Hanna-Prozess: 14. Prozesstag im Ticker
Hannas Hose von Strömung weggerissen? Rechtsmediziner über Todeszeitpunkt
Traunstein/Aschau im Chiemgau – Am 14. Verhandlungstag im Prozess gegen Sebastian T. (21) waren Gerichtsmediziner als Zeugen geladen. Sie lieferten weitere Erkenntnisse dazu, wie Hanna W. (†23) zu Tode kam. Bisher war nur bekannt, dass Strangulationsmale und Wunden am Kopf festgestellt wurden.
Das Wichtigste in Kürze:
Update, 16.11 Uhr - Experte spricht über Hannas fehlende Hose
Dann wird Dr. Holger Muggenthaler in den Zeugenstand gerufen. Er ist Experte für Bio- und Verletzungsmechanik vom Institut für Rechtsmedizin in München. In einer 30-minütigen Präsentation stellt er dar, wie der Todeszeitpunkt von Hanna W. berechnet werden kann. Kurz nach der Bergung des Leichnams seien am 3. Oktober 2022 um 16.40 Uhr diverse Temperaturen gemessen worden: Das Wasser der Prien hatte demnach 10,3 Grad Celsius, die Luft 14 Grad und die Temperaturmessung am Leichnam ergab 13 Grad Celsius.
Laut dem Experten muss der Todeszeitpunkt von Hanna W. sehr nah an dem Zeitpunkt der letzten lebenden Sichtung von Hanna W. am 3. Oktober um 2.28 Uhr liegen. Die Leichenstarre trete nach etwa acht Stunden ein, Totenflecke ein bis zwei Stunden post mortem. Das Abkühlen des Körpers sei im Wasser relativ schnell erfolgt. Muggenthaler äußert sich noch zu der fehlenden Hose.
„Ich kann mir ein Hängenbleiben und Abziehen der Hose durch die Fließkraft des Wassers vorstellen. Bei einer Fließgeschwindigkeit von zehn Kilometer pro Stunde, erreiche man bei einem Hängenbleiben mit der Hose eine mittlere Zugkraft von 100 Kilogramm, was ein „Ausziehen“ der Hose durchaus ermögliche.
Der nächste Verhandlungstag im Prozess gegen Sebastian T. ist am Mittwoch, dem 29. November. Dann geht es um technische Inhalte wie Wasserpegel von Bärbach und Prien sowie die Auswertung der Sendung von Aktenzeichen XY.
+++ chiemgau24.de berichtet auch dann wieder live aus dem Gerichtssaal +++
Update. 15.05 Uhr - Kälte beschleunigte wohl Hannas Ertrinken
Prof. Dr. Mützel fügt ausdrücklich hinzu, dass sie keine Hinweise auf ein Kampfgeschehen am Leichnam feststellen konnte. „Ich kann die Verletzungen nicht ausschließlich als solche interpretieren“, so die Rechtsmedizinerin, und: „In der Vielzahl sind diese Hautdefekte nicht zwanglos als Treibverletzungen zu interpretieren.“ Wichtig scheint die Information, dass blaue Flecken auch post mortem, das heißt nach dem Tod, entstehen können.
Bezüglich der fehlenden Hose von Hanna konnten die Rechtsmediziner keine Stellungnahme abgeben. Ob diese also bei der hohen Fließgeschwindigkeit abgespült wurde, kann nicht sicher gesagt werden. Auch in Bezug auf ein möglicherweise erfolgtes Festhalten von Hanna W. in den letzten Minuten vor ihrem Ertrinken, wurde keine Aussage gemacht.
Die Rechtsmedizinerin geht zudem noch näher auf die Dauer bis zum Ertrinken ein. Durch die Alkoholisierung und die Kälte des Bärbachs habe Hanna W. keine Chance mehr gehabt, aus dem Wasser zu kommen. Zwar seien vier bis fünf Minuten bis zum Ertrinken genannt worden, doch durch die Kälte könnte der Zeitraum deutlich kürzer gewesen sein. Hanna W. muss laut der Rechtsmedizinerin auch nicht zwingend bewusstlos gewesen sein, als sie ins Wasser kam.
