OVB-Leser zeigen Herz
Überleben im Warmwasser-Grandl: Wie eine Rosenheimerin vor 70 Jahren als Frühchen durchkam
1400 Gramm Geburtsgewicht: Damit kommen die meisten Frühchen heute durch – nicht aber in der Nachkriegszeit. Margit Gillich, Jahrgang 1953, hat es trotzdem geschafft – nicht im High-Tech-Wärmebetterl einer Spezialklinik, sondern im Wassergrandl auf einem Ameranger Bauernhof.
Rosenheim/Mühldorf – „Sehr emotional, ich habe den Bericht über den kleinen Pepe geradezu verschlungen“, schrieb die Rosenheimerin deshalb der OVB-Redaktion. Um Pepe drehte sich eine Geschichte in der Reportagenreihe zur Aktion „OVB-Leser zeigen Herz“, die unter anderem ein Eltern-Frühchen-Projekt des Perinatalzentrums des Romed-Klinikums Rosenheim unterstützt.
Margit Gillich, geboren im März 1953 in Amerang, und Pepe Stock, geboren im September 2020 in Rosenheim: Zeitgeschichtlich und medizintechnisch trennen diese zwei Frühchen Welten, aber das geringe Geburtsgewicht verbindet sie – eine Art Schicksalsgemeinschaft von zwei zu kleinen Babys, die sich ins Leben kämpfen mussten. Pepe kam mit 1400 Gramm per Kaiserschnitt, Margit hatte mit 1450 Gramm nur unwesentlich mehr auf den kleinen Rippen – die alte Küchenwaage von damals, eine mit verstellbaren Wiegebalken vorne dran, hatte das aufs Gramm genau angezeigt.
Es war der 23. März 1953 – und wenn es heute heißt, dass menschliche Tragödien und Wunder bei einer Frühgeburt besonders nah beieinander liegen, so wartete man in der Nachkriegszeit oft vergeblich auf ein Wunder. Eine Frühgeburt war meist eine Hausgeburt – und damit gleichbedeutend mit dem Tod.
Statt Arzt kam Pfarrer – zur Nottaufe
Kein Wunder also, dass Margit Gillich die Geschichte von Pepe so bewegt hat wie kaum eine zweite Leserin. Kein Wunder auch, dass nach der plötzlichen, neun Wochen zu frühen Entbindung nicht der Arzt geholt wurde, sondern der Pfarrer. Er sollte das Kind noch nottaufen, bevor es starb. Damit war ja fest zu rechnen, schließlich hatte die Mutter davor schon zwei Fehlgeburten erleiden müssen – und hinterher sollten noch drei weitere folgen.
Doch die Hebamme von damals hatte das kleine „Buzerl“, soeben zur Welt gekommen auf einem Hof in Unterratting bei Amerang – dort waren ihre Großeltern nach der Flucht aus dem Sudetenland untergekommen – noch nicht abgeschrieben: „Leg’s amoi o. Wenn de Kloane trinkt, dann hod’s vielleicht a Chance“, soll der Mama Mut zugesprochen haben, als sie ihr die halbe Portion auf die Brust legte.
Prompt saugte sich die Kleine gleich fest. Sie trank um ihr Leben. Von diesem Moment an gab es Nahrung und Energie im 30-Minuten-Takt. „Ich habe es geschafft, dank meiner Mutter, die mich rund um die Uhr jede halbe Stunde mit ihrer Muttermilch genährt hat“, sagt die ehemalige Sparkassen-Angestellte und Floristin.
Und zwischen den Mahlzeiten? Was passierte da? Erstversorgung im Kreißsaal durch ein Spezialistenteam von Neonatologen, künstliche Atemhilfe, antibiotische Therapie, alles im High-Tech-Wärmebettchen, so wie bei Pepe – das alles gab es ja damals nicht.
Es war so: Das 1450-Gramm-Dirndl wurde behutsam ins Wassergrandl des Kachelofens in der Küche gelegt, der hielt auch nachts warm – und zwar in einem Brotkörberl, eingewickelt in ein paar Küchentücher. Zum Glück hatte die Tochter der Bäuerin eine kleine Puppe. Deren selbstgestrickte Kleidung passte der kleinen Margit wie maßgeschneidert. „Babysachen in meiner Größe gab es ja damals nicht“, erinnert sie sich. Als Windeln mussten die Taschentücher vom Opa herhalten, die immer wieder ausgekocht wurden.
Jeden Tag mit Schweineschmalz eingerieben
Ja, so war das damals. So sah das ganz spezielle „Perinatalzentrum“ der kleinen Margit aus. Unglaublich, ein Märchen aus einer anderen, längst vergangenen Zeit. In vielen vergleichbaren Fällen gab es kein Happy-End. Doch in diesem Frühjahr 1953, im Warmwassergrandl in Unterratting, schon. „Ich muss einen eisernen Willen gehabt haben, der Wunsch zu leben ist die beste Medizin“, sagt Gillich heute.
