„Fühle mich mit der Ideologie nicht mehr wohl“
Wasserburger Stadtrat Chris Peiker verlässt Partei „Die Linke“
Das Parteibuch ist zerschnitten: Chris Peiker ist bei „Die Linke“ ausgetreten. Der Wasserburger Stadtrat spricht von einer „Entfremdung“ und fühlt sich mit der Ideologie nicht mehr wohl. Nicht zuletzt die Haltung von „Die Linke“ zur NATO hat den 37-Jährigen, der sich als Reservist klar zur Bundeswehr bekennt, zu seinem Schritt bewogen.
Wasserburg – Mit der „Lifestyle-Linken“ rechnete Sahra Wagenknecht heuer im Frühsommer in ihrem Buch messerscharf ab. Ganz so weit geht Chris Peiker nicht, als er in einem Gespräch mit der Wasserburger Zeitung erklärt, warum er seine Mitgliedskarte zerschnitten hat und bei „Die Linke“, wo er seit 2008 Mitglied war, ausgetreten ist.
Keine Änderung bei seinem Mandat als Stadtrat
Für sein Stadtratsmandat ändert sich nichts; er bleibt auf der „Linken Liste Wasserburg“ als Parteiloser. Er trennt die große Politik ganz klar von der kommunalen Ebene. Zudem ist er als Reservist einer, der voll und ganz hinter der Bundeswehr steht – und derzeit Dienst tut im 3. Versorgungsbataillon 4 in Roding. Davor hat er in Coburg mit anderen Soldaten das Impfzentrum bei administrativen Aufgaben entlastet.
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Sein Bekenntnis zur Bundeswehr – zu deren Schutz- und Friedensbeitrag sowie Aufgaben im Katastrophenschutz zählen – lässt sich nicht mehr mit der ablehnenden Haltung von „Die Linke“ in Einklang bringen. Die Phase der Entfremdung habe etwa drei Jahre gedauert, so Peiker. Kurz vor der Abstimmung über den Rettungseinsatz in Kabul trat er aus.
„Ich habe mich geschämt“
„Als es um ein robustes Bundestagsmandat ging, die Leute aus Afghanistan rauszuholen, stimmten linke Abgeordnete dagegen oder enthielten sich mehrheitlich. Da hab ich mich geschämt“, sagt Peiker. Weiter zählt er die Forderung zum NATO-Austritt, zur Abschaffung des Verfassungsschutzes und die fragwürdige Haltung der Linkspartei zu Russland auf. „Das alles teile ich nicht. Es passte einfach nimmer und ich hab die Notbremse gezogen“, erklärt der 37-Jährige.
Pragmatismus ist wichtiger
„Wenn man Politik rein ideologisch ausübt, dann wird das nichts. Man muss die Probleme vor Ort sehen und mit Pragmatismus rangehen“, sagt er über seine ehemalige Partei, die vor allem im Westen zu weit weg von den Leuten und zu sehr im „Elfenbeinturm“ sei. Der Ostsausleger sei eher realpolitisch unterwegs und verstehe sich als Volkspartei. Die West-Linke agiere dagegen sehr ideologisch. Und auf der Bayernebene wo die Ergebnisse stets bei nur zwei oder drei Prozent rangieren, seien die Vertreter auch nicht in den Rathäusern verwurzelt. „Wer noch nie ein Rathaus von innen gesehen hat und die Abläufe einer Verwaltung nicht kennt, wird doch ausgelacht“, sagt Peiker.
Ideale gingen verloren
Zudem fehlten ihm die Ideale, die die Partei 2007 bei ihrer Neugründung noch antrieben, als damals viele SPDler und Gewerkschafter eintraten. Da sei es noch um Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslose gegangen. „Das verkörpert die Partei heute nicht mehr“, bedauert er. Angelehnt an Wagenknechts Kritik der Lifestyle-Linken, sagt er, sie agiere für die Großstadt, aber nicht für den ländlichen Raum.
„Mein Klientel hat mich für meine Positionen gewählt“
Peiker ist seit eineinhalb Jahren Stadtrat – auf dem Ticket der „Linken Liste Wasserburg“. Es handle sich um eine freie Liste von eher linksorientierten Leuten – mit oder ohne Parteizugehörigkeit. Die LLW bildet in Wasserburg mit der SPD eine Fraktion. Ob er nun in die SPD eintrete, sei noch völlig offen. „Ich bin jetzt erst einmal parteilos und werde mir gut überlegen, ob ich noch einmal wo beitrete. Auch wenn ich wunderbar mit den Sozialdemokraten zusammenarbeiten kann.“
Doch sei er von seinem Klientel schließlich auch für seine Positionen gewählt worden und wolle die Wähler nicht enttäuschen.
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13 Jahre hatte der gelernte Kfz-Mechaniker und ausgebildete Gärtner das Parteibuch von „Die Linke“. Aktiv wollte er werden, sich vernetzen. Als damals 24-Jähriger fand er die Aufbruchsstimmung mitreißend. Die SPD sei wegen Gerhard Schröder und der umstrittenen Agenda 2010 nicht für ihn in Frage gekommen.
Peiker als Delegierter und Kandidat
Peiker war Gründungsmitglied und Erster Vorsitzender im „Die Linke“-Kreisverband Altötting-Mühldorf, später durch seinen Umzug von Haag nach Wasserburg im Vorstand des Kreisverbandes Rosenheim. Er war Direktkandidat für den Landtag (für Mühldorf, 2008, für Rosenheim-West, 2018) und den Bundestag (für Altötting, 2009) und zeichnete sich für Wahlkampfführung verantwortlich. Für den Landesverband besuchte er als Delegierter die Landesparteitage; 2011 durfte Chris Peiker als Bundesdelegierter am Beschluss des Parteiprogramms mitwirken: „Das war cool.“ Er lernte Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und etwa Oskar Lafontaine kennen.
Gysi in Eiselfing
Gysi war zwei Jahre später in Eiselfing bei einer Hauptwahlkampfveranstaltung mit etwa 500 Besuchern Gastredner. Im selben Jahr haben Peiker und seine Mitstreiter bei der Kommunalwahl in Wasserburg die „LLW“ ins Leben gerufen, „um linke Anliegen in den Stadtrat einzubringen“. 2020 löste Peiker seine Vorgängerin im Stadtrat, Sophia Jokisch, ab. Das Ziel, einen zweiten Sitz zu erringen, wurde nicht erreicht.
Peiker als „Stadtratsneuling“ lerne in jeder Sitzung was Neues dazu. Darum macht ihm Kommunalpolitik „sehr viel Spaß. Ich hab Bock, Verantwortung zu übernehmen“.
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