Zum Welt-Frühgeborenen-Tag am 17. November
Ein Wunder namens Johannes: Bub kam mit 450 Gramm und drei Löchern im Herzen zur Welt
Jedes Jahr kommen in Rosenheim 145 Frühgeborene zur Welt. Auch die Drillinge Sebastian, Johannes und Vroni sind im Klinikum zur Welt gekommen – drei Monate vor dem Geburtstermin. Warum es an ein Wunder grenzt, dass der kleine Johannes überlebt hat.
Rosenheim/Bad Feilnbach – Johannes (3) ist ein Kämpfer. Das wissen auch seine Eltern. „Es grenzt schon an ein Wunder, dass er jetzt hier ist“, sagt Andrea Kriechbaumer. Sie sitzt am Küchentisch, ihr Mann Thomas ist gerade damit beschäftigt, die Kinder ins Bett zu bringen. Zwischen die Stimmen aus dem Fernseher mischt sich das Lachen der Kinder. Kurz hört Andrea Kriechbaumer zu, dann beginnt sie ihre Geschichte.
Schocknachricht in der 16. Schwangerschaftswoche
Sie erzählt von der Hochzeit kurz vor dem Beginn der Corona-Pandemie, erinnert sich noch genau an den Moment, als sie feststellte, dass sie schwanger ist. Mit Drillingen. „Lange Zeit wusste nur die engste Familie von der Schwangerschaft“, sagt Andrea Kriechbaumer. Zu groß sei die Sorge gewesen, dass etwas schiefläuft. „Es war eine richtige Horror-Schwangerschaft“, erinnert sich die junge Mutter. Zum einen, weil sie einen Großteil der Zeit im Bett verbringen musste, zum anderen wegen der Schocknachricht, die sie in der 16. Schwangerschaftswoche erhielt.
„Man hat uns gesagt, dass mit einem der Drillinge etwas nicht stimmt“, sagt Andrea Kriechbaumer. Es folgten zahlreiche Untersuchungen im Pränatalzentrum in München und Gespräche mit Ärzten. Die Rede war von einem möglichen Herzfehler, schweren Beeinträchtigungen und davon, dass der kleine Bub vielleicht gar nicht lebensfähig sein wird. „Uns wurde vorgeschlagen, das Leben des Kleinen im Mutterleib zu beenden. Zum Wohle der beiden anderen Ungeboren“, sagt Andrea Kriechbaumer.
Es war eine Option, die weder für sie noch für ihren Mann in Frage kam. „Wir wollten der Natur ihren freien Lauf lassen und haben auf unser Bauchgefühl gehört“, sagt Thomas Kriechbaumer, der mittlerweile ebenfalls in der Küche Platz genommen hat. Auf seinem Schoß sitzt Vroni und schaut sich interessiert um. Sie zeigt auf die Schokolade, die auf dem Tisch steht, blättert kurz durch das Fotoalbum, das ihre Eltern aus dem Regal geholt haben.
Geburt mitten in der Corona-Pandemie
Auf zahlreichen Bildern haben sie die Zeit vor drei Jahren festgehalten. Die guten Momente, aber auch die schlechten. Ein Foto zeigt den Tag der Geburt. Am 2. Juli 2020 – mitten in der Corona-Pandemie – kamen die Drillinge per Kaiserschnitt im Rosenheimer Klinikum zur Welt. Drei Monate zu früh. „Ich hab so gut wie nichts wahrgenommen und wollte nur wissen, ob alle leben“, sagt Andrea Kriechbaumer.
Während es Sebastian und Vroni den Umständen entsprechend gut ging, begann für den kleinen Johannes der Kampf ums Überleben. „Die Seelsorger waren mehrmals da, weil davon ausgegangen wurde, dass er es nicht schafft“, sagt Andrea Kriechbaumer. Bei der Geburt wog er gerade einmal 450 Gramm – etwas weniger als zwei Stück Butter. Er hatte ein Loch im Darm, drei Löcher im Herzen und zu viel Flüssigkeit in der Lunge. „Die Situation war lebensbedrohlich“, sagt die Mutter.
200 Tage im Krankenhaus, sieben Operationen
200 Tage lang musste der kleine Johannes im Krankenhaus bleiben. Er wurde künstlich beatmet, über eine Sonde ernährt und musste insgesamt sieben Operationen über sich ergehen lassen. Jeden Tag pendelten Thomas und Andrea von ihrem Zuhause in Bad Feilnbach ins Krankenhaus. „Wir hatten über ein Jahr ein Schlafpensum von ungefähr drei Stunden. Und die auch nicht am Stück“, sagt Thomas Kriechbaumer. Mittlerweile kann er über die Situation lachen. Damals war weder ihm noch seiner Frau zum Lachen zumute.
„Aber es hilft ja nichts“, sagt Papa Thomas. Es ist ein Satz, den er oft und gerne benutzt. Er hinterfragt nicht, warum diese Dinge ausgerechnet seiner Familie passiert sind. Er nimmt die Situation so, wie sie ist, und versucht, das beste daraus zu machen. Einfach sei es trotzdem nicht gewesen. Auch, weil die anderen drei Geschwister während dieser Zeit zu kurz gekommen sind und viel zurückstecken mussten. Trotz der Unterstützung von Dorfhelfern und Familienmitgliedern.
