weil der Angeklagte noch immer unter großem Druck gestanden habe, habe er sie am Arm gepackt, ihr dabei die Jacke ausgezogen und Hanna W. bäuchlings zu Boden geworfen, um sich dann mit Wucht auf ihre Schultern zu knien.
„Das Delikt hatte den Angeklagten vollkommen im Griff“, sagt Fiedler. So habe Sebastian T. der Geschädigten mindestens fünfmal auf den Kopf geschlagen und als er realisierte, was er getan hatte, warf er Hanna W. in den Bärbach. Rechtlich sei die Tat als gefährliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit Mord mit Verdeckungsabsicht zu würdigen. Die Tat sei in zwei Abschnitten zu betrachten: Der Angriff mit sexuell motivierter Absicht sei als gefährliche Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung zu bewerten. Der Angeklagte habe Hanna W. zu diesem Zeitpunkt noch nicht töten wollen. Als er aber realisierte, was er getan hatte, habe er, mit dem Mordmerkmal „Verdeckungsabsicht”, die Bewusstlose in den Bärbach geworfen.
„Es war ein feiger Angriff auf eine wehrlose junge Frau, der ihre Familie und die ganze Region unter Schock und in einen Angstzustand versetzt hat“, so Fiedler. Er fordert eine Freiheitsstrafe in Höhe von neun Jahren und sechs Monaten.
Update, 10.30 Uhr - Staatsanwalt über Psyche des Angeklagten: „Er wies fast autistische Züge auf“
Staatsanwalt Fiedler fährt in seinem Plädoyer mit der Beschreibung der Erkenntnisse zur Psyche des Angeklagten fort. Er zeige eindeutig eine Frustrations- und Gewaltproblematik. „Die passen zu hundert Prozent zur vorgeworfenen Tat“, so Fiedler. Vom Typ her sei Sebastian T. aggressionsgehemmt, „die Aggressionen stauen sich aber in ihm auf und entladen sich dann wie ein Vulkan.“ Auch gegenüber dem Sachverständigen Dr. Huppert habe Sebastian T. gesagt, er habe sich über sich selbst geärgert und es sei aus ihm heraus geplatzt. Fiedler bezieht sich auf den Ausbruch während Sebastian T.s Untersuchungshaft, als er sich durch einen Faustschlag in die Wand verletzte.
Der Staatsanwalt fasst auch die Erzählung eines Gruppenleiters des Angeklagten zusammen, der von einem gestörten Sozialverhalten berichtete, und dass sich Sebastian T. nicht in Gruppen integriere. „Er wies fast autistische Züge auf“, so Fiedler. Dann geht es um die Gewaltvideos und die Internetsuchen des Angeklagten: „Versklavt, Los Shorts, Vergewaltigung, Entführung: Diese Begriffe sind nicht allgemein gebräuchlich und zeichnen außerdem ein deutliches Bild von den Annäherungsversuchen an Hanna W.“ Auch bei seiner besten Freundin habe Sebastian T. mehrere Versuche unternommen, sie anzufassen, obwohl er wusste, dass sie das nicht wollte. Sogar ein Messer habe er seiner Schulfreundin an den Hals gehalten.
Zu den Aussagen des Mithäftlings in der JVA Traunstein sagt Fiedler: „Der Zeuge sagt die Wahrheit und der Angeklagte hat sich ihm wegen eines gewissen Vertrauensvorschusses geöffnet.“ Auf die Nachfragen des Mithäftlings habe Sebastian T. schließlich gestanden, dass er Hanna W. aus sexuellen Gründen bewusstlos geschlagen habe.
Update, 10.14 Uhr - Staatsanwalt geht in Plädoyer auf mögliches Tatgeschehen ein
Dann geht Fiedler auf das mögliche Tatgeschehen ein und schildert, wie der Angeklagte Sebastian T. als Jogger von einer Videokamera gefilmt wurde. Detailliert geht er auf den Weg und den Zeitrahmen ein, in dem Sebastian seine Route ablief und dabei auf Hanna W. stieß. Wie in der Anklageschrift geschildert, fasst Fiedler zusammen, wie der Angeklagte die Medizinstudentin von hinten angriff und sie zu Boden brachte, während Hanna noch versuchte ihre Eltern anzurufen. Sebastian T. habe seinem Opfer die Jacke und Hose ausgezogen.