Update, 14.10 Uhr - Keine Hinweise auf Kampfgeschehen
Eigenartig seien vor allem die Verletzungen im Rücken- und Schulterbereich des Leichnams. Hier muss laut den Medizinern vom Institut für Rechtsmedizin in München eine Gewalteinwirkung von oben nach unten stattgefunden haben. Die Rechtsmediziner schlossen eine Treibverletzung in diesem Fall aus. Der symmetrische Bruch beider Schulterdächer sei extrem selten und es sei sehr unwahrscheinlich, dass diese Verletzung von dem gleichzeitigen, beidseitigen Aufprall auf ein Hindernis im Wasser herrühre. Der Kopf sei hier mehr oder weniger „im Weg“.
Bei der Untersuchung der Gewässer habe man hierbei besonders Acht gelegt und Ausschau nach Rohren oder Gittern gehalten, die zu einer solchen Verletzung hätten führen können. Vorstellbar sei aber, dass die Verletzung durch das „Draufknien“ auf den Körper des Opfers in Bauchlage entstand. Eine massive Einblutung an der Oberarminnenseite weise außerdem auf eine mögliche Fixierung hin.
„Durch das Aufspringen, kriegen wir die Kraft nicht her“, so Prof. Dr. Mützel. Zur Demonstration muss ein Schöffe herhalten – er ist über 1,80 Meter groß. Etwa 15 Personen stehen in einer Traube vor Richterin Jacqueline Aßbichler, während Prof. Dr. Adamec zeigt, von wo nach wo die Gewalteinwirkung auf den Körper stattgefunden haben muss. Sebastian T. betrachtet die Vorführung ohne Regung.
Update, 12.50 Uhr - Rechtsmediziner interpretieren das Verletzungsbild
Nun wird Prof. Dr. Adamec als Experte für Biomechanik um sein Gutachten zur Fließgeschwindigkeit von Bärbach und Prien gebeten. Auch zu Verletzungen der Leiche durch das Abtreiben in den Gewässern soll er seine Expertise abgeben. Man habe die rund 11 Kilometer Bach- und Flussbett untersucht und auch nach Hindernissen Ausschau gehalten, so Adamec.
Grundsätzlich könnte der Körper an Steinen entlang geschrammt, unter Wasser gespült oder an einem Baumstamm fest gehangen haben. Es sei aber unmöglich die genaue Bewegungsbahn des Körpers zu berechnen. Bei der Fließgeschwindigkeit könne man von rund 10 Kilometer pro Stunde ausgehen, der Leichnam hätte rechnerisch eine Stunde und fünf Minuten gebraucht, um von Aschau nach Kaltenbach getrieben zu werden.
Mehrere Schläge mit einem Stein auf den Kopf?
Zu den Treibverletzungen an der Leiche sagt Prof. Dr. Mützel, dass viele der Verletzungen am Kopf, an der Hand und am Unterarm, sowie die am Unterschenkel auf das Abtreiben zurückzuführen seien. Doch gerade, weil mehrere Verletzungen am Kopf von weitgehend gleicher Gestalt festgestellt wurden, gehe man hier von einer Gewalteinwirkung von außen aus. Der Schädelknochen sei dabei nicht verletzt worden.
Auf ein konkretes Tatwerkzeug konnte man sich aber nicht festlegen. Versuche mit einem Handy waren nicht zufriedenstellend. Sollte ein Stein verwendet worden sein, dann müsse es immer der gleiche für mehrere Schläge gewesen sein. Auffällig waren auch die massiven Einblutungen am Hals, sowie der Bruch eines Halswirbels. Diese Verletzungen seien nicht typisch für das Hängenbleiben des Körpers.
Update, 12.15 Uhr - Die Obduktionsergebnisse im Hanna-Prozess
Die Sachverständige, Prof. Dr. Mützel vom Institut für Rechtsmedizin in München, äußert sich auch zu den von einer Zeugin erwähnten Verletzungen an Sebastian T.s Unterarm. Die Hausmeisterin habe die „Kratzer“ am 5. Oktober 2022 bei einer Ausräumaktion im Aschauer Pfarrsaal gesehen. Laut der Zeugin habe es sich um rötliche, kürzere und dünnere Verletzungen gehandelt. Prof. Dr. Mützel sieht bei der Beschreibung dieser Kratzer aber Unschlüssigkeit und kann die Entstehung dieser Kratzer nicht auf den 3. Oktober 2022 datieren.
