Rosenheimerin soll Neugeborenes ausgesetzt haben
„Es war ihr nicht egal, was mit den Kindern passiert“ – Mitarbeiterinnen vom Jugendamt sagen aus
Traunstein; Rosenheim – Eine 27-jährige Rosenheimerin muss sich wegen der Aussetzung ihres Babys vor dem Landgericht Traunstein verantworten. Weil das Neugeborene an einem wenig frequentierten Ort zurückgelassen wurde, und für die Außentemperatur zu leicht bekleidet war, geht es auch um eine mögliche Misshandlung.
Das Wichtigste in Kürze:
- Mutter (27) setzte Baby in einem Hinterhof aus
- Sie hat die Tat vollumfänglich gestanden
- Lebensgefährte und Mutter hatten schwieriges Verhältnis
- Kind lebt jetzt beim Vater und ist wohlauf
- Angeklagte und ihr Bruder wurden als Kinder entführt
Update, 14.08 Uhr – Mitarbeiterinnen vom Jugendamt sagen aus
Dann werden zwei Damen vom Jugendamt als Zeuginnen aufgerufen. Eine der Frauen suchte die Beschuldigte wegen der Adoption der beiden vorher geborenen Kinder auf. Weil der Kontakt anders nicht zustande gekommen sei, musste sie die Beschuldigte erst an ihrem Arbeitsplatz aufsuchen. Die Angeklagte habe zwar „klein und untersetzt“ ausgesehen, man habe aber nicht direkt auf eine Schwangerschaft rückschließen können.
Zwei Gespräche im Monat vor der Geburt
Mitte Februar und Anfang März sollen dann noch persönliche Gespräche stattgefunden haben. Laut der Jugendamtsmitarbeiterinnen sei es häufiger im Bereich „Adoption“ so, dass das Umfeld eine Schwangerschaft nicht wahrnehme. Die psychische Verfassung und die körperliche Selbstwahrnehmung würde auch das körperliche Bild als Schwangere beeinflussen. Die Mitarbeiterin habe die Angeklagte bei einem Gesprächstermin am 1. März dennoch gefragt, ob eine Schwangerschaft bestehe und sich in dem Fall als Ansprechpartnerin angeboten. Die 27-Jährige verneinte dies aber.
„Einerseits erleichtert – andererseits belastet“
Bei dem Gespräch habe die Beschuldigte nervös und unsicher gewirkt und habe Angst um ihre Arbeitsstelle geäußert. Es sei ihr nicht egal gewesen, was mit den Kindern passiere. Allerdings habe sie wohl das Gefühl gehabt, jemand anders könne sich besser um die Kinder kümmern als sie selbst. Beide seien aus kurzen Beziehungen entstanden. „Sie war einerseits erleichtert – andererseits belastet, weil sie alles zutiefst bereut hat“, sagt die Dame vom Jugendamt zusammenfassend über das Gespräch zur Adoption.
Wollte Sicherheit für Kinder, die sie selbst nicht geben konnte
Die zweite Dame bestätigt das ängstliche und angespannte Verhalten der Beschuldigten bei den Gesprächsterminen im Jugendamt. Die 27-Jährige habe angegeben, dass sie Sicherheit für die Kinder wolle, die sie aber selbst nicht geben könne. Durch das Weggeben der Kinder habe sie alles ungeschehen machen wollen. Über die Familienverhältnisse habe sie gesagt, dass sie versucht habe zu verdrängen, um besser klarzukommen. Für die Freigabe zur Adoption habe sie um eine Nacht Bedenkzeit gebeten.
Die Aussagen der Mitarbeiterin ergaben sonst keine weiteren neuen Inhalte. Die Verhandlung gegen die 27-Jährige wird am Montag, dem 9. Oktober, um 9.15 Uhr fortgesetzt.
