Im Notfall richtig verhalten
„Man versteht die Welt nicht mehr“ – Wasserwacht am Chiemsee bei der Rettung aus dem Eis beschimpft
Eishockey und Eisstockschießen auf dem See: Das könnte in diesem Winter aufgrund der eisigen Temperaturen der letzten Tage wieder möglich sein. Aber der Schein kann trügen – und tödlich enden. Die Wasserwachten am Chiemsee klären auf.
Chiemsee – Die Pfütze auf der Straße, der Graben am Feld oder der Teich im Garten ist zugefroren. Der starke Frost seit Anfang des Jahres sorgt auf einigen Gewässern für eine Eisschicht und bei Wintersportlern für Vorfreude. Diese wird allerdings nicht von allen geteilt. „Wir raten davon ab, aufs Eis zu gehen“, sagt Andreas Titze von der Wasserwacht Prien und Sprecher der Einsatzleitung für den Zuständigkeitsbereich Chiemsee-West.
„Man kann momentan nicht abschätzen, wie tragfähig das Eis ist“, meint Titze. Die Tragfähigkeit hänge von unterschiedlichen Faktoren ab. „Eisflächen, auf welchen sich Schnee oder Wasser befindet, etwa nach Regenfällen, sollten nicht betreten werden“, führt Werner Vietz, zweiter Vorstand der Wasserwacht Prien, aus. Der Zustand der Eisfläche könne hier nicht sicher beurteilt werden. Auch von Uferbewuchs am Rand der Eisfläche und von Öffnungen im Eis sollte man sich unbedingt fernhalten. „In dem Bereich, wo Fließgewässer in den See einmünden, besteht ebenfalls eine erhöhte Gefahr einzubrechen, da hier die Eisdicke variiert“, so Vietz.
„Eisflächen werden nie freigegeben“
Die Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Bayern appelliert, Eis auf Gewässern nicht zu betreten, solange es nicht 15 Zentimeter dick ist. Selbst bei einer dicken Eisschicht wird allerdings keine Freigabe von der Wasserwacht erteilt. „Eisflächen werden nie freigegeben. Es bleibt immer in der Verantwortung jedes Einzelnen, ob er eine Eisfläche betritt oder nicht“, erklärt Werner Vietz.
„Die Seen und Buchten frieren seit Jahren nur noch sporadisch zu“, beobachtet Christoph Ratay von der Wasserwacht Chieming. Diese Beobachtung wird auch von den statistischen Erhebungen verschiedener Wetterdienste untermauert. Der Deutsche Wetterdienst etwa erhebt seit über 100 Jahren Wetterdaten und verzeichnet in Bayern einen deutlichen Anstieg der Durchschnittstemperaturen im Winter. Früher habe es noch regelmäßig die Möglichkeit gegeben, auf dem Eis trockenen Fußes von Prien zur Herreninsel zu gelangen, berichtet Ratay.
Was aber tun, wenn man eine scheinbar tragende Eisfläche betritt und merkt, dass das Eis nachgibt? „Wenn das Eis zu knistern oder zu knacken beginnt, unverzüglich flach hinlegen, um das Körpergewicht auf eine größere Fläche zu verteilen“, sagt Werner Vietz von der Wasserwacht Prien. Im Anschluss solle man, möglichst ohne in Panik zu geraten, mit ausgebreiteten Armen Richtung Ufer robben.
„Wenn man ins Eis einbricht, möglichst die Arme weit auseinanderbreiten“, so Vietz weiter, „um sich so an den Rändern der Einbruchstelle abstützen zu können. Das dünne Eis abbrechen, bis das Eis wieder trägt.“ Entscheidend sei außerdem, auf sich aufmerksam zu machen, damit Passanten die Situation bemerken und den Notruf absetzen können. Aus der Einbruchstelle sollte man sich flach in Bauch- oder Rückenlage schieben oder rollen.
Im Ernstfall bleibt wenig Zeit
Die Rettung aus dem eiskalten Wasser müsse innerhalb kürzester Zeit durchgeführt werden. Bereits nach wenigen Minuten im eiskalten Wasser werden die Gliedmaßen steif, und die Bewegungsfähigkeit sei somit stark eingeschränkt, so Vietz: „Die Versuche einer Selbstrettung drohen dann sehr schnell zu scheitern.“ An Ufern befinden sich teilweise Rettungsleitern oder Schlitten, mit denen man sich einer eingebrochenen Person auf Abstand nähern kann. Die DLRG betont, dass das brüchige Eis aber auch für den Helfer eine erhebliche Gefahr darstellt und deshalb an die Eigensicherung gedacht werden muss.
Beim Betreten einer Eisfläche rät Werner Vietz von der Wasserwacht Prien: „Führen Sie möglichst einen Eispick mit sich, das sind zwei Griffe mit Dornen aus Edelstahl, welche mit einer Leine verbunden sind.“ Dies trägt man unter der Jacke entlang der Arme. Die Griffe befinden sich dann automatisch im Bereich der Hände. So könne man sich dann im Notfall, auf dem Eis liegend, von Gefahrenstellen entfernen. „Bei der letzten Eisbildung auf dem Chiemsee kam es zu zwei Eisunfällen“, berichtet Vietz. Beide konnten gerettet werden, und eine der beiden Personen musste mit Unterkühlungen ins Krankenhaus.
„Sie haben mir nichts zu sagen“
„Mein persönlicher Eindruck ist, dass sich die Bevölkerung darauf verlässt, dass die Eisdicke ausreichend ist, sobald sich einige Personen auf dem Eis aufhalten“, berichtet Vietz. Außerdem stellt er fest, dass immer häufiger die Aussage getroffen wird: „Es ist ja nicht verboten, also besteht auch keine Gefahr“, oder, „außerdem haben Sie mir nichts zu sagen.“
Vietz erinnert sich, dass er bei einer Personenrettung aus dem Eis, im Anschluss bei der Erstversorgung im Rettungswagen, sogar von einem Paar beschimpft worden sei, was ihm einfiele, so ein Großaufgebot zu alarmieren. Es sei ja schließlich nichts passiert, und die Einsatzkosten würden sie auf jeden Fall nicht tragen. „Da bleibt man dann schon einmal mit offenem Mund stehen und versteht die Welt nicht mehr“, erzählt Vietz. Beide Personen seien damals bis zur Hüfte im eiskalten Wasser gesteckt. Eine Eigenrettung der Personen sei unmöglich gewesen.



