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77-Jährige aus Feldkirchen-Westerham

US-Papa nach 66 Jahren gefunden: Die unglaubliche Geschichte von Elvira Rypacek

Gut zehn Jahre liegen zwischen den Aufnahmen: Elvira und Robert Rypacek (links) mit dem Fotoalbum der Charlotte-Reise und am Flughafen von Charlotte 2012 bei der Begrüßung von Ross Walker.
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Gut zehn Jahre liegen zwischen den Aufnahmen: Elvira und Robert Rypacek (links) mit dem Fotoalbum der Charlotte-Reise und am Flughafen von Charlotte 2012 bei der Begrüßung von Ross Walker.

66 Jahre hat es gedauert, bis Elvira Rypacek aus Feldkirchen-Westerham ihren us-amerikanischen Vater Ross Walker zum ersten Mal in die Arme schließen konnte. Welche Rolle ein OVB-Bericht dabei spielte – und wie ein Anruf schließlich alles veränderte.

Feldkirchen-Westerham/Charlotte – Als Elvira Rypacek am Küchentisch ihres Hauses in Feldkirchen-Westerham sitzt und das kleine Fotoalbum mit den gut zehn Jahre alten Aufnahmen durchblättert, kann sie ihre Tränen doch nicht mehr zurückhalten. Denn für die heute 77-Jährige sind diese Aufnahmen, viele davon am Flughafen von Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina geknipst, etwas ganz Besonderes. Sie dokumentieren den Moment, in dem sie im Alter von 66 Jahren ihren Vater Ross Walker, damals 88, zum ersten Mal in ihrem Leben in die Arme schließen konnte. Im OVB lässt die gebürtige Fränkin diesen einzigartigen Moment Revue passieren.

Es war nicht in erster Linie der Blick in den Spiegel, der Elvira Rypacek bereits im Kindesalter deutlich machte, dass sie anders war, als viele Nachbarskinder oder Klassenkameraden. Es war vor allem die Reaktion einiger Mitmenschen, in deren Worten, Gesten und Blicken deutliche Ablehnung ihr gegenüber spürbar war. Und das nur, weil sie eine deutlich dunklere Haut hatte als die anderen. „Natürlich habe ich immer wieder Rassismus am eigenen Leib erfahren“, sagt die 77-Jährige, die für derartige Situationen auch heute noch „extrem feinfühlig“ ist.

Mit Selbstverteidigungstechniken gegen verbale und körperliche Attacken

So habe der Vater einer Klassenkameradin sie dazu aufgefordert, ihm zu zeigen, „ob meine Fußsohlen auch so schwarz sind“, erzählt die 77-Jährige kopfschüttelnd. Selbst ihr neun Jahre älterer Halbbruder, mit dem sie sich auch heute noch gut versteht, „wollte mich aufgrund der Vorbehalte anderer Menschen nicht immer dabei haben“. Allerdings habe er gemeinsam mit Freunden auch versucht, ihr verschiedene Selbstverteidigungstechniken beizubringen, damit sie sich gegen verbale, aber auch körperliche Attacken zur Wehr setzen könne. „Da musste ich dann immer als Übung mit ihm und seinen Freunden raufen, obwohl die viel älter und größer als ich waren“, erzählt die gebürtige Fränkin und lacht. Zwar gäbe es auch heute noch Momente, in denen sie aufgrund ihrer Hautfarbe Ablehnung verspüre, aber: „In den vergangenen Jahrzehnten hat sich da dennoch viel positiv entwickelt.“

Doch während die in Fischbach bei Nürnberg aufgewachsene Elvira schon früh erfahren musste, was eine dunkle Hautfarbe für Auswirkungen haben kann, wusste sie nichts darüber, wer überhaupt für diese Hautfarbe verantwortlich war. Der Vater ihres neun Jahre älteren Bruders war zwar nach Ende des Zweiten Weltkriegs in die Heimat zurückgekehrt, hatte sich zu diesem Zeitpunkt aber schon einer neuen Liebe zugewandt. Ihre Mutter lernte hingegen einen dunkelhäutigen GI-Soldaten kennen, der in ihrem Heimatort in der Kantine der dort stationierten US-Soldaten arbeitete. Eine Beziehung, aus der 1946 schließlich ein Baby hervorging, dem der Name Elvira gegeben wurde.

