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Zu Besuch bei „Jung-Unternehmern“ in Amerang

„Würdest Du deine Katze essen?“: Tierfreunde gründen vegane Wurst-Manufaktur – das steckt drin

Marie-Theres Schurrer und Dr. Gunther Pratz haben es gewagt: Sie gründeten in Amerang eine vegane Wurst-Manufaktur.
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Marie-Theres Schurrer und Dr. Gunther Pratz haben es gewagt: Sie gründeten in Amerang eine vegane Wurst-Manufaktur.

Die Vorsitzende der Wildtierhilfe Amerang gründet mit ihrem Mann eine Wurst-Manufaktur: Wie passt das zusammen? Sehr gut. Denn Marie-Theres Schurrer und Dr. Gunther Pratz stellen fleischlose Würstel her. Ein Besuch in der veganen Manufaktur auf dem Wolfsberg.

Amerang – Einsamer geht fast nicht: Der Wolfsberg in Amerang liegt weitab auf dem Land. Ein schmaler Weg schlängelt sich durch die Wiesen Richtung eines 200 Jahren alten Anwesens. Niemand würde vermuten, dass Marie-Theres Schurrer und Ehemann Dr. Gunther Pratz, früher tätig als Ingenieurin und als Entwicklungshelfer, hier eine Wurstfabrik eröffnet haben.

Wobei: Fabrik hören die Jung-Unternehmer, die mit Mitte 50 zu Unternehmensgründern wurden, nicht gerne. Manufaktur eher, denn hier wird noch viel per Hand gearbeitet. Neben dem Wohnhaus geht es entlang an Obstbäumen, die sich unter der Last der Birnen biegen, und prächtig blühenden Stauden über eine Treppe hoch in ein Holzhaus und hinein in die Produktionsräume. Viel Edelstahl, Kühle, riesige Küchenmaschinen, Schränke voller Gewürzgläser. Hier werden viermal in der Woche pro Tag bis zu 1000 vegane Würstl hergestellt.

Vegane Wurst-Manufaktur Amerang: Macher kommen aus der Wildtierhilfe

Das Metzgerhandwerk liegt Marie-Theres Schurrer in den Genen: Ihr Großvater hatte in der Oberpfalz einen großen Fleischereibetrieb. Als Kind hat die Amerangerin deshalb viel und auch gerne Fleisch gegessen, berichtet sie.

Hat eine enge Beziehung auch zu Nutztieren: Firmengründer Dr. Gunther Pratz auf dem Anwesen in Amerang.

Doch vor einigen Jahren begann mit der Gründung der Wildtierhilfe Amerang, die Rehkitze vor dem Mäh-Tod bewahrt, kranke Igel wieder aufpäppelt und verletzte Vögel oder Amphibien versorgt, „ein Prozess im Kopf“, der nicht mehr zu stoppen war, berichtet Schurrer. Die enge Beziehung zu Wildtieren, die über die Vereinsarbeit entstand, ließ nach ihren Angaben eine wichtige Erkenntnis reifen: „Wir schmusen mit unserer Hauskatze, aber schlachten das Schaf? Nur, weil es ein Nutztier ist? Das kam mir zunehmend unethisch vor. „Sie habe sich gefragt. „Würdest du deine Katze essen?“

Die Deutschen essen in der Tat immer weniger Fleisch, wie diese Grafik, basierend auf Zahlen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, zeigt.

Schurrer stellte fest: „Auch Wild- und Nutztiere sind soziale Lebewesen. Sie können lieb, intelligent, ängstlich und humorvoll sein. Sie empfinden Schmerz und Freude, sie knüpfen Beziehungen.“ Niemals käme sie auf die Idee, ihre Katze, mit der sie auf dem Sofa liege, zu schlachten und zu essen. Deshalb sei es nur konsequent, dies auch nicht Rind, Schwein, Schaf oder Geflügel anzutun.

1000 Würstl entstehen an einem Produktionstag in Amerang.

Gängige Ersatzprodukte waren Gourmets nicht hochwertig genug

Schurrer und Ehemann Pratz beschlossen, auf vegetarische und vegane Ernährung umzusteigen. Doch die gängigen, industriell hergestellten Ersatzprodukte waren für die Gourmets, die gerne hochwertig essen und kochen, oft eine Enttäuschung: „Uns fehlten der Gehalt und Geschmack. Uns störten die vielen nicht so gesunden Inhaltsstoffe, die langen Transportwege mancher Zutaten, die oft billige Herstellung“, berichten sie. „Mein Mann hat dann gesagt: Das kann ich besser“, erinnert sich Schurrer lachend.

Das hat sie ihm abgenommen, denn Pratz hat in seiner Kinder- und Jugendzeit viel in einer Großküche mitgeholfen, in der seine Mutter aufkochte. Rezeptentwicklung und Logistik sowie der Umgang mit großen Mengen sind dem leidenschaftlichen Koch vertraut.

