Vor 50 Jahren: Lawine tötet zehn Mitglieder der DAV-Sektion Bad Aibling
Ein Retter von damals erzählt: „Das größte Unglück, das Gerlos je erlebt hat“
Zehn Mitglieder der DAV-Sektion Bad Aibling verloren am 4. Februar 1973 bei einem Lawinendrama auf dem Weg zur Kirchspitze im Gemeindebereich Gerlos ihr Leben. Hans Stöckl war damals als einer der ersten Retter vor Ort und erinnert sich an den Einsatz.
Bad Aibling/Gerlos - „Ich habe in meinem Leben noch oft von diesem schrecklichen Lawinenunglück geträumt. Das sag‘ ich Dir“, berichtet Hans Stöckl im Gespräch mit den OVB-Heimatzeitungen in unverfälschtem Tiroler Dialekt. Der staatlich geprüfte Skiführer und Skilehrer war damals 27 Jahre alt und zählte zu den ersten Bergrettern, die am 4. Februar 1973 nach der Lawinenkatastrophe im Lackengraben zur Unfallstelle geflogen wurden. Zusammen mit zwei weiteren Kameraden, weil nicht mehr Leute in dem Hubschrauber Platz hatten, der sich auf den Weg ins Einsatzgebiet machte.
Gegen 13 Uhr lief große Rettungsaktion an
50 Jahr später ist seine Erinnerung an das schreckliche Geschehen mit Blick auf Details zwar etwas verblasst, viele Bilder von der großangelegten Rettungsaktion, die gegen 13 Uhr angelaufen war, haben sich jedoch für immer in das Gedächtnis des Mannes eingebrannt. Er kann sie sofort abrufen, wenn man mit ihm über die Tragödie spricht. „Es ist das größte Unglück, das Gerlos je erlebt hat“, weiß der Tiroler. Er hat in dem kleinem Ort im Zillertal lange eine Skischule betrieben, die heute von seiner Tochter und dem Schwiegersohn weitergeführt wird.
An die 50 Einsatzkräfte
Wie viele Hubschrauber, Lawinenhunde und Retter bei der Suche nach den vermissten Tourengehern im Einsatz waren, weiß er heute nicht mehr genau. An die 50 Einsatzkräfte dürften es seiner Erinnerung nach aber auf jeden Falls gewesen sein. Neben Polizei und Bundesheer habe man auch Unterstützung von Bergrettungen aus den Nachbarorten erhalten. Und nach und nach seien vor allem auch viele Skilehrer aus Gerlos ins Einsatzgebiet geflogen worden. Sie alle wollten nur eines: den Opfern der Tragödie rasch helfen und möglichst viele Leben retten.
Sondieren und schaufeln.
Die Lawinenhunde hätten relativ rasch angeschlagen, weiß Stöckl. Die meisten der Verschütteten seien etwa ein bis zwei Meter unter den Schneemassen gelegen. Für insgesamt zehn Bergkameraden war die Lawine binnen Sekunden zur Todesfalle geworden, aus der es kein Entrinnen gab. „Sondieren und schaufeln.“ Das sei für die Bergretter das Gebot der Stunde gewesen, sagt Stöckl. Moderne technische Hilfsmittel, wie man sie heute kennt, standen ihnen damals nicht zur Verfügung. Weder Sonden, die auf Wärme reagieren, noch Handys, noch Piepser, die auf Verschüttete aufmerksam machen.
Wichtigstes Hilfsmittel der Einsatzkräfte waren die Lawinenhunde. Als Stöckl vor Ort eintraf, waren die ersten der speziell ausgebildeten Vierbeiner bereits im Einsatz. Die Illustrierte Bunte berichtete damals über „Barry“ aus Kühtai, der einzige Collie unter den Lawinenhunden. Kinder aus Gerlos riefen ihn in Anlehnung an einen berühmten Zeitgenossen aus der gleichnamigen Fernsehserie „Lassie“, als sie ihn aus dem Hubschrauber springen sahen. Die Helikopter brachten Tote ins Tal und flogen Helfer und Ermittler ins Einsatzgebiet. Sie starteten und landeten auf einer Wiese bei Gerlos. „Barry“ und sein Herrchen Franz Haselwanter hatten an diesem Tag Bereitschaftsdienst. Allein dieser Hund spürte vier Tote und einen Verletzten auf.
Ich sehe noch heute die Toten vor mir.
„Ich sehe heute noch die Toten vor mir. Sie lagen ohne Pullover und Anorak im Schnee, weil es ihnen beim Aufstieg zu warm geworden war und sie Kleidungsstücke ablegten“, berichtet Stöckl. Der Einsatz war für ihn und einige seiner Kameraden erst gegen 18 Uhr beendet. Weil die Dunkelheit längst eingebrochen war und die Hubschrauber nicht mehr fliegen konnten, fuhren die Bergretter mit den Skiern ins Tal ab.
Dort waren die Toten mittlerweile in den Kinosaal der Gemeinde gebracht worden. Sie wurden aufgebahrt und zunächst nur mit Wolldecken bedeckt. Grund: In der Kürze der Zeit war es unmöglich, zehn Särge auf einmal zu beschaffen. Der Ortsgeistliche sprach noch am Abend ein Gebet für die Lawinenopfer.
Identifizierung noch am Abend
Die unverletzt gebliebenen Überlebenden konnten Gerlos erst zu später Stunde verlassen. Wenn die Tragödie auch unendliches Leid über sie und viele Familien gebracht hatte, behördliche Formalitäten mussten dennoch erledigt werden, ehe sich der Omnibus mit ihnen auf den Rückweg nach Bad Aibling machen konnte. Noch am Abend mussten beispielsweise die Toten identifiziert werden. Auch die polizeilichen Vernehmungen begannen nur wenige Stunden, nachdem ein schöner Sonntag jäh in einer Katastrophe geendet war.
Für eine solche Tragödie kann man einfach keine Worte finden
Andreas Haas, der heutige Bürgermeister von Gerlos, war damals ein Bub im Alter von sieben Jahren. Dennoch kann er sich noch gut an das Drama erinnern. „Es hat sich schnell herumgesprochen, dass etwas Furchtbares passiert ist. Die ganze Gemeinde war wie gelähmt.“ 50 Jahre später versichert er, seine Gedanken seien am Unglückstag bei den Opfern von damals und den noch lebenden Hinterbliebenen. „Für eine solche Tragödie kann man einfach keine Worte finden“, sagt das Gemeindeoberhaupt. „Auch 50 Jahre später nicht.“