Vielleicht lag es auch daran, dass sie als Baby jeden Tag mit Schweineschmalz eingerieben wurde und mit dem Großvater täglich mehrere Stunden Waldluft atmen durfte, als sie nach sechs Monaten auch noch ein Keuchhusten schwächte. Hinzu kam bald deftige, kalorienreiche Kost: Mehlspeisen, Grießbrei, Schweinefleisch mit mehrere Zentimeter dicken Speckschwarten und Mischbrot, bestrichen und belegt mit Butter, Senf und Wurstzipfeln.
Mit Hühnern den Mais aus Schüsseln gepickt
Manchmal soll die kleine Margit im Hof sogar mit den Hühnern Mais und Kartoffeln aus der Schüssel gepickt haben. „Meinem Immunsystem hat das sicher gut getan, ich habe eine gute Abwehr“, sagt die Gillich, heute selbst zweifache Mutter und Großmutter. Wenn am Christbaum Wiener Würstel hingen statt Süßigkeiten, dann war das ganz nach ihrem Geschmack.
Glückliche Kindheit in einer schweren Zeit
So wurde aus dem „kloana Wuzal“ ein kerngesundes Mädchen mit dicken Pausbacken. Und dies in einer in jeder Hinsicht schweren Zeit. Die fehlenden 1600 Gramm zum üblichen Geburtsgewicht waren nicht die einzige Hypothek für die kleine Margit – geboren als uneheliches Kind, die Mama Jahre zuvor mit dem großen Flüchtlingsstrom aus dem Sudetenland nach Rosenheim gekommen. Ihre Eltern hatten es schwer – auch nach der Heirat, das Geld war knapp.
Zudem hatte sich ihr Papa einen Buben gewünscht. Also steckte er seine Tochter beim Übertritt in die Realschule, fürs damals übliche Erinnerungsbild beim Profi-Fotografen, nicht nur in eine Bundhose und ein Trachtenhemd, er ließ ihr auch noch einen Burschenhaarschnitt verpassen. Während andere Mädchen mit Puppen spielten, begleitete Margit ihren Vater zum Fischen an die Mangfall. Vorher sammelte sie Regenwürmer in den saftigen Wiesenstücken an der Rosenheimer Friedhofsmauer, danach nahm sie „fachfraulich“ so manche Regenbogenforelle aus.
„Trotzdem hatte ich eine sehr glückliche Kindheit“, betont Margit Gillich. Aus dem Kind wurde dann mit 1,56 Metern Körpergröße zwar keine Riesin, aber eine attraktive junge Frau – was ihrem künftigen Mann Wolfgang, beide wohnten in Jugendjahren in der Lessingstraße in Rosenheim, nicht verborgen blieb: 1977 wurde geheiratet, seit 35 Jahren wohnt das Ehepaar im Stadtteil Heilig Blut.
Radeln, Schwimmen, Garteln: Die Liebe zum Leben und zur Natur spiegelt sich auch heute noch in Margit Gillichs Hobbys wieder. Erst mit 68 ist sie in Rente gegangen, und auch wenn man es ihr nicht ansieht, im März 2023 wird sie 70.
Pepe feiert im September 2023 seinen ersten Jahrestag überhaupt. „Ich wünsche dem Buben alles erdenklich Gute. Es ist toll, dass die Medizin heute solche Möglichkeiten hat und dass es in Rosenheim Ärzte gibt, die sie so kompetent und segensreich einsetzen.“
Deshalb würde sich Gillich freuen, wenn bei der Spendenaktion – aktueller Stand: 914.000 Euro – die Million noch voll wird: „Denn das Allerwichtigste ist, dass die Mama da ist.“
Spenden und gewinnen
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Alle Spender bei „OVB-Leser mit Herz“ können erneut ein nagelneues Auto gewinnen. Den Wagen – ein Mazda 2 im Wert von rund 18.000 Euro – hat erneut City-Autopartner Kolbermoor, ein Unternehmen der Auto-Eder-Gruppe, gestiftet. Der Gewinn wird also nicht mit Spendengeldern finanziert.Jede Spende ab zehn Euro, die bis 6. Januar 2023 auf den Spendenkonten bei der Sparkasse Rosenheim-Bad Aibling und der meine Volksbank Raiffeisenbank eG eingeht, nimmt automatisch an der Verlosung des Mazda 2 teil.Mitarbeiter der OVB Media und der Auto-Eder-Gruppe sowie deren Angehörige können nicht an der Verlosung teilnehmen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.Aus rechtlichen Gründen sind die OVB-Heimatzeitungen verpflichtet, auch Nicht-Spender am Gewinnspiel teilnehmen zu lassen. Diese schicken eine Postkarte mit dem Kennwort „OVB-Weihnachtsaktion“ an die OVB Media.
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