Wasserburgerin Heike Maas im Bundesvorstand
Ukraine-Krieg macht Sudetendeutsche traurig: „Mein Vater und meine Großeltern wären entsetzt“
Der Ukraine-Krieg beschäftigt alle Menschen – besonders jene, die den Zweiten Weltkrieg erlebt haben. Stadträtin Heike Maas ist Nachfahrin einer Familie, die aus dem Sudetenland vertrieben wurde, und engagiert sich im Bundesvorstand der Landsmannschaft.
Wasserburg – Die Wasserburger kennen sie als Fraktionsvorsitzende von CSU-Wasserburger Block-Freie Wähler. Doch kaum jemand weiß, dass die CSU-Stadträtin Heike Maas auch im Bundesvorstand der Sudetendeutschen Landsmannschaft tätig ist. Ein Gespräch über die deutsche Nachkriegsgeneration und ihre Gedanken zum aktuellen Krieg in der Ukraine, der erneut Millionen in die Flucht treibt.
Warum engagieren Sie sich bei den Sudetendeutschen – hier sogar im Bundesvorstand?
Heike Maas : Ich bin ein typischer Repräsentant der Nachfolgegeneration: Mir selbst hat keiner etwas weggenommen und mir selbst wurden auch keine Schmerzen zugefügt. Aber das Thema Vertreibung aus der Heimat spielte in meiner Kindheit eine Rolle. Wir wohnten die ersten Jahre im Haus meiner Großeltern. Bei Kartoffeln und Buttermilch wurde da des Öfteren an früher im Braun´schen Dialekt gedacht. Nicht lange, denn alle richteten den Blick gleich wieder nach vorne, aber eines verstanden auch wir Enkel: Meine Großeltern und die Uroma trauerten ihrer verlorenen Heimat nach. Meine Großeltern und mein Vater sind leider schon vor vielen Jahren verstorben. Somit war in meiner Familie niemand mehr, der meine Fragen zu Herkunft und Familiengeschichte beantworten konnte. Über meine Arbeit lernte ich den Sudetendeutschen Sprecher Bernd Posselt und über ihn den ehemaligen Präsidenten der Bundeszentrale für politische Bildung, Günter Reichert, kennen, der aus der gleichen Gegend wie meine Familie stammt, und mir zu einem väterlichen Freund wurde. Über ihn fand ich Zugang zur Sudetendeutschen Gruppe und konnte in 2015 bei der Erarbeitung der neuen Grundsatzerklärung mitwirken.
Mein Engagement hat zwei Leitmotive: 1. Gegen die Wiederholung: Meine Großeltern und mein Vater haben, wie viele andere Millionen Vertriebene auch, Familienmitglieder, ihr Hab und Gut und ihre alte Heimat verloren. Vieles Schreckliches ist geschehen. Aber mein Blick geht nach vorne: Ich möchte mithelfen, dass meine Kinder und hoffentlich auch Enkelkinder nicht das gleiche Schicksal ereilt, dass sie in ihrer Heimat bleiben können und nicht vertrieben werden. 2. Gegen das Vergessen: Ich würde mir wünschen, dass die Vertreibung und das Unrecht, das die Sudetendeutschen und andere Volksgruppen erfahren haben, zum Grundwissen aller Deutschen gehören. Darum bin ich auch sehr glücklich, dass das Sudetendeutsche Museum im vergangenen Jahr in München seine Pforten geöffnet hat. Die 1.100 Jahre sudetendeutscher Geschichte in Tschechien werden dort vielseitig erlebbar. Ein Museumsbesuch ist ein unbedingtes Muss.
Sie sind ja in Deutschland geboren, Ihre Kinder kennen das Sudetenland, aus dem die Familie stammt, vermutlich gar nicht oder nur von Privatbesuchen. Kann es überhaupt gelingen, die Erinnerung an die frühere Heimat aufrecht zu erhalten?
Maas: Ich habe keine eigenen Erlebnisse und somit keine Erinnerung an die frühere Heimat. Aber die Frage, woher stamme ich, treibt mich um und an. Mit meinem Mann Gerd habe ich einige Reisen ins Braunauer Ländchen unternommen und die Höfe meiner Familie gesucht und gefunden. Ich fühle mich in der Gegend wohl und irgendwie ist sie mir vertraut. Ein wichtiges Anliegen wäre mir noch ein gemeinsamer Besuch mit unseren Kindern. Sie sollen sehen, wo die Urgroßeltern und der Opa herkommen. Das wäre mir wichtig!
Derzeit sind Millionen Ukrainer auf der Flucht. Was glauben Sie, wie würden Ihre Eltern oder Großeltern auf das Kriegsgeschehen in Europa reagieren?
Maas : Mein Vater und meine Großeltern wären entsetzt! Waren sie doch davon überzeugt, dass im Eindruck des Zweiten Weltkriegs das Kriegskapitel in Mitteleuropa endgültig geschlossen wurde und die Menschen keinen weiteren Krieg mehr erleben müssen. Die schrecklichen Ereignisse der Ukraine unterstreichen die enorme Bedeutung der Europäischen Union für Frieden und Freiheit. Nur in Geschlossenheit und gemeinsam haben die EU-Länder eine Chance gegen Russland oder in Zukunft auch gegen China.
Die EU war Konsequenz und Ergebnis 800 Jahre kriegerischer Auseinandersetzung auf dem Mitteleuropäischen Kontinent, was in letzter Vergangenheit leicht aus den Augen verloren wurde. Offene Grenzen, ein gemeinsamer Markt mit intensivem wirtschaftlichem Austausch, vielfältige Netzwerke und ein gemeinsames Wertefundament als Basis für Zusammenarbeit und gegen Auseinandersetzung.
Auch wir Sudetendeutschen pflegen vielfältigen und intensiven Austausch mit Tschechien, auf politischer, kultureller aber auch auf persönlicher Ebene. Partnerschaftlicher und vertrauensvoller Umgang ist unser Ziel. Uns geht es um Versöhnung.
Bundesversammlung verurteilt Angriffskrieg aufs Schärfste
Intensiv hat der Ukraine-Krieg auch die Bundesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft. gepägt. Heike Maas berichtet: „Im Tagungsverlauf aber auch in Randgesprächen auf den Gängen waren die Geschehnisse in der Ukraine das dominierende Thema. Nicht wenige der Versammlungsmitglieder gehören der Erlebnisgeneration der Sudetendeutschen an und werden an das eigene Schicksal erinnert. In der „Entschließung über die Ukraine“, die als Dringlichkeitsantrag einstimmig beschlossen wurde, verurteilt die Bundesversammlung den Angriffskrieg aufs Schärfste und fordert das sofortige Ende von Blutvergießen und Zerstörung. Weiter setzt sie sich für die Weiterentwicklung der EU zu einer außen- und verteidigungspolitischen Sicherheitsunion ein und will den ukrainischen Flüchtlingen helfen.
Im Heiligenhof in Bad Kissingen, der sudetendeutschen Bildungsstätte, welche 1952 gegründet wurde, um den mittellosen Menschen nach Flucht und Vertreibung Möglichkeiten in der beruflichen Weiterbildung zu eröffnen, wurden bereits vor zwei Wochen die ersten fünfzig Flüchtlinge aus der Ukraine untergebracht.“