Dann ist das Gutachten zur rechtsmedizinischen Untersuchung von Hanna W.s Leichnam an der Reihe. Die Zeugin verteilt Mappen voller Fotos von der Obduktion, welche am 3. Oktober 2022 ab 23.40 Uhr stattfand, an die Prozessbeteiligten. Hanna wog zum Zeitpunkt ihres Todes 70 Kilogramm bei einer Größe von 1,86 Metern.
Diverse Kopfverletzungen
Die Auflistung der vielen Hämatome, Unterblutungen, Brüche und Schürfwunden dauert fast 30 Minuten. Zusammengefasst wurden am Kopf Hannas drei Quetsch-Riss-Wunden in der linken Kopfhälfte inklusive einer am linken Stirnhaaransatz festgestellt. Diverse Rötungen, Einblutungen und Schwellungen im Gesicht, an der Nase, der Stirn und an den Schläfen werden beschrieben.
Prof. Dr. Mützel setzt die Auflistung fort und beschreibt diverse Einblutungen an den Augen, den Schleimhäuten der Lippen und an der Ohrmuschelrückseite. Auffällig sind genannte Querstreifen an der linken Halsregion, sowie Schürfwunden entlang des Unterkiefers. Die Verletzungen am Hals zogen sich bis hinunter zum Schlüsselbein und in den Schulterbereich der Toten.
Beide Schulterdächer gebrochen
Auch an den Armen wurden starke Einblutungen, teils bis zum Knochen festgestellt – allerdings laut Prof. Dr. Mützel keine typischen Griffverletzungen. Auch an den Innenseiten der Oberschenkel bis zum inneren Knie wurden Einblutungen festgestellt. Am Rücken der Toten wurde eine massive flächige Einblutung vom Nacken bis hinunter in den linken oberen Rücken festgestellt.
Im unteren Lendenwirbelbereich habe man eine Abschürfungsverletzung gefunden. Es gab jedoch keinerlei Hinweis auf sexuellen Verkehr oder Missbrauch. Die Rechtsmedizinerin gibt an, dass beide Schulterdächer symmetrisch gebrochen waren, auch Frakturen an Halswirbelkörpern wurden festgestellt.
Update, 11.10 Uhr - Verletzungen an Armen und Unterkiefer
Dann wird Dr. med. Gabriele Roider vom Institut für Rechtsmedizin in München in den Zeugenstand gerufen. Bei der sehr umfangreichen toxikologischen Untersuchung seien keine Hinweise auf Partydrogen oder Marihuana gefunden worden. Bei der am Leichnam festgestellten Blutalkoholkonzentration in Höhe von 2,06 Promille könne man davon ausgehen, dass es zu alkoholbedingten Beeinträchtigungen gekommen sei. Allerdings seien diese von der individuellen Alkoholtoleranz abhängig.
Es folgt die Vernehmung von Prof. Dr. Elisabeth Mützel, die ebenfalls vom Institut der Rechtsmedizin in München kommt. Die Zeugin fasst zuerst die Befunde eines Gutachtens zu Verletzungen des Angeklagten zusammen. Sebastian T. ist 1,67 Meter groß und wog zum Zeitpunkt der Untersuchung am 9. Dezember 2022 62 Kilogramm.
Es wurde bei ihm ein Hautdefekt am Übergang Hals/Unterkiefer festgestellt. Auch am linken Schultergürtel und im Rückenbereich waren Verletzungen feststellbar. Besonders schwer dürften die Verletzungen am rechten und linken Unterarm wiegen. Der Angeklagte hatte aber auch die Hautdefekte an einem inneren Kniegelenk und an einem seiner Schienbeine.
Blutspuren auf Sportshirt und -hose
Dann sagt Prof. Dr. Jiri Adamec von der Rechtsmedizin München aus. Er ist Experte für Biomechanik und untersuchte diverse Asservate auf das Vorhandensein von Blutspuren, darunter vor allem Kleidungsstücke des Angeklagten. Diese wurden anhand des Luminol-Sprüh-Verfahrens untersucht und zeigten latente Blutspuren an einem Sportshirt und einer Sporthose. Auch ein Vortest auf Blut verlief positiv.
Die Spuren waren laut Adamec aber dezent und sollten demnach nicht durch Spritzer, sondern eine Kontaktübertragung entstanden sein. Der Fachmann betont aber, dass nicht feststellbar sei, ob es sich um menschliches oder tierisches Blut handele. Neben der Sportkleidung untersuchte man auch die schwarze Softshelljacke des Angeklagten – diese aber anhand einer Infrarot-Methode. Auf ihr habe man Spuren gefunden, ein Blut-Vortest sei aber negativ verlaufen.
