Nach dem Tod von Uwe Bertram
Neue Ära am Theater Wasserburg – Wie der „Wir-machen-weiter-Vibe“ das Publikum mitreißt
Annett Segerer, Nik Mayr und Constanze Dürmeier leiten seit einem Jahr das Theater Wasserburg. Ein Trio, das eine gewaltige Aufgabe stemmt: die Rückgewinnung des Publikums nach Corona und die Wiederauferstehung des Theaters nach dem Tod von Uwe Bertram. Das ist ihr Erfolgsgeheimnis.
Wasserburg – Das Theaterbüro erinnert so gar nicht an eine Bühnenstätte: drei Schreibtische, flimmernde PC-Bildschirme und Laptops, Terminlisten, Abrechnungen, Ordner, Brotzeitdosen. Nur die Tür und die Wände sind geschmückt mit Plakaten von Inszenierungen der vergangenen Jahre. Hier im Hinterzimmer im ersten Obergeschoss des Belacqua laufen die Fäden zusammen, wenn die drei Theaterleiter nicht selber auf oder hinter der Bühne stehen.
Annett Segerer (46), Nik Mayr (41) und Constanze Dürmeier (38) wirken entspannt, gelöst, mit sich im Reinen. Denn es läuft im Theater Wasserburg, berichten sie stolz. Ein Post-Corona-Loch, wie viele Bühnen es erlebt haben und noch immer spüren, gab es in Wasserburg nicht. Stattdessen einen „Wir-machen-weiter-Vibe“, wie Mayr die Stimmung charakterisiert. Nach dem plötzlichen Tod von Theatergründer Uwe Bertram, starke Persönlichkeit und jahrelang prägende Figur des Hauses, wollten anscheinend viele aus dem Stammpublikum das Haus unterstützen. Die Inszenierungen im Jahr 2023 waren zu gut 50 Prozent ausverkauft. Der Förderverein des Theaters freute sich über 50 neue Mitglieder.
5000 Besucher im Jahr 2023
Eine positive Entwicklung, die laut Segerer „irgendwie ganz von selber kam“. Ein Urteil voller Bescheidenheit, denn die Theaterfans hätten dem Haus sicherlich nicht die Stange gehalten, wenn die Produktionen nicht gefallen würden. 5000 Besucher im vergangenen Jahr sprechen eine eigene Sprache.
Dabei saß 2022 der Schock tief, als die niederschmetternde Diagnose der schweren Krebserkrankung von Uwe Bertram kam. Im November des Jahres starb er. Segerer, Mayr und Dürmeier, die schon seit 2003, 2006 und 2008 am Theater aktiv sind, übernahmen das Ruder. Gemeinsam. Und gründeten eine GmbH mit neun Angestellten. Die sechs weiteren Aktive in Teilzeit sind hier fest sozialversicherungspflichtig angestellt. Das ist neu und in künstlerischen Berufen nicht immer üblich, berichtet Segerer. Ziel der Theater-GmbH ist es nach ihren Angaben, dass alle Festangestellten in der Lage sind, über ihr Engagement in Wasserburg ihre Wohnungsmiete zu bezahlen.
Keiner sitzt im Elfenbeinturm
Dafür arbeitet das Leitungsteam: als Regisseure, Schauspieler, Dramaturgen – und als Theatermacher, Bürokräfte, Facility-Manager. Die Drei sind quasi für alles zuständig: vom Programmerstellung bis zu den Proben und Aufführungen, von der Terminplanung bis zur Putzmittelbestellung, berichten sie lachend. „Das erdet ungemein“, findet Mayr, denn keiner sitze im Elfenbeinturm der hohen Kunst. „Wir müssen auch ran, wenn das Klo verstopft ist“, berichte Segerer.
Die Festanstellung schaffe Sicherheit und befreie den Geist, ist sie überzeugt. Entlastung im Kopf, die Raum schaffe für die inhaltliche Kreativität. Mayr räumt außerdem mit dem romantischen Klischee-Bild des leidenden Hungerkünstlers auf, dem soziale Absicherung nicht wichtig sei. Auch Schauspieler, Regisseure und weitere Mitwirkende eines Theaters müssten den Kühlschrank füllen.
„Derzeit machen wir einfach“
Einerseits hat sich das Theater Wasserburg mit der GmbH-Gründung also neu aufgestellt, andererseits hat es sich nach Angaben des Trios von Zwängen befreit. Die Stücke-Auswahl geschehe intuitiver als früher. „Wir haben mit Uwe immer sehr viel diskutiert und überlegt, derzeit machen wir einfach“, sagt Dürmeier fast schon etwas verwundert. Segerer und Mayr nicken bestätigend. „Der Kontrobass“, eine sehr erfolgreiche Inszenierung, war beispielsweise ein Wunsch aus dem Ensemble heraus. Das habe sich bewährt: Auch bei den „Physikern“ (Die Premiere war ohne Werbung innerhalb kürzester Zeit ausverkauft) lief es sehr gut, ebenso bei „Richard 3“ und dem „Messias“.
Nach wie vor ist dem Team anzumerken, dass es die Erfolge gar nicht richtig fassen kann. „Wir fragen uns manchmal, wann kommt der große Dämpfer?“, sagt Segerer. Sie glaubt, dass es gelungen ist, Stücke zu wählen, die etwas zu sagen haben in dieser Zeit, die Themen aufgreifen, die die Menschen bewegen. Entscheidungen für Autoren oder Stücke würden derzeit fallen „ohne allzu viel Zahlen im Kopf“, sagen sie. Segerer ist überzeugt: „Angst ist für den künstlerischen Prozess kein guter Berater. Den Mutigen gehört die Welt.“
Denkmuster über Bord geworfen
Deshalb sei es auch angebracht, Denkmuster über Bord zu werfen, Veränderungen anzunehmen, etwas zu wagen. So habe es auch der verstorbene künstlerische Kopf Uwe Bertram gehalten. „Weil er den Mut hatte, dieses Theater zu gründen, können wir jetzt hier weitermachen“, sagen Segerer, Mayr und Dürmeier. Was die Drei freut: Es kämen nach ihren Angaben immer mehr auch junge Leute ins Belacqua. Eine neue Generation von Besuchern wächst anscheinend heran. So muss es auch sein, denn es gibt laut Segerer „handfeste Parameter“ wie die laufenden Betriebskosten, die es zu finanzieren gibt. Und es gelte, sorgsam mit den Fördermitteln von Stadt und Freistaat, Landkreis und Bezirk sowie von Privatsponsoren umzugehen. Das Jahresbudget, das die GmbH verwaltet: 400.000 Euro für Haus, Technik, Personal, Bühne, Unterhaltskosten. Ein Theater ist auch ein Unternehmen.
„Wir können miteinander“
Dass eine Leitung aus drei Personen funktioniert, ist für viele ein Wunder, wissen Segerer, Mayr und Dürmeier. „Wir haben uns halt gefunden, wir können miteinander“, sagen sie. Dürmeier wünscht sich, dass sich noch mehr für eine Mitarbeit dieser Art interessieren, „Jüngere mit Lust, sich in das Thema hineinzuwerfen“. Segerer hofft, dass es auch weiterhin gelingt, in Kontakt mit dem Publikum zu bleiben. „Offen und ansprechbar bleiben“, lautet ihr Ziel. Und Mayr findet, es ist an der Zeit, über neue Stoffe nachzudenken: Gerne würde er antike Stücke inszenieren oder mal wieder Shakespeare. Eine Open-Air-Saison wird es jedoch vorerst nicht geben. Zu groß der logistische Aufwand und das finanzielle Risiko, betonen sie