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EU-Gesetzesvorstoß mit gravierenden Folgen

„Unser Lebenswerk wird zerstört“: Geplantes Chemikalien-Verbot bedroht Rotter Firma

Detlef Reichl, Geschäftsführer der Firma FluorTex in Rott, ist entsetzt über den Beschränkungsvorschlag der Bundesanstalt. Zu sehen ist hier das Pulver aus Polytetrafluorethylen, das nach Inkrafttreten des PFAS-Verbots nicht mehr benutzt werden darf.
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Detlef Reichl, Geschäftsführer der Firma FluorTex in Rott, ist entsetzt über den Beschränkungsvorschlag der Bundesanstalt. Zu sehen ist hier das Pulver aus Polytetrafluorethylen, das nach Inkrafttreten des PFAS-Verbots nicht mehr benutzt werden darf.

Detlef Reichl von FluorTex in Rott ist fassungslos angesichts eines Chemikalien-Verbots, das bald in Kraft treten soll. Wenn es so kommt, muss er seinen Betrieb dichtmachen. Über 20 Mitarbeiter ständen auf der Straße. Was es mit dem Verbot auf sich hat und warum es viele Unternehmen in den Ruin treiben könnte.

Rott - Ein geplantes Industrie-Chemikalien-Verbot beunruhigt Unternehmen in der Region: Detlef Reichl, Gesellschafter und Geschäftsführer von FluorTex in Rott, ist fassungslos. Wenn die Beschränkung genehmigt wird, muss er seinen Betrieb dichtmachen. „Unser Lebenswerk wird zerstört“, sagt er und schüttelt den Kopf.

Das Problem: Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) will sogenannte per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, sogenannte PFAS, verbieten und hat deswegen bei der Europäischen Kommission einen Beschränkungsvorschlag vorgelegt, das sogenannte PFAS-Verbot.

Aufgrund von bislang nicht kontrollierten Risiken im Zusammenhang mit der Herstellung und der Verwendung von PFAS sei eine Maßnahme in der gesamten EU und dem europäischen Wirtschaftsraum erforderlich. In den vergangenen drei Jahren hätten Behörden von fünf Ländern – Deutschland, Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden – die PFAS, deren Verwendungen und die Risiken, die diese für Mensch und Umwelt darstellen würden, eingehend untersucht, so die Bundesanstalt.

Zu sehen ist hier das Pulver aus Polytetrafluorethylen, das nach Inkrafttreten des PFAS-Verbots nicht mehr benutzt werden darf.

Wie das Bundesministerium für Umwelt mitteilt, würden sich diese ausschließlich menschengemachten Stoffe aufgrund ihrer Langlebigkeit fortwährend anreichern. Deshalb auch umgangssprachlich der Begriff „Ewigkeits-Chemikalien“. Das Wissen um die Wirkung von PFAS sei noch gering. Allerdings habe man in den vergangen Jahren bei diesen Stoffen zunehmend gesundheitsschädliche Wirkungen nachgewiesen, was in Kombination mit der Langlebigkeit besonders bedenklich sei, so die Behörde.

Dichtungen, Membrane, Beschichtung

Doch mit genau diesen Substanzen, beziehungsweise mit Polymeren, die ebenfalls unter die perfluorierten Alkylsubstanzen fallen, arbeitet die Firma FluorTex in Rott – ausschließlich. Das Unternehmen produziert beispielsweise Dichtungen aus Polytetrafluorethylen (PTFE), also aus Teflon-Kunststoff, Membranen aus PTFE, unter anderem zum Schutz gegen Feuchtigkeit für Batterien in Elektro-Fahrzeugen oder für persönliche Schutzausrüstung, Biomaterial für Medizintechnik: Das Unternehmen stellt ein breites Spektrum von Produkten her.