Unterstützung durch den Bunten Kreis Rosenheim
Mitte Januar 2021 kam Johannes schließlich zum ersten Mal nach Hause. Seitdem stehen der Familie die Kinderkrankenschwestern der Sozialmedizinischen Nachsorge vom Bunten Kreis Rosenheim zur Seite. Sie begleiten die Eltern bei Arztterminen, beantworten Fragen rund um den Umgang mit Beatmungsgeräten, dem Überwachungsmonitor sowie der Sondenernährung. „Johannes musste ein halbes Jahr beatmet werden und braucht nach wie vor Sauerstoff“, erklärt Thomas Kriechbaumer.
Nach und nach gewöhnt sich die Familie an das neue Leben zu sechst. Agnes ist jetzt Vorschulkind, die Drillinge werden ab nächstem September in den Kindergarten gehen. Johannes ist mittlerweile seine Sonde los und hat damit begonnen Brei zu essen. „Das Kauen bereitet ihm noch Probleme“, sagt Mutter Andrea. Mehrmals in der Woche hat er Physio, besucht eine Atem- und Sprechtherapie. Einmal im Jahr geht es zum Kardiologen, wöchentlich wird mit dem Kinderarzt telefoniert. Hin und wieder tauscht sich Andrea Kriechbaumer in der Selbsthilfegruppe „Winzigklein in Rosenheim“ – initiiert von der Stifung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) im Zentrum Südostbayern – mit anderen Frühcheneltern aus.
Dem Baugefühl vertraut
„Man wächst mit seinen Aufgaben“, sagt Thomas Kriechbaumer. Kurz hält er inne. Schaut zur Tür. Dort steht der kleine Johannes. Er grinst, schaut in die Runde. Dann läuft er in die Arme seiner Mama. „Wir sind froh, dass wir auf unser Bauchgefühl gehört haben“, sagt sie.
Mehr Informationen
Im Romed-Klinikum sind in diesem Jahr bereits 145 Frühgeborene zur Welt gekommen. „Von Frühgeburtlichkeit spricht man, wenn ein Neugeborenes mindestens drei Wochen vor dem errechneten Termin zur Welt kommt, also vor vollendeten 37 Schwangerschaftswochen“, sagt Dr. Torsten Uhlig, Leiter des Perinatalzentrums und Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin. Generell gibt es im Rosenheimer Romed-Klinikum circa 1.900 Geburten pro Jahr, zehn Prozent davon sind Frühgeborene. Circa 35 bis 40 Frühgeborene pro Jahren kommen mit einem Geburtsgewicht unter 1.500 Gramm zur Welt. „Je unreifer ein Frühgeborenes auf die Welt kommt, desto intensiver muss auch die ärztliche und pflegerische Betreuung sein“, sagt Uhlig.
Die Unreife verschiedener Organsysteme (Lunge, Nieren, Gehirn, Augen) macht verschiedene Therapien notwendig. Aufgrund der Unreife der Lunge ist beispielsweise eine Unterstützung der Atmung notwendig. Dabei versuche man so schonend wie möglich vorzugehen und verwendet zunehmend auch nicht-invasive Beatmungen, bei denen kein Einführen eines Tubus in die Luftröhre mehr erforderlich ist.
„Sehr unreife Frühgeborene befinden sich oft über mehrere Monate in stationärer Behandlung, was auch für die Eltern eine sehr belastende Situation ist“, sagt der Chefarzt. Besonders wichtig sei hier eine entwicklungsfördernde Pflege. Dazu gehöre unter anderem der frühestmögliche körperliche Kontakt zwischen Eltern und Kind (die sogenannte Känguru-Pflege). Auch nach der Entlassung werden sehr unreife Frühgeborene weiter ärztlich betreut; bei ihnen finden regelmäßige entwicklungsneurologische Nachuntersuchungen statt.
Um einen reibungsarmen Übergang nach der Entlassung zu ermöglichen, unterstützt das Romed Klinikum Rosenheim die Familien gemeinsam mit der sozialmedizinischen Nachsorge (Träger: Ambulantes Kinderhospiz München) und der sogenannten Harl.e.kin-Nachsorge. Während des stationären Aufenthalts bietet das Romed Klinikum Rosenheim auch den Müttern/Eltern Elternzimmer, die dank der OVB-Weihnachtsaktion demnächst räumlich noch deutlich attraktiver gestaltet werden können.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen allen behandelnden Disziplinen (Geburtshelfern, Hebammen, Kinderärzten, Kinderkrankenpflege, Anästhesie, Kinderchirurgie) und vielen weiteren Beteiligten ist laut Torsten Uhlig für eine möglichst optimale Behandlungsqualität unerlässlich. Dazu gehört ein regelmäßiger Informationsaustausch, eine tägliche Abstimmung, eine 24-Stundenversorgung mit Rufdiensten, der Babynotarzt, der die umliegenden Geburtskliniken versorgt, und vieles mehr.
Gründe für eine Freühgeburt sind laut dem Experten beispielsweise Stressfaktoren während der Schwangerschaft, ein übermäßiger Konsum von Genussgiften, Mehrlingsschwangerschaften, Infektionen, Fehlbildungen oder genetische Erkrankungen.
Die Sozialmedizinische Nachsorge in Rosenheim (nach dem Modell Bunter Kreis) ist ein Angebot der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München, die im Zentrum Südostoberbayern Familien hier in der ganzen Region begleitet. Sie hat zum Ziel, Krankenhausaufenthalte für die kleinen Patienten, wie etwa Frühchen wie Johannes, zu verkürzen oder zu vermeiden. Dazu stellt die Nachsorge die anschließende ambulante Behandlung sicher und unterstützt dabei, dass der Übergang ins häusliche Umfeld gut gelingt. Mehr Informationen gibt es unter www.kinderhospiz-muenchen.de/suedostoberbayern
