Der zwölfte Tag im „Hanna-Prozess“
Erlebtes verdrängen? Aussagen von Sebastian T. machten Mithäftling stutzig
Der elfte Tag im „Eiskeller-Mordprozess“ brachte zwei Überraschungen: Eine weitere Verteidigerin für Sebastian T. und Fakten zu seiner Unterhaltung mit einer Schulfreundin. Plauderte der mutmaßliche Mörder von Hanna W. (23†) doch kein Täterwissen aus?
Das Wichtigste in Kürze:
Update 13.34 Uhr - Sebastian T.s Aussage machte ihn stutzig
Der ehemalige Mitgefangene von Sebastian T. berichtet aber auch von etwas, das ihn stutzig in Bezug auf den Angeklagten machte: „Er hat einmal gesagt: ‚Man kann Erlebtes auch verdrängen‘.“ Der 21-Jährige soll auch erzählt haben, dass die Kripo Gewaltvideos auf dem Handy gefunden hat. Der Häftling sagt, das habe ihn gewundert: „Das passt nicht ins Bild rein.“ Zu der Nacht, in der Hanna starb, soll Sebastian nur gesagt haben, dass er gejoggt ist. „Auch, dass er das öfter macht“, so der Zeuge. „Ich fand das ungewöhnlich, aber es gibt Leute, die sowas machen.“
Geständnis war „nur Spaß“
Der Mitgefangene meinte anfangs, dass Sebastian T. unschuldig sei, doch durch die Berichterstattung zum „Fall Hanna“ habe sich seine Einstellung geändert. Auch das mit den Gewaltvideos mache ihn stutzig – das passe alles nicht zusammen. „Nach meiner Vernehmung durch die Kripo habe ich ihn dann noch mal auf einen Artikel angesprochen“, so der Zeuge. Darin sei es um das Geständnis vor seiner Freundin und deren Mutter gegangen.
„Ich habe ihn gefragt: Warum hast du denn zu deiner Freundin gesagt, dass du’s gewesen bist?“ Sebastian T. soll darauf geantwortet haben: „Das war nur Spaß.“ Auch der Mitgefangene fand das nicht lustig und äußerte sich diesbezüglich. Er soll dem Angeklagten geraten haben: „Wenn du es wirklich gewesen bist, dann wäre es besser, es zuzugeben. Mit einem Geständnis kann man einen Neuanfang machen.“
„Das ist alles Blödsinn“
Noch ein weiterer Häftling wird in den Zeugenstand gerufen: Dieser Mitgefangene hatte aber weniger Kontakt zu Sebastian T. wie der vorherige Zeuge. Wenn es aber um die Unschuld des Angeklagten geht, sagt er ganz Ähnliches: „Er hat gesagt, er kann sich nicht erinnern, dass es so gewesen sein soll. Er versteht auch nicht, dass die Leute ihn so reinreiten wollen und ihn hinhängen. Er kannte das Mädchen nicht, und war auch nicht in dem Club.“ In Bezug auf den Zeitungsartikel soll sich Sebastian T. auch geäußert haben: „Das kann so nicht sein. Das ist alles Blödsinn.“
Dann wird die Verhandlung unterbrochen. Am nächsten Verhandlungstag am 21. November wird der Arbeitgeber von Sebastian T. zur Sache aussagen.
+++ chiemgau24.de berichtet auch dann wieder live aus dem Gerichtssaal +++
Update 12.10 Uhr – Sebastian T. soll Hanna W. nicht gekannt haben
„Wir haben uns fast jeden Tag beim Arbeiten getroffen“, so der Zeuge. Über die vorgeworfene Tat selbst habe man aber nicht viel gesprochen. Der Zeuge fragte Sebastian T. aber einmal nach der Größe von Hanna, die Sebastian auch nennen konnte. Weil der Angeklagte kleiner als sein vermeintliches Opfer war, habe sich der Zeuge gewundert, wie das funktioniert haben könnte und den Angeklagten gefragt, ob er auf Hanna rauf gesprungen ist. Der Angeklagte soll dann geantwortet haben: „Nein, nein – ich war’s nicht.“
Sebastian T. habe seinem Mithäftling auch erzählt, dass ihm die Akte vorliege und diese recht umfangreich sei. Gegenüber dem Zeugen soll Sebastian T. gesagt haben, dass er Hanna W. nicht kannte – auch nicht vom Sehen. In der JVA sei der Fall Hanna und der Angeklagte auch unter anderen Häftlingen Thema gewesen. „Doch die meisten glaubten nicht, dass er es war.“ Der 21-Jährige sei in der Haft gewachsen, aber tatsächlich etwas unreif und kindlich.