„Dann schlug er ihr mit einem Stein oder Messerknauf fünfmal gegen den Kopf“, so Fiedler. Nach seiner Tat habe der Angeklagte Hanna W. in den Bärbach geworfen, wo sie innerhalb weniger Minuten ertrank. Nach seiner Tat habe er mit Freunden Kontakt aufgenommen und seiner besten Freundin von der Tat erzählt. „Sie hat immer wieder versichert, dass das Gespräch am 3. Oktober stattfand“, so Fiedler.
Zu der Tatsache, dass die Verteidigung das „Clash of Clans“ - Spiel mehr oder weniger als Alibi in die Verhandlung einführen wollte, sagt Fiedler: „Bei seinen polizeilichen Vernehmungen hat der Angeklagte nie etwas von der Nutzung eines Handyspiels gesagt.“ Auch die Geständnisse des Angeklagten gegenüber seinen Freunden und einem Gefängnisinsassen bewertet Fiedler als sicheren Hinweis auf dessen Schuld.
Update, 10.06 Uhr - Staatsanwalt zitiert Rechtsmedizinerin: „So etwas habe ich noch nie gesehen“
Staatsanwalt Fiedler fasst zusammen, dass zweifelsfrei Gewalteinwirkungen von dritter Hand am Leichnam Hanna W.s festgestellt worden seien. „Als Todesursache wurde Ertrinken festgestellt, doch ein Unfall scheidet wegen des Verletzungsbildes aus: Am Kopf wurden fünf auffällig gleiche Riss-Quetsch-Wunden festgestellt – drei davon links, zwei rechts. Wegen der Größe kann auf einen kleinflächigen Gegenstand rückgeschlossen werden, möglicherweise ein Messerknauf oder ein Stein.“ Fiedler zitiert die Rechtsmedizinerin Prof. Mützel: „So etwas habe ich noch nie gesehen“.
Da keine Hinweise auf ein Kampfgeschehen festgestellt werden konnten, schließt Fiedler, dass man ausschließen könne, dass Hanna W. selbstverschuldet in das Wasser gefallen ist. „Es wäre zu erwarten gewesen, dass sie versucht hätte, sich aus dem Wasser zu ziehen, wenn sie bei Bewusstsein gewesen wäre“, so Fiedler. Rechtsmediziner Prof. Adamec hätte beim Absuchen von Prien und Bärbach keine Hinweise im Wasser feststellen können, die die Verletzungen schlüssig darstellen hätte können. Auch dem Hydrologen Malcherek seien keine aufgefallen.
Update, 9.56 Uhr - Staatsanwalt beginnt mit Plädoyer
Dann kann Staatsanwalt Wolfgang Fiedler mit seinem Plädoyer beginnen – sein Kollege Florian Jeserer ist heute wegen Krankheit nicht anwesend. Fiedler beginnt mit der ausführlichen Darstellung der letzten Stunden der Geschädigten Hanna W. (†23) aus Aschau im Chiemgau. „Um 23.15 Uhr ging sie mit ihrem Bekannten zur Diskothek ‚Eiskeller‘“, so Fiedler.
„Zwischen 2.19 Uhr und 2.26 Uhr am 3. Oktober 2022 verlässt Hanna die Disco und holt an der Garderobe ihre Jacke ab. Anschließend geht sie die Schlossbergstraße hinab und biegt um 2.28 Uhr und 6 Sekunden nach rechts in die Kampenwandstraße ab, was durch die Aufnahmen einer Videokamera belegt wurde.“ Dann haben wir um 2.31 Uhr und 14 Sekunden konkrete Signale vom Handy aus einer Funkzelle in Aschau“, so Fiedler.
