Biobäuerin aus dem Chiemgau
„Man muss de Leit meng“: Wie Gisela Seng die Landbevölkerung für die Grünen gewinnen will
Biobäuerin Gisela Sengl aus Sondermoning im Chiemgau will als Co-Landesvorsitzende der Grünen die Menschen auf dem Land gewinnen. Landwirtschaft ist für sie die Grundlage des Lebens. Doch sie übt auch Kritik an den Bauern-Protesten.
Nußdorf im Chiemgau – Der Hahn kräht, die Sonne erwärmt die Erde im Bauerngarten vor dem Hofladen im verträumten Sondermoning. Erste Frühlingsahnung in dem 800-Einwohner-Weiler bei Nußdorf im Landkreis Traunstein. Im Hofladen rückt Bio-Bäuerin Gisela Sengl die Kiste mit den gelben Rüben zurecht. „Bio-Rüben aus dem eigenen Anbau“, sagt sie. Die sind nicht glatt und eben, die haben Knubbel, wachsen grad so, wie sie wollen. Sperrig und Natur pur – das passt zur 63-jährigen Sengl, die seit dem 27. Januar überraschend mit Eva Lettenbauer die bayerischen Grünen anführt.
Die Sengl Gisela ist eine, die mitmischen will, die so red, wie de Leit hier. Gebürtige Münchnerin, ausgebildete Landschaftsgärtnerin und Wirtschaftsfachwirtin. Dass sie bei der Landtagswahl 2023 trotz Listenplatz 3 nach zehn Jahren aus dem Parlament geflogen ist, war ein echter Schock für die Oberbayerin.
Aufgeheizte Stimmung macht ihr zu schaffen
Heute ist sie schlauer: „Wenn hinter meinem Namen Biobäuerin und nicht nur Landtagsabgeordnete gestanden wäre, hätte ich bestimmt mehr Zweitstimmen bekommen. Die hätt ich gebraucht“, sagt sie mit rollendem „r“. Und die hätte sie von den Städtern bekommen, denn Münchner Grüne lieben Bio-Landwirtschaft und Menschen mit handfesten Berufen, glaubt sie.
Einen handfesten Beruf kann Sengl vorweisen. In Sondermoning betreibt sie mit ihrem Mann Hans Dandl (62) einen Biohof mit Getreide- und Kartoffelanbau auf gut 20 Hektar Land. Stolz ist sie vor allem auf den Hofladen mit Naturkost-Vollsortiment im ehemaligen Kuhstall – es gibt Gemüse, Obst, Käse, Brot, Getreide und Milchprodukte. Den Gemüsebetrieb haben sie vor zwei Jahren an zwei ehemalige Mitarbeiter verpachtet. Sohn Jim (41) aus erster Ehe und die beiden gemeinsamen Töchter Jolanda (27) und Viola (23) wollen nicht in die Landwirtschaft einsteigen.
Nach der Wahlschlappe hatte Sengl einiges zu verarbeiten. Sie fühlte sich abgestraft. Die schlechte Stimmung über die Ampel-Regierung und der Streit der Bauern mit dem grünen Parteifreund und Agrarminister Cem Özdemir hat sie Stimmen gekostet, glaubt sie. „I mog di Bauern und die Bäuerinnen. I find, i hob a guats Verhältnis“, sagt sie fast ein wenig ratlos.
Die aufgeheizte Stimmung auf dem Land macht ihr zu schaffen. Negativer Höhepunkt für sie war der 1. August 2023, an dem sie mit der Fraktionsvorsitzenden Katharina Schulze im Festzelt in Chieming-Hart gnadenlos niedergepfiffen wurde von einem organisierten Protestschwarm der Gruppe „Land schafft Verbindung“. Özdemir hatten die Grünen zum Wahlkampfauftritt eingeladen. Proppenvoll war das Festzelt – aber wütende Bauern haben mit Trillerpfeifen die Veranstaltung fast gesprengt: „Diejenigen, die getrillert haben, hatten Stöpsel in den Ohren – das sagt ja schon alles“, empört sich Sengl noch ein halbes Jahr später. Drei Stunden wurde fast ununterbrochen getrillert, nur Özdemir haben sie teilweise zugehört.
Zwei Wochen hat sie gebraucht, um das alles zu verdauen – diese Aggression, diese Derbheit. Die Störer hätten ja eine Viertelstunde ihren Zorn zeigen können – aber dann müsse man doch miteinander reden. „Wir leben in einer Demokratie, und die Regierung ist gewählt: Die können alle das nächste Mal wen anders wählen“, sagt sie.
„Es wird nicht so bleiben können“
Den Zorn vieler Bauern erklärt sich die 63-Jährige damit, dass die Ampel versuche, „gesetzgeberisch zu regeln. Die Vorgänger haben auf Freiwilligkeit und Selbstverpflichtung gesetzt. Deswegen hat sich nichts verändert, und wir haben jetzt so einen Reformstau.“ Jetzt gebe es Konsequenzen, und die täten auch weh. Vielen werde jetzt klar: „So konns nimmer weitergehn.“ Mit „so“ meint Sengl zu hohen Pestizid-Gebrauch, die schwindende Artenvielfalt, zu viel Dünger, zu viele Tiere auf zu wenig Raum. „Ich glaube, die Landwirte, die jetzt protestieren, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Und es wird nicht so bleiben können.“ Statt zu belehren will sie aber motivieren.
Nach ihrer Wahlpleite wurde der 63-Jährigen bewusst, dass sie weiter Politik machen will: „I diskutier gern und hab viele Ideen.“ Zufall war’s, dass die Wahl der Landesvorsitzenden anstand – die Gelegenheit für die Oberbayerin. Erst unterlag sie mit 48 Prozent der alten und neuen Landesvorsitzenden Eva Lettenbauer. Nur zehn Stimmen weniger – „das trau i mi jetzt“, dachte sie und probierte es noch mal gegen den zweiten Vorsitzenden im Tandem, Thomas von Sarnowsky – und gewann. Schwieriges ins Positive wenden – mit schallendem Lachen erinnert sie sich an den überraschenden Sieg. Nun stehen eben zwei Frauen an der Spitze der Grünen.
Als Landesvorsitzende will sie alle 91 Kreisverbände besuchen, Netzwerke knüpfen mit örtlichen Vereinen und Verbänden. Mit den Menschen reden. „Man muss die Leit meng, des muss man ausstrahlen“, sagt sie. Landwirtschaft ist für sie die Grundlage des Lebens – aber das Land sei noch viel mehr. Sie will streiten gegen Flächenverbrauch, für einen besseren öffentlichen Nahverkehr und dafür, dass Dörfer nicht zu Schlafstätten verkommen – das Land stärken. Power genug hat die resolute Bäuerin.
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