*** Innsalzach24.de berichtet auch dann wieder live aus dem Gerichtssaal. ***
Update, 13.37 Uhr - Bruder sagt, Angeklagte könne nach der Haft bei ihm einziehen
Angeklagte liebte ihre Arbeit über alles
„Für mich hat sie einfach zu viel getrunken“ meint der Bruder der Angeklagten. Allerdings sei sie selten sichtlich betrunken gewesen. Auch in die Arbeit soll die Beschuldigte immer nüchtern gegangen sein. „Sie hat ihre Arbeit geliebt.“ In Bezug auf die Familienpläne seiner Schwester sagt der Zeuge: „Sie wollte sich erst alles aufbauen. Sie ging auch krank in die Arbeit – das war so verdammt wichtig für sie.“ Dennoch habe seine Schwester in einer „Blase gelebt“, so der Zeuge. „Sie war ein Geist.“
Grausame Familiengeschichte
Die Erzählung des Zeugen über die Gewalttätigkeiten in der Familie sind erschütternd. An diesem Punkt ergreift die Angeklagte sogar selbst das Wort und sagt, dass die „offizielle Version“ ihrer Entführung laute, dass ihr Vater mit einem Messer bewaffnet in die Wohnung der leiblichen Mutter eingebrochen sei und dann die Angeklagte und ihren Bruder als Kleinkinder entführte. Zusammenfassend schildert der Bruder, dass sie mit Problemen nie zu jemandem kommen habe können.
In Familie wurde wohl nicht über Probleme geredet
„Bei uns wurde über Probleme nie wirklich geredet. Eine Lösung haben wir selber finden müssen“, so der Zeuge. Seine Schwester habe sich nach der Rückführung zur leiblichen Mutter als Kind schwergetan, eine Beziehung zur zu ihrer Mutter aufzubauen. Erst viel später sei ein Verhältnis zu ihr entstanden, so der Zeuge. Der Bruder stellt außerdem in Aussicht, dass die Angeklagte nach der Haft bei ihm und seiner eigenen Familie leben könne. „Ich habe mich auch um alles gekümmert“, sagt der Zeuge. „Aber sie braucht psychologische Hilfe.“
Update, 12.50 Uhr - Bruder der Angeklagten sagt als Zeuge aus
Als nächster Zeuge sagt der Bruder der 27-jährigen Rosenheimerin aus. Nachdem er von der Richterin gebeten wurde über die Familienverhältnisse und -geschichte zu erzählen, sagt er: „Wir wurden als Kinder vom leiblichen Vater entführt.“ Nachdem die Polizei einige Zeit nach den Kindern gesucht habe, und diese vergessen hätten, dass sie eigentlich eine leibliche Mutter hatten, sei es am Ende zur Festnahme des Vaters gekommen. „Da war viel Polizei“, sagt der Bruder der Angeklagten.
„Hat sich komplett zurückgezogen“
„Da war der Knacks“, sagt der Zeuge, „wir sind gar nicht mehr klar gekommen.“ Nachdem die Kinder wieder zu ihrer leiblichen Mutter gekommen seien, hätten aber die gewalttätigen Übergriffe durch den leiblichen Vater nicht aufgehört – obwohl dieser häufig inhaftiert gewesen sein soll. Laut dem Bruder der Angeklagten war der Schaden aber bereits angerichtet. Mit dreizehn Jahren habe er selbst psychologische Hilfe gebraucht. Seine Schwester, die Angeklagte, habe sich in den vergangenen drei Jahren komplett zurückgezogen.
„Mit Problemen alleingelassen worden“
Als er beim Räumen der verwahrlosten Wohnung seiner Schwester half, sei das ein Schock für den Bruder gewesen. 35 Säcke Kleidung und 60 Säcke Müll habe der Zeuge gepackt. „Aber sie hat das nie gelernt, sie ist nicht mehr klargekommen. Sie ist auch mit ihren Problemen alleingelassen worden“, so der Zeuge. In der Wohnung habe er eine Mappe gefunden, in der seine Schwester alle Berichte und Dokumente über die Übergriffe des Vaters und Verletzungen der Mutter gesammelt hatte. „Sie hat sich das Alles reingezogen“, mutmaßt der Zeuge.
Update, 12.10 Uhr - „Sie hat mich von Anfang an belogen“
Anknüpfend an die Befragung durch die Richter, benötigt Staatsanwalt Wolfgang Fiedler noch Auskünfte vom ehemaligen Lebensgefährten der Angeklagten. Ihn interessiert der Gesundheitszustand des Kindes, der laut dem Vater sehr gut ist. Auch die Vorsorgeuntersuchungen zeigten bislang wohl keine Auffälligkeiten. „Obwohl die Mutter auch während der Schwangerschaft das ein oder andere Mal Alkohol getrunken hat“, so der Zeuge.