Seine USA-Reise im Jahr 2012 hat das Feldkirchen-Westerhamer Ehepaar Rypacek in einem Fotoalbum festgehalten.

Doch von seinem Papa hatte das kleine Mädchen letztlich nichts. „Wenn ein GI eine Einheimische geschwängert hatte, wurde er sofort versetzt“, erzählt Rypacek. Was sie selbst aber erst viel später erfahren habe. So musste ihr Vater fortan in Frankfurt seinen Militärdienst verrichten. Und ihre Mutter? Die schwieg sich zeitlebens über die Beziehung aus. „Immer wenn ich bei ihr nachgefragt habe und etwas über meinen Vater wissen wollte, hat sie plötzlich etwas Wichtiges zu tun gehabt“, erinnert sich Rypacek an ihre Versuche, der Mutter Informationen zu entlocken.

Und dennoch sollte der wertvollste Hinweis auf ihren Vater, von dem sie bis dato nicht einmal einen Namen wusste, von ihrer Mutter kommen. Denn bei einem Besuch kurz vor deren Tod im Jahr 1992 drückte sie ihrer Tochter plötzlich das Foto eines jungen, dunkelhäutigen Mannes in die Hand. „Das ist das Foto deines Vaters. Wenn es dich interessiert, dann nimm‘ es mit. Sonst schmeiß‘ ich es weg“, kann Rypacek auch 30 Jahre später den Wortlaut der Unterhaltung noch genau wiedergeben.

Komisches Gefühl während Urlaub in New Orleans

Wobei Elvira Rypacek, die den Beruf der Elektromechanikerin erlernt hatte, sich später aber zur Steuerfachgehilfin umschulen ließ, lange Zeit „hin- und hergerissen“ war, ob sie überhaupt nach ihrem Vater suchen sollte. „Es gab Phasen, da wollte ich ihn gar nicht finden und nichts von ihm wissen“, erzählt die 77-Jährige. Zu sehr habe sie der Gedanke, dass sich ihr Vater nie um sie gekümmert, nie um sie bemüht habe, geschmerzt. Dann habe es wiederum Momente gegeben, in denen sie unbedingt wissen wollte, wo ihre Wurzeln väterlicherseits liegen. So erinnert sie sich an einen USA-Urlaub zurück, der sie unter anderem in den Süden New Orleans führte. „Da habe ich auf der Straße immer das Gefühl gehabt, dass mir mein Vater vielleicht jetzt auf der Straße begegnen könnte“, so Rypacek. „Das war schon komisch.“

OVB-Artikel als Auslöser für die Suche nach dem Vater

Den Auslöser dafür, dass sich Elvira Rypacek, die 1989 mit ihrem Mann Robert nach Feldkirchen-Westerham gezogen war, dann doch dazu entschlossen hatte, die Suche nach ihrem Vater aufzunehmen, gab an Ostern 2012 ein Artikel im Oberbayerischen Volksblatt. Darin berichtete ein Mann aus Oberbayern, wie er auf der Suche nach seinem US-amerikanischen Vater letztlich auf einen bislang unbekannten Bruder gestoßen war.

Rypacek nahm Kontakt zu dem Mann auf – und fand in ihm neben ihrem Mann einen weiteren Unterstützer, der sie auf der Suche nach ihren Wurzeln begleiten sollte. So half er ihr beispielsweise dabei, notwendige Formulare der Organisation „GI Trace“ auszufüllen, die auch heute noch derartige Suchen unterstützt. Wichtigster Anhaltspunkt: die Aufnahme des Mannes, die Elviras Mutter ihrer Tochter gegeben hatte. Und die auf der Vorderseite am unteren rechten Rand den Schriftzug „Ross Walker“ trug – was sich letztlich als der Namen von Elvira Rypaceks Vater herausstellte.

Nur wenige Wochen später klingelte es dann im Haus in Feldkirchen-Westerham. Am Telefon: der oberbayerische Helfer. Lässt Elvira Rypacek dessen Worte am Telefon Revue passieren, muss sie auch heute noch schlucken. „Sitzt Du gerade? Wir haben deinen Vater gefunden – und er lebt“, hatte der Mann das Telefongespräch eröffnet. Das große Glück der damals 66-Jährigen: Nach seiner Zeit als GI in Deutschland war Ross Walker in seine Heimat Charlotte zurückgekehrt und nie umgezogen. „Sonst hätten wir ihn bestimmt nicht gefunden“, ist sich die 77-Jährige sicher.