„Ein Naturbursche und einfacher Mensch“
Der Zeuge erzählt beispielsweise, dass der Angeklagte in Haft beschlossen haben soll, dass er dick werden möchte. „Dann hat er ganz viel Süßigkeiten gegessen, und ich hab gefragt, warum er das macht und absichtlich dick wird“, so der Zeuge. „Aber dann hat er gesagt: Nein. Das macht er jetzt. Das ist lustig.“ Der Zeuge bezeichnet den Angeklagten als Naturburschen – einen einfachen Menschen. Er habe mit seinem niedrigen IQ gekämpft und damit, „dümmer“ zu sein, als andere.
Daraufhin wird Richterin Jacqueline Aßbichler hellhörig. Es soll festgestellt werden, wie „reif“ der Angeklagte ist. Es geht darum, inwieweit das Jugendstrafrecht für ein Strafmaß herangezogen werden kann.
Update 11.25 Uhr - Weiterer Mitgefangener sagt über Sebastian T. aus
Traunstein; Aschau im Chiemgau - Zwei weitere Zeugen sagen aus: Beide sind Mitarbeiter in einem Restaurant in Frasdorf und erfuhren wohl sehr früh von dem Fund einer Leiche in der Prien. Einer der beiden ist der Nachbar des Lehrers, der Hannas Leichnam bei Kaltenbach entdeckte. Von ihm habe der Zeuge schon am Nachmittag des 3. Oktober 2022 zwischen 15 und 16 Uhr gehört, dass es sich um eine leicht bekleidete weibliche Person mit braunen Haaren und Tattoo handelte. Er habe seinen Mitarbeitern gegen 16/17 Uhr davon erzählt.
Nach einer kurzen Pause wird ein weiterer Häftling in den Zeugenstand gerufen, der den Angeklagten aus der JVA Traunstein kennt. Der Mann ist ausgebildeter Lebens- und Sozialberater. Anfangs habe er wenig mit Sebastian T. geredet, doch als Mitgefangene ihn hänselten und immer wieder Hannas Namen durch den Raum riefen, habe der Häftling Sebastian T. angesprochen und ihn gefragt, wie es ihm damit gehe. Der Angeklagte habe ihm dann erzählt, dass ihn das nicht störe, weil er es nicht war.
Sebastian T. habe darauf vertraut, dass die Wahrheit ans Licht komme. Der Mitgefangene habe mit dem 21-Jährigen auch über seine Familie und seine Hobbys gesprochen. In der Arbeit soll der junge Mann öfter Schwierigkeiten mit einem Vorarbeiter gehabt haben. Bei den Gesprächen habe der Zeuge Sebastian T. auch gefragt, ob er eine Freundin habe. Sebastian T. soll dann von seiner besten Freundin Verena erzählt haben. Von ihr habe er „sehr geschwärmt“.
Update 10.18 Uhr - Sebastian T. sorgte sich, dass Freundin in Schwierigkeiten kommen könne
Der zwölfte Verhandlungstag beginnt: Die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler gibt bekannt, dass die Zeugen, welche am Donnerstag (16. November) bezüglich der Handy-Daten aussagten, erneut geladen werden sollen. Der Mordprozess gegen Sebastian T. wird sich also ins Jahr 2024 hinüberziehen. Dann ruft die Richterin den ersten Zeugen in den Gerichtssaal. Es handelt sich um einen 25-jährigen Häftling aus der JVA Traunstein.