Angeklagte verhielt sich beim Weggehen wie zuvor
Die Beschuldige habe sich während ihrer Schwangerschaft so verhalten wie zuvor. An Wochenenden habe sie auch immer wieder Bier getrunken und auch Zigaretten geraucht. Zwei bis drei Mal sei sie wegen ihrer Trunkenheit recht anstrengend geworden, sagt ihr ehemaliger Lebensgefährte. Staatsanwalt Fiedler fragt nach, ob es in den Monaten vor der Geburt der Tochter noch zu Geschlechtsverkehr mit der Angeklagten gekommen sei. Dies verneinte der Zeuge. Er habe seine Freundin auch nicht auf das Thema angesprochen.
„Sie hat mich von Anfang an belogen“
Etwas früher hatte der ehemalige Lebensgefährte ausgesagt, von den vorherigen zwei Geburten seiner Freundin nichts gewusst zu haben. „Hätte ich davon gewusst, wäre das aber kein Grund gewesen, die Beziehung infrage zu stellen“, so der Zeuge. Inzwischen habe er aber alles hinterfragt, was er über die Angeklagte weiß. „Aus dem heutigen Blickwinkel betrachtet, hat sie mich von Anfang an belogen“, meint der Zeuge. So habe die Angeklagte ihm erzählt, einen Führerschein und ein Auto zu besitzen, doch das stimmte nicht.
Hatte Angeklagte Ängste verlassen zu werden?
Auf die Frage des Verteidigers Dr. Markus Frank, ob dem Lebensgefährten etwas von Ängsten der Angeklagten bekannt war, sagt der Zeuge, dass sie ihm in einem Brief geschrieben habe, dass sie Angst gehabt hätte, er würde die Beziehung zu ihr beenden, wenn er von ihrer Schwangerschaft erführe. Am Tag der Geburt soll es der Angeklagten körperlich nicht gut gegangen sein. Der Lebensgefährte sagte, er habe sie an dem Tag früher von der Arbeit abgeholt. Als er durch Nachrichten von dem ausgesetzten Baby erfuhr, habe er zu seinen Freunden gesagt: „Wie kann man sowas machen, was muss da schief gelaufen sein?“
Update, 11.22 Uhr - „Hätte mich wahnsinnig gefreut“
Dann wird der bisherige Lebensgefährte der Beschuldigten in den Zeugenstand gerufen. Es handelt sich um einen gepflegten jungen Mann, der etwas jünger ist, als die Angeklagte. Er befindet sich aktuell im Erziehungsurlaub: Im April hat er das ausgesetzte Mädchen zu sich genommen, wo er es nun zusammen mit seiner eigenen Mutter aufzieht. Seiner Aussage nach ist das Baby, „pumperlgesund“. Zukunftspläne mit der Angeklagten habe er aktuell nicht. Momentan habe man das gemeinsame Sorgerecht. Er nehme die Zukunft „wie sie kommt“, sagt er.
Lebensgefährte war lange nicht in der Wohnung der Angeklagten
Zu seinem Verhältnis zur Angeklagten sagt der Zeuge, dass er sie vor acht Jahren kennenlernte, aber erst vor zwei Jahren sei „es passiert.“ Die Beziehung selbst sei „relativ normal“ gewesen. Er beschreibt die Angeklagte und ihr Verhältnis zu ihren Familienangehörigen als völlig unauffällig und ohne größere Spannungen. Sie habe gern mit ihm über ihren Tag geredet, neben der Arbeit habe man aber wenig Zeit für Ausflüge oder ähnliches gehabt.
Meistens habe sich das Paar in der Wohnung des Zeugen aufgehalten, was die Vorsitzende Richterin Christina Braune veranlasst nachzufragen, wie das herging. Der ehemalige Lebensgefährte sagt, dass er mehrere Male angeboten habe zusammen zu ziehen, doch das Thema sei von dem Paar nicht weiter verfolgt worden. Als er wegen einer Aufräumaktion zuletzt doch in die Wohnung seiner Freundin kam, habe ihn der Schlag getroffen.
Lebensgefährte sagt, er hätte sich wahnsinnig über Baby gefreut
Der bisherige Lebensgefährte sagt auch, dass er seiner damaligen Freundin ihre Schwangerschaft nicht angemerkt habe. „Sie hat oft dicke Pullis angehabt, es war Winter“, lautet seine Erklärung. Auch nachts habe er nichts bemerkt: Die Beschuldigte habe immer weite Shirts getragen, sich im Bett weggedreht. Die Beschuldigte habe zu Beginn der Beziehung zu ihm gesagt, dass sie die Pille nehme, weswegen er auch nicht weiter nachfragte. Hätte man Kondome benützen müssen, wäre das für ihn „kein Thema“ gewesen.