Zwei Jahre am ersten Rezept gefeilt

Der Tüftler am Herd machte sich an die Entwicklung der ersten veganen Ameranger Wurst. Zwei Jahre lang feilte Pratz in der Versuchsküche auf dem Anwesen am Rezept – beinah täglich, wie er sich erinnert. Immer wieder hieß es: probieren, testen, Zutaten rein und wieder raus, Mengen verändern, verfeinern. Größte Herausforderung: Die Wurst sollte nur aus hochwertigen Produkten und Gewürzen aus der Region bestehen: pflanzliche Mehle, bayerische Zwiebeln, Salz aus Berchtesgaden, Soja von einem Landwirt aus Erding als Basis für Tofu, frische Gewürze, bayerische Öle und Essig. Keine Chemie, keine Geschmacksverstärker, keine Produkte mit langen Anfahrtswegen oder aus der Regenwaldabholzung.

Schurrer und Pratz ließen Freunde und Bekannte probieren, dann renommierte Köche, auch viele Tester, die keine Veganer sind. „Die Resonanz war ermutigend. Wir beschlossen: Wir machen das.“ Im Nebengebäude ihres restaurierten Hofs am Wolfsberg in Amerang richteten sich die frisch gebackenen Firmengründer eine professionelle Metzger-Küche mit Rühr- und Knetmaschine, Abfüller, Dampfgarer, Verpackungsautomat und Kühlräumen ein: Etwa 100.000 Euro investierte das Ehepaar ( „Wir haben beide ein unternehmerisches Gen“) nach eigenen Angaben in die Anlagen. Räume, in denen pro Produktionstag bis zu 1000 Würste hergestellt werden.

Kunden wie die Vorstandsküche der Allianz im Englischen Garten

Erster Großkunde: die Vorstandsküche der Allianz im Englischen Garten München. Vor zwei Jahren kam mit diesem Einstieg das Geschäft in Schwung. Als Fernsehkoch Sebastian Lege, der mit seinen Dokus über die Tricks der Lebensmittelindustrie bekannt geworden ist, auf die vegane Manufaktur aufmerksam wurde, ging es mit der Nachfrage so steil bergauf, „dass wir angesichts der Auftragsflut an unsere Grenzen gekommen sind“. Zu den Kunden gehören heute Caterer, Kantinen, Köche, aber auch Privatkunden, die den Hofladen in Amerang besuchen oder im Online-Shop Bestellungen aufgeben. Mittlerweile stellen Schurrer und Pratz mit einem kleinen Team drei Produkte her: Weiß-, Brat- und Currywurst. Bald auf dem Markt: ein luftgetrockneter Pfefferbeißer.

Entwickelt die Rezepte: Dr. Gunther Pratz.

„Fast in jeder Familie jemand, der kein Fleisch ist“

Dass die Resonanz groß ist, wundert Schurrer nicht. „So gut wie jeder Gastronom sieht sich heute verpflichtet, ein vegetarisches oder veganes Gericht anzubieten. In fast jeder Familie gibt es Mitglieder, die kein Fleisch essen oder sogar auf tierische Produkte wie Eier und Milch ganz verzichten.“ Doch auch Vegetarier und Veganer wollen so wie Schurrer und Pratz grillen und etwas Gehaltvolles auf dem Teller genießen. Und sich trotzdem nicht lange in die Küche stellen, sondern mal ein paar Würstel in die Pfanne hauen. Oder einen veganen Aufschnitt aufs Brot legen, ein Produkt, an dem Schurrer und Pratz als Nächstes arbeiten werden.

Frische Gewürze spielen bei den Rezepturen eine bedeutende Rolle.

Ihre Würste sind und bleiben übrigens krumm: „Sie haben Charakter“, sagt Schurrer schmunzelnd. Der zeige sich auch deshalb, weil nicht jedes vegane Produkt aus der Manufaktur zu 100 Prozent immer gleich schmecke. Mal seien die verarbeiteten Zwiebeln schärfer, mal fader, mal sei das Cilli-Gewürz kräftiger in der Farbe, weil die Pflanze mehr Sonne abbekommen habe. „Wir können zwar auch große Mengen, doch wir sind noch ein Handwerksbetrieb“, sagen die Gründer. Sie müssen auch die vielen Auflagen der Behörden einhalten und werden regelmäßig vom Gesundheitsamt kontrolliert.

Nachhaltigkeit in jedem Glied der Kette

Um die Nachhaltigkeit in jedem Glied der Produktionskette durchzuziehen, war außerdem viel Recherchearbeit notwendig, um Alternativen für das bei der Verpackung übliche Plastik zu ersetzen: Die Geschäftsführer betonten, die Bayrisch vegane Wurstmanufaktur (BVW) benutze Vakuumierfolie, die vollständig kompostierbar sei, und Kühlboxen mit einer Isolierung aus Strohpaneelen und wassergefüllten Elementen.

Den Ausstieg aus den alten Berufen und den Einstieg in die Existenzgründung haben Schurrer und Pratz trotz viel Bürokratie, der auch ihre Manufaktur in Atem hält, bis heute nicht bereut. „Es ist beglückend, nicht töten zu müssen, um essen und damit selber leben zu können“, sagt Schurrer.

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