Der gelernte Heizungsbauer sagt, man habe in der JVA über Gespräche mit anderen recht schnell erfahren, weshalb Sebastian T. inhaftiert war, was unter anderem an der Aktenzeichen XY-Sendung vom 9. November 2022 gelegen habe. Der Mitgefangene tut sich sehr schwer mit der Erinnerung an die wenigen Gespräche mit dem Angeklagten. Er kann nur sagen, dass es einmal darum ging, dass Hanna über zwei Promille Blutalkohol hatte und wohl von hinten attackiert wurde. Diese Information soll Sebastian T. aus den Akten gehabt haben.
„Er sagte, dass er es nicht war“
Nach der Zeugenvernehmung erklärt Harald Baumgärtl, der Verteidiger von Sebastian T., dass Sebastian T. sehr früh Einsicht in Auszüge der Akten erhalten habe. „Ich glaube, es war Anfang Dezember“, sagt Baumgärtl. Das genaue Datum finde sich in den Akten wieder. Auch von einer Handverletzung des Angeklagten weiß der Gefangene: Sebastian T. hatte wohl in Haft mit seiner Faust in die Wand geschlagen.
Der Häftling weiß von Sebastian T. dass eine Freundin gegen ihn ausgesagt haben soll, auch dass er ihr die Tat gestanden habe und sie bedroht habe. Sebastian T. soll dem Häftling erzählt haben, dass er nicht möchte, dass die Freundin in Schwierigkeiten komme, in Bezug auf eine Falschaussage oder ähnliches. Es stimme aber nicht, dass er seine Freundin bedroht oder die Tat gestanden haben soll. Bezüglich eines Treffens mit seiner besten Freundin habe die sich auch im Tag geirrt – Sebastian T. hatte dem Häftling erzählt, sich erst einen Tag später mit ihr getroffen zu haben.
Zur Tatnacht habe der Angeklagte seinem Mitgefangenen nur erzählt, „dass er es nicht war“, aber Joggen war, „weil er nicht schlafen konnte“.
Der Vorbericht
Am elften Tag im Prozess gegen Hannas (23†) mutmaßlichen Mörder wurde offensichtlich, wie groß der Aufwand ist, einen Täter zu überführen: Akribisch analysierte die Kammer und die Prozessbeteiligten diverse Handy-Auswertungen.
Sowohl die Daten auf den Mobiltelefonen von Hanna, Sebastian T. und dessen bester Freundin, als auch die Webcam-Fotos vom Aschauer Schlossberg und Log-Daten der Funkzellen waren Gegenstand der Zeugenvernehmungen. Auch ein Arbeitskollege des Angeklagten und dessen Freundin wurde angehört. Um die Aufmerksamkeit der rauchenden Köpfe aller Anwesenden nicht zu mindern, mussten viele Pausen gemacht werden. Die Geduld der Prozessbeteiligten lohnte sich am Ende – vor allem für Sebastian T.
Das Datum des fraglichen Spaziergangs
Anhand der Smartphone-Auswertung seiner Schulfreundin konnte nämlich ein bedeutender Hinweis gefunden werden: In einer Sprachnachricht vom 5. Oktober an ihre Schwester spricht diese Freundin davon, dass Sebastian T. ihr „gestern von Gewaltverbrechen in Aschau erzählt“ habe. Demnach muss die Unterhaltung über die Tat nicht am 3. Oktober 2022 stattgefunden haben, wie die Zeugin vor Gericht aussagte, sondern einen Tag später. Das würde bedeuten, dass der Angeklagte seiner Schulfreundin kein Täterwissen offenbarte – sondern lediglich das, was bereits seit Stunden in Aschau die Runde machte.
Sebastian T. suchte nach gewaltsamen Inhalten
Auf der anderen Seite war die Auswertung von Sebastian T.s Handy-Daten vernichtend. So konnten im Browserverlauf über einen längeren Zeitraum Suchen nach gewaltsamen, pornografischen Inhalten belegt werden. Mitunter tippte der Angeklagte wohl „Vergewaltigung“ und „Entführung“ in die Suchleiste ein und klickte auf diverse Webseiten mit dazu passenden Videos. Die Auswertung von Hannas Smartphone ergab nur eine neue Information: Fünf Minuten nach dem erfolglosen Versuch, Hannas Eltern anzurufen, hat jemand noch zweimal versucht, die Medizinstudentin telefonisch zu erreichen.