Auf die Frage, ob man über Kinder und Familie gesprochen habe, sagt der Lebensgefährte: „Ich hätte mich wahnsinnig gefreut - und meine Mutter auch. Da reden wir inzwischen fast jeden Tag darüber.“ Zu seiner Mutter habe die Angeklagte ein sehr gutes Verhältnis gehabt.
Update, 10.45 Uhr - Ein Freund sagt als Zeuge aus
Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen eine 27-jährige Rosenheimerin, die ihr Neugeborenes im März ausgesetzt haben soll, beginnt mit etwas Verspätung. Als erster Zeuge wird ein Freund der Angeklagten in den Gerichtssaal gebeten. Der 30-Jährige kennt die Beschuldigte seit etwa acht Jahren und gibt an, sie einmal wöchentlich gesehen und sonst mit ihr per Chat kommuniziert zu haben. Auch die Familie und den Lebensgefährten der Angeklagten kennt der Zeuge. Er sagt, die Beschuldigte habe nicht mit ihrem festen Freund zusammengelebt.
Angeklagte hatte „Schnauze voll“
Von der Schwangerschaft der Angeklagten will der Zeuge nichts bemerkt haben, er meint sich aber zu erinnern, dass sie erwähnt habe, noch nicht bereit für Kinder zu sein. Weil die Beschuldigte wohl viel arbeitete und sich auch viel Gedanken um die Arbeit machte, schätzt der Zeuge sie als sehr pflichtbewusst ein. Er sagt auch, seine Bekannte habe offen über ihre Gefühle geredet. Manchmal habe sich die 27-Jährige auch bei ihm „ausgekotzt“, und über Probleme mit ihrem Lebensgefährten erzählt. Dieser sei wohl öfter später vom Weggehen heimgekommen, als ausgemacht. Sie habe auch schon einmal erwähnt, dass sie „Schnauze voll hat.“
Kurzurlaub mit der Angeklagten an Pfingsten
Zusammen mit der Angeklagten sei der 30-Jährige an Pfingsten 2022 für eine Woche an den Gardasee gefahren. Dass sie einen Lebensgefährten hatte, sei zwar angesprochen worden, aber dem Kurztrip nicht im Weg gestanden. In der Zeit um die Geburt des Kindes sei dem Freund der Angeklagten nichts Besonderes an ihr aufgefallen. Aus dem Chatprotokoll wird zitiert, dass die Beschuldigte in den Tagen nach der Geburt wohl früher von der Arbeit nach Hause ging. Krankschreiben war für die Angeklagte laut dem Zeugen „wie immer keine Option.“
Vorbericht
Am 6. Oktober wird der Prozess gegen eine 27-jährige Angeklagte fortgesetzt, die ihr Baby am 9. März im Hinterhof eines Hotels in Rosenheim ausgesetzt haben soll. Nachdem am ersten Verhandlungstag mehrere Zeugen ausgesagt hatten, die das Neugeborene aufgefunden hatten, werden am zweiten Prozesstag die Familie und der Lebensgefährte der Beschuldigten in den Zeugenstand gerufen.
Widersprüchliches zum Zustand des Babys
Die Zeugenaussagen des Verhandlungstages ergaben, dass sich das wenige Stunden alte Mädchen in einer schwarzen Stofftasche befunden hatte. Bei etwa acht Grad Außentemperatur war es nur in ein dünnes Taufkleidchen gekleidet und mit einem langen und breitem rosafarbenem Wollschal umwickelt gewesen. Eine Zeugin sagte aus, dass das Mädchen süß und zufrieden ausgesehen habe, während eine andere aussagte, dass das Neugeborene schrie und sich kühl anfühlte.
Tat vollumfänglich eingeräumt
Am Tag des Fundes sei es stürmisch gewesen, doch das kleine Mädchen war im Trockenen gelegen. Zwar hatte die Sanitäterin noch Reste von Geburtsschleim und Stuhlgang am Körper des Babys wahrgenommen, doch die Bettung des Babys und wie es angezogen war, ließ eine Zeugin mutmaßen: „Es war ein bisschen Liebe dabei.“ Die Angeklagte selbst, eine zierliche Frau, die vor ihrer Inhaftierung – vier Tage nach der Aussetzung – Filialleiterin war, wollte selbst keine Angaben zur Sache machen. Ihr Pflichtverteidiger Dr. Markus Frank übernahm das Wort für seine Mandantin und verlas ihre Einlassung, in der sie ihre Tat vollumfänglich einräumte.