Update, 10.20 Uhr - Deutliche Griffspuren festgestellt
Die Verhandlung beginnt mit leichter Verspätung, denn es wird noch auf die erste Zeugin gewartet. Im Gerichtssaal haben sich zahlreiche Zuhörer eingefunden. Dass heute die rechtsmedizinischen Gutachten erwartet werden, scheint die Besucherzahl nicht zu mindern. Dann trifft Frau Dr. Weimann ein. Die Medizinerin war am 3. Oktober 2022 zur Leichenschau am Fundort der Leiche in Prien, Ortsteil Kaltenbach.
Laut der Zeugin sei gleich auffällig gewesen, dass die Leiche der jungen Frau in vollständig angezogenen Turnschuhen aufgefunden wurde, ihre Hose aber fehlte. Man habe sich gefragt: „Wie kommt eine Hose über die Turnschuhe drüber?“ Ansonsten war die Leiche mit einem zweiteiligen schwarzen Top bekleidet. Die Leichenstarre sei zum Zeitpunkt des Fundes schon voll ausgeprägt gewesen.
Erster Verdacht auf Tod durch Ertrinken
An der Stirn des Leichnams habe sich eine Platzwunde befunden, an den Armen wurden blaue Flecke festgestellt, die von Fr. Dr. Weimann als Griffspuren bezeichnet werden. Wegen dieser Hämatome sei schnell klar gewesen, dass es sich wohl nicht um einen Unfall handelte. Der Angeklagte lauscht den Aussagen der Zeugin konzentriert. Als die Griffspuren erwähnt werden, rötet sich sein Gesicht – ein Zufall? Bei der ersten Leichenschau sei auch bereits der Eiskeller-Stempel entdeckt worden. Als Todesursache hatte Fr. Dr. Weimann einen Verdacht auf Tod durch Ertrinken notiert.
Bezüglich der blauen Flecken hakten die Verteidiger von Sebastian T. noch genauer nach: Wie unterscheiden sich blaue Flecken, die vor und nach dem Tod entstehen? Weil die neue Verteidigerin, Regina Rick, die Medizinerin in die Mangel nimmt und ihr „falsche Vorhaltungen“ macht, kommt es zu einem Verweis durch die Vorsitzende Richterin. Rick hatte die Aussage der Zeugin in eigenen Worten wiedergegeben, was zu veränderten Inhalten führte.
Vorbericht
Ein weiterer Prozesstag beginnt, und erneut bleiben Hanna W.s (†23) Eltern der Verhandlung fern. Weil am 23. und 24. November Zeugen aus der Gerichtsmedizin geladen sind, warnte die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler die Nebenkläger bereits am 21. November vor: Es können wieder schwer verdauliche Inhalte erwartet werden.
Anfang November war bereits die Bergung des angeschwemmten Leichnams besprochen worden. Damals waren im Gerichtssaal Fotos der Toten gezeigt worden, auf denen die Medizinstudentin nicht wiederzuerkennen war. Der leblose und leicht bekleidete Körper der jungen Frau war am 3. Oktober 2022 von einem Lehrer um 14.26 Uhr auf Höhe Kaltenbach in der Prien gefunden worden. Die Bergung war etwas schwierig und konnte erst eineinhalb Stunden – um 16.06 Uhr – abgeschlossen werden.
Gutachten der Rechtsmedizin im Fokus
An dem damals noch unidentifizierte Leichnam wurde innerhalb kurzer Zeit eine Leichenschau durchgeführt. Gegen etwa 18 Uhr tauchte so der erste Hinweis auf die Identität der jungen Frau auf: Der Stempel der Aschauer Diskothek „Eiskeller“ am Arm der Toten. Noch während der Leichnam in München weiter untersucht wurde, liefen die polizeilichen Ermittlungen an.
Nachdem die Wasserschutzpolizei um 18.14 Uhr alarmiert worden war, kam bereits um 18.40 Uhr ein Fahrzeug der Polizei am Festhallenparkplatz an, um stehengebliebene Autos zu kontrollieren. Was die Rechtsmedizin währenddessen bei der Untersuchung des Leichnams feststellte, dürfte am 14. und 15. Verhandlungstag ausführlich besprochen werden.