„Als Hanna dann versuchte bei ihren Eltern am Festnetz anzurufen, wurde das Telefonat definitiv über die Notruffunktion ausgelöst.“ Der Staatsanwalt schildert, wie zuerst die Temperatur des Smartphones nachweislich abfiel und um 2.36 Uhr und 2.37 Uhr zwei erfolglose Anrufversuche durch den Bekannten Hannas an ihrem Handy eingingen. „Um genau 14.26 Uhr findet ein Spaziergänger den Leichnam im Ortsteil Kaltenbach von Prien. Um 16.02 Uhr wird er dann geborgen!“
Update, 9.48 Uhr - Amok-Warnung am Landgericht: Prozess-Tag beginnt mit starker Polizeipräsenz
Der 34. Verhandlungstag im Prozess gegen Sebastian T. (22) beginnt pünktlich und mit starker Polizeipräsenz. Die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler betritt den Gerichtssaal und begrüßt alle Anwesenden mit einem Hinweis: „Wir haben einen konkreten Amokhinweis an das Gericht erhalten“, beginnt sie. „Aus diesem Grund ist heute sehr viel Polizei im Haus und im Gerichtssaal.“ Das Publikum solle sich aber keine Sorgen machen, „wir haben alles im Griff“, so Aßbichler.
„In letzter Zeit haben wir immer mal wieder abstrakte Drohungen erhalten, die in Zusammenhang mit dem Landgericht in Traunstein stehen“, sagte eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd auf OVB-Anfrage. Die Drohungen stünden in Zusammenhang mit einer „amtsbekannten Person“. „Wir wissen, wer die Person ist, wo sie sich aufhält und haben sie überprüft“, sagt die Sprecherin. Nach der Überprüfung sei die Drohung als „nicht ernst eingestuft“ worden. Dennoch könne man sie nicht ignorieren und man habe deshalb das Personal am Landgericht erhöht.
Vorbericht: Plädoyers für und gegen Hannas mutmaßlichen Mörder erwartet
Endlich ist ein Ende in Sichtweite: Fünf Monate nach Beginn des Prozesses zum landesweit bekannten „Eiskeller-Mordfall“, wird am 19. März ein Urteil gegen Sebastian T. (22) erwartet. Ihm wird vorgeworfen, am 3. Oktober 2022 die Medizinstudentin Hanna W. (†23) auf ihrem Heimweg vom Club Eiskeller in Aschau ermordet zu haben. Hinterrücks habe er die junge Frau aus sexuellen Motiven angegriffen, sie stranguliert und mit einem Gegenstand bewusstlos geschlagen. Zur Verdeckung seiner Tat soll er sie dann kurzerhand in den Bärbach geworfen haben, wo sie innerhalb weniger Minuten ertrank.
Welches Strafmaß wird gefordert?
Staatsanwalt Wolfgang Fiedler wird ohne Zweifel in seinem Plädoyer intensiv auf die Anklageschrift eingehen: Stück für Stück werden die Gutachten der Sachvertändigen herbeigezogen, Zeugenaussagen rekapituliert und ein Beweis nach dem anderen durchgekaut. Zwar ist die Staatsanwaltschaft „Herrin der Ermittlungen“ – doch sie ist auch zu Objektivität verpflichtet: Das bedeutet, dass sie nicht nur belastende – sondern auch entlastende Umstände ermitteln muss. Interessant dürfte sein, wie hoch das von Fiedler geforderte Strafmaß ausfallen wird.
Nebenklägervertreter Walter Holderle, der die Familie der Verstorbenen vertritt, dürfte sich den Ausführungen der Staatsanwälte wohl anschließen – und möglicherweise auf die strenge Beurteilung des Gerichts pochen. Von Sebastian T.s Verteidigern dagegen sind keine Überraschungen zu erwarten. Sie dürften ganz klar auf Freispruch plädieren. Schließlich baute ihre Strategie von Anfang an auf die Unfallthese.