Es folgten erste Schriftwechsel zwischen ihr und ihrem Vater, bei denen sie oftmals gar nicht wusste, „was ich alles schreiben soll“. Dann ein weiterer Schritt – ein erstes Videotelefonat zwischen Deutschland und den USA, bei dem „ich emotional so fertig war, dass ich teilweise gar nicht mehr sprechen konnte“. Und schließlich die Entscheidung: Ich will meinem Vater wahrhaftig, nicht nur per Webcam, gegenüberstehen. So reiste das Ehepaar Rypacek im September 2012 nach Charlotte im Bundesstaat North Carolina.

Das erste Aufeinandertreffen zwischen Ross Walker (links), Tochter Elvira Rypacek und deren Ehemann Robert fand 2012 auf dem Flughafen von Charlotte im US-Bundesstaat North Carolina statt.

Die Szenen der Ankunft am Flughafen in Charlotte wird Elvira Rypacek zu Lebzeiten nicht vergessen – und das nicht nur, weil die Szene in einem Video festgehalten worden war und sogar Gegenstand der TV-Dokumentation „Ein Hauch von Freiheit“ ist. Während Elvira Rypacek gemeinsam mit ihrem Mann Robert einen Flur auf dem Flughafen entlangschreitet, richtet sich der 88-jährige Ross Walker in seinem Rollstuhl auf und breitet seine Arme aus. Dann nehmen sich Vater und Tochter das erste Mal in ihrem Leben in den Arm. „Wir haben uns ganz fest gedrückt“, erinnert sich die heute 77-Jährige an den unvergesslichen Moment vor gut zehn Jahren zurück.

Kontakt auch nach der Rückkehr nach Deutschland nicht abgerissen

Drei Wochen hatte Elvira Rypacek anschließend Zeit, in die Geschichte ihres Vaters – und damit auch in einen Teil ihrer eigenen Geschichte – einzutauchen. Auch nach der Rückkehr nach Deutschland sei der Kontakt nicht abgerissen. Wobei Ross Walker allerdings nur rund ein Jahr nach dem Treffen im Alter von 89 Jahren starb. „Wir sind natürlich zur Beerdigung geflogen“, erinnert sich Rypacek, die mittlerweile weiß, dass sie in den USA auch eine Halbschwester hat. Kennengelernt hat sie die allerdings nicht, denn: „Mein Vater hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu ihr.“

Mehr als zehn Jahre sind nun vergangen, seit für Elvira Rypacek die Suche nach ihrem Vater ein glückliches Ende genommen hat. Wobei die Feldkirchen-Westerhamerin keinen Hehl daraus macht, dass es für sie in Hinblick auf die Suche nach ihren Wurzeln auch befremdliche Situationen gegeben hat. So könne sie beispielsweise mit der dort erlebten „amerikanischen, oberflächlichen Mentalität“ wenig anfangen.

Enttäuschende Antwort auf eine wichtige Frage

Auf eine für Elvira Rypacek jahrzehntelang offengebliebene Frage, warum ihr Vater sie denn nie gesucht habe, hat sie zudem nur eine eher enttäuschende Antwort erhalten: „Auf diese Frage hat er geantwortet, dass er das ja eigentlich wollte, aber oftmals kein Geld hatte, um nach Deutschland zu fliegen“, erzählt die Feldkirchen-Westerhamerin. „Und wenn er dann mal doch Geld hatte, waren wohl andere Dinge wichtiger.“

Und dennoch kann Elvira Rypacek heute sagen, dass sich die Suche nach ihrem Vater für sie absolut gelohnt hat. Denn diese Ungewissheit, was mit ihrem Vater passiert ist, sowie die Zerrissenheit, ob sie sich auf die Suche nach ihm machen solle oder eben nicht, hatte die 77-Jährige in ihrem Leben immer wieder begleitet und belastet. Rypacek: „Nachdem ich ihn dann gefunden habe und in die Arme schließen konnte, hat sich bei mir endlich eine innere Ruhe eingestellt, die ich nicht mehr missen möchte.“

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