Doch das wäre vorbei, wenn die EU-Kommission das PFAS-Verbot durchwinkt. Detlef Reichl macht sich große Sorgen, dass es so weit kommen könnte – und das aus mehreren Gründen: „Bisher hat noch kaum jemand reagiert, weil das Dossier der BAuA hochkomplex ist. Auf über 1.400 Seiten wird das PFAS-Verbot erklärt. Ich beschäftige mich seit der Veröffentlichung mit nichts anderem mehr. Unsere Existenz steht hier auf dem Spiel“, verdeutlicht er.

Detlef Reichl, Inhaber der Firma FluorTex in Rott, ist entsetzt über den Beschränkungsvorschlag der Bundesanstalt.

Doch von anderen Firmen, die er selbst angeschrieben hat, hat er kaum Rückmeldung bekommen, berichtet er. Nur noch bis Ende September können Stellungnahmen im Rahmen der öffentlichen Konsultation eingereicht werden. Reichl ist selbst dabei, alles umfangreich zusammenzutragen, um sich gegen das PFAS-Verbot zu wehren. Nicht nur das Rotter Unternehmen ist von dem neuen Verbot betroffen, wie der Geschäftsführer weiß. Auch die Chemie,- Pharma- und Lebensmittelindustrie sei von den Einschränkungen nicht ausgenommen.

Ein weiterer Aspekt, an dem sich Reichl stört: Das Dossier sei viel zu allgemein gehalten. „Die Bundesanstalt führt nur 14 Anwendungsbereiche an, in denen die betroffenen Stoffe verwendet werden. Unser Betrieb ist unter der Rubrik „Textilien“ eingeordnet, weil wir Membranen für Kleidung herstellen. Das ist aber nur ein ganz kleiner Teil unserer Arbeit. Trotzdem interessiert das nicht. Hier werden alle über einen Kamm geschoren und Kunststoffe verboten, die wir beispielsweise für die Wasserstofferzeugung dringend benötigen“, schimpft der 57-jährige Inhaber.

Erklärung zu per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS)

Wie das Bundesministerium für Umwelt mitteilt, umfasst PFAS mehr als 10.000 verschiedene Stoffe. „PFAS kommen nicht natürlich vor und werden erst seit den späten 1940ern hergestellt. Sie werden unterteilt in kurz- und langkettige PFAS. Kurzkettige PFAS sind extrem langlebig und verteilen sich in der Umwelt in kürzester Zeit über das Wasser. Langkettige PFAS sind in der Umwelt und in Lebewesen ebenfalls sehr langlebig und einige PFAS reichern sich in verschiedenen Organismen bis hin zum Menschen an“, so die Behörde.

„Die PFAS werden vor allem über Lebensmittel, inklusive Trinkwasser, aufgenommen. Sie sind in Böden, Trinkwasser, Futtermitteln und in Bedarfsgegenständen (Verpackungen unter anderem) nachweisbar. Laut aktueller Kenntnisse der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA sind vor allem tierische Lebensmittel mit PFAS belastet“, erklärt das Bundesministerium weiter.

Doch das größte Unverständnis für Reichl: „Die Produkte, mit denen wir arbeiten, sind nicht giftig. Sie gelangen nicht in die Umwelt. Unsere Nebenprodukte, die bei der Herstellung entstehen, werden zu 100 Prozent recycelt. Wir haben keine Abfälle. Und ja: die Dichtungen sind persistent, also langlebig, aber das müssen sie ja auch sein“, verdeutlicht er. „Ein Beispiel: In der Lebensmittelindustrie müssen die Schläuche mit starken säure- oder basenhaltigen Substanzen gespült werden, damit alles sauber ist. Das müssen die Dichtungen aushalten – und hier kommt unser Material ins Spiel. Das muss natürlich auch ausgewechselt werden, kommt aber nicht in die Umwelt, sondern wird fachgerecht entsorgt. Darum kümmert sich die Abfallwirtschaft, das hat mit dem PFAS-Verbot nichts zu tun“, erklärt Reichl.

