Lokale Berühmtheit verstorben
Alois Blüml war weit über die Grenzen des Chiemgaus bekannt – Seine Drehorgeln spielen weiter
„Ein bunter Hund“ und eine lokale Berühmtheit: Der Koch und Drehorgelbauer Alois Blüml war weit über Grassau hinaus bekannt. Er verstarb im Alter von 85 Jahren. Seine Frau Ingrid erzählt über ein außergewöhnliches Leben.
Grassau – Gestern war ein langer Tag. Das Telefon konnte nicht schweigen. Heute Vormittag liegt es still. Auf der Wiese vor dem Zacherlhof steht das Gras hüfthoch gesprossen und Wildblumen schillern im Grün. Die Eingangstür einladend offen und vor der Schwelle im Kies, ein eingelassener Stolperstein, der liest: „Das Ziel ist im Weg.“
Ingrid Blüml begrüßt im Flur des Hauses, in dem sie und ihr Mann Alois knapp 40 Jahre lang gemeinsam lebten. Ein buntes Haus voller Kunst, Werkzeug und Instrumenten. Den Spruch auf dem Stein könne man auf verschiedene Weise interpretieren, sagt sie. Einer einfachen Beschreibung entzog sich auch ihr Mann. „Er war ein fröhlicher Mensch und er war ein bunter Hund, kann man sagen“, erzählt seine Frau in der Stube angekommen, in der ihr Mann am ersten Mai verstarb.
„Hätte nie schwarz getragen“
Bunt sei er überall gewesen, führt Ingrid Blüml aus, aber verliert sich einen Moment, bevor sie fortfährt: „Auch äußerlich, er hätte niemals, niemals in seinem Leben schwarz getragen.“ Im Dorf habe jeder „den Blüml“ gekannt: „Der kam, gelb, orange, grün.“ Auch im Alter sei der jeden Tag mit dem Radl unterwegs gewesen, erinnert sich seine Frau: „Und plötzlich war das nicht mehr so und alle haben gesagt: ‚Wir haben den Blüml schon so lange nicht mehr gesehen, mit seiner gelben Mütze. Wo ist der?‘“
Alois Blüml war weit über Grassaus Grenzen bekannt. „Ich habe allein 17 verschiedene Filme über ihn“, sagt Ingrid Blüml – der Gernstl kam gleich zweimal vorbei. Als gelernter Koch und Konditor bereiste er acht Jahre lang die Welt. Nach seinen Lehrjahren ging er ein Jahr in die Schweiz und wollte dann „ganz woanders hin“. Er reiste nach Bermuda und später nach Hawaii und arbeitete dort als Chefkoch. „Er ist einfach rüber, ohne dass er Englisch sprechen konnte“, lacht seine Frau.
1968, mit 30 Jahren, entdeckte er seine zukünftige Frau auf einem Konzert in Trostberg „und hat mich nicht mehr aus den Augen gelassen“, sagt Ingrid Blüml. „Das ist ein bisschen eine verrückte Geschichte“, sagt sie schmunzelnd, „mir war etwas unheimlich.“ Nach dem Konzert sei er der damals 24-Jährigen hinterhergelaufen. „Und irgendwann waren wir beide aus der Puste und dann mussten wir eben stehen bleiben. Und dann hat er sich vorgestellt.“ Eineinhalb Jahre später waren sie verheiratet.
Ingrid Blüml erzählt über ihren Mann und deren gemeinsame Geschichte, während sie am Tisch in der Stube des Bauernhauses sitzt. Ihre Stimme, ihre Worte und ihr Auftreten sind nicht das einer 80-jährigen Frau. Ein kreatives und abwechslungsreiches Leben lässt sie jünger wirken. Doch die letzten Jahre waren erschöpfend. Im Alter brauche man länger, um sich wieder zu erholen, sagt sie.
Das Ehepaar betrieb in den 70ern und Anfang der 80er das Café Blüml in Inzell und später ein Abendlokal in Traunstein und es „lief hervorragend, von Anfang an wahnsinnig gut. Das kann man überhaupt nicht mehr mit heutigen gastronomischen Kämpfen vergleichen.“ Das Ehepaar hatte inzwischen zwei Kinder bekommen und wollte mehr Zeit für die Familie schaffen. Zeitgleich entfachte eine weitere Leidenschaft in dem Koch und Konditor Blüml.
Lebensverändernder Urlaub
Ein Urlaub in Paris legte den Grundstein für eine später lebensverändernde Entscheidung. „Er hat auf einem Flohmarkt, auf dem riesigen Flohmarkt von Paris, eine defekte, alte Drehorgel entdeckt“, sagt seine Frau. Eine Amorette. Er habe gespürt, dass dies etwas Besonderes für ihn sei und sie gekauft. „Der Verkäufer hat noch ziemlich viel verlangt und wir hatten dann keine Kohle mehr und sind mit dem letzten Geld und dieser Schrottkiste heimgeflogen“, erzählt Ingrid Blüml lachend.
Die Drehorgel habe ihm keine Ruhe gelassen „und neben der vielen Arbeit hat er es geschafft, dieses Gerät zum Leben zu erwecken“, sagt Ingrid Blüml. Eine Begegnung mit einem Obdachlosen, einem ehemaligen Donaukapitän, in Salzburg gab Alois Blüml den entscheidenden Ruck, das zu tun, worauf er Lust hatte.
Wollte nicht ein Leben lang das Gleiche machen
„Das war seine Story“, erzählt Ingrid Blüml: „Wir haben immer gelacht darüber, weil er hat die Story immer mehr ausgebaut.“ Der Kapitän habe ihm erzählt, dass es ihm noch nie so gut gegangen sei wie jetzt - ohne Stress und Verpflichtungen. Daraufhin gab Alois Blüml die Gastronomie auf. „Er war nicht einer, der sein Leben lang das Gleiche tut“, sagt Ingrid Blüml über ihren Mann.
Die Familie Blüml zog nach Grassau in den Zacherlhof, Alois Blüml richtete sich eine kleine Werkstatt ein und von da an sammelte, restaurierte und baute die verschiedensten Drehorgelmodelle nach. „Und das ist wirklich ein Innenleben, also ein Computer ist nichts dagegen“, sagt Ingrid Blüml. Und mit der Werkstatt im Haus gab es auch mehr Zeit für die Familie.
30 Jahre Erfolg als autodidaktischer Quereinsteiger
Nach nur wenigen Jahren war der ehemalige Koch als Drehorgelbauer bekannt. „Er hatte einfach einen Namen und hatte praktisch 30 Jahre Erfolg damit“, erzählt seine Frau, „und dann rannten uns wirklich die Filmleute die Bude ein.“ In seiner Arbeitsweise sei er wahnsinnig schnell gewesen. „Wenn der ein Gerät bekommen hat, das restauriert werden sollte, dann wurde das alles auf die Seite gestellt und dann kam das jetzt ran.“
In seinen letzten Jahren ließ seine Kraft nach, erzählt Ingrid Blüml. Drehorgeln wurden keine mehr repariert und die Werkstatt zum Spielplatz für den jüngsten Enkel. „Er war ein sehr zufriedener Mensch, er hat nie gejammert und alles, was er gemacht hat, war schon irgendwie besonders.“
Auch sein Abschiedsgeschenk sei besonders gewesen, sagt Ingrid Blüml mit einem traurigen Lächeln, ohne Anklage: Zu ihrem 80. Geburtstag kamen die Nachbarn am Vormittag mit Blumen, und die Wünsche wurden zu Tränen.