Europawahlen stehen 2024 an

Der Geschäftsführer ist außerdem stark beunruhigt, weil 2024 Europawahlen anstehen. Da das Dossier von BAuA sehr komplex und umfangreich ist, befürchtet Reichl, dass die neu gewählte EU-Kommission es einfach durchwinken könnte, ohne sich eingehend damit zu befassen. „Wer das für unwahrscheinlich hält, den erinnere ich nur an das EU-Verkaufsverbot für neue Benzin- und Dieselfahrzeuge ab 2035. Da war es dasselbe“, sagt er.

Reichl schlägt für das Dossier unter anderem eine „risiko-basierte“ Betrachtung vor. „Stoffe, die kein Risiko darstellen, wie unsere Kunststoffe, müssen nicht in Betracht genommen werden. Das steht auch in der REACH-Verordnung“, erklärt er. Außerdem müsse das Dossier der BAuA hinterfragt werden. „Meiner Meinung nach sind dort falsche Darstellungsweisen und Aussagen aufgeführt. Diese sollten dringend entkräftet werden“, meint der Rotter Geschäftsführer. Eine Augsburger Anwaltskanzlei habe sich der Unterlagen angenommen und diese „stark zerpflückt“. Ein erster Schritt, wie Reichl findet.

Doch für ihn noch nicht genug. Es müssten sich mehr Unternehmen, die betroffen seien, einbringen. „Wenn nichts passiert, ist es nächstes Jahr zu spät“, prophezeit der Geschäftsführer. Dann könne er seine Firma, die er jahrelang aufgebaut habe, zusperren.

Die BAuA gewährt den Betrieben – nach Inkrafttreten des Dossiers – eine Frist von 18 Monaten, um ohne PFAS, also auch ohne die betroffenen Polymere, zu produzieren. Für FluorTex unmöglich. „In Ausnahmefällen kann ein Zeitraum von fünf beziehungsweise zwölf Jahren gewährt werden. Welcher Mitarbeiter bleibt denn, wenn er weiß, dass die Firma schließen wird?“, fragt sich Reichl. „Das PFAS-Verbot gilt dann in der gesamten Europäischen Union. Die einzige Möglichkeit, weiter zu produzieren, ist außerhalb der EU, beispielsweise in Asien“. Für Reichl keine Option. Ihm bleibe nur eins, wenn das Gesetz komme, nämlich seinen Betrieb zu schließen.

Christian Doleschal, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Jungen Union Bayern.

„Gut gemeint, aber teilweise schlecht gemacht“

Christian Doleschal, Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Jungen Union Bayern, hat bei einer Firmenbegehung bei Fluortex und Alpma in Rott mit den Anwesenden unter anderem über das Thema PFAS-Verbot gesprochen. Seiner Meinung nach ist „politischer Druck“ nötig, um die EU-Kommission zu überzeugen, das Dossier der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in dieser Form nicht zu genehmigen. Er und seine Parteikollegin, Dr. Angelika Niebler (MdEP), würden versuchen, „Bewusstsein für das Problem zu schaffen“. Laut Doleschal ist das Dossier „viel zu pauschal“. Es sei „gut gemeint, aber teilweise schlecht gemacht“ und in vielerlei Hinsicht nachzubessern, meint das Mitglied des Europäischen Parlaments.

„95 Prozent der Chemie-Betriebe in Deutschland würden unter das PFAS-Verbot fallen“, erklärt er. „Die Chemikalien sind aber nicht substituierbar, zumindest noch nicht. Es muss ein adäquates Ersatzprodukt dafür entwickelt werden, soweit sind wir noch nicht. Somit ist es der falsche Zeitpunkt, sie zu verbieten“, erklärt er. Außerdem wehrt er sich gegen eine pauschale Beschränkung von PFAS. „Wenn die Substanzen in einem geschlossenen Kreislauf benutzt werden, wie bei der Firma Fluortex, und sie sachgemäß recycelt werden, sehe ich keinen Grund, sie komplett zu untersagen“, meint Doleschal.

Ob, in welcher Form und wann das PFAS-Verbot komme, könne er nicht sagen. Aber die EU-Kommission beschäftige sich schon mit den Unterlagen von BAuA und es komme „Bewegung in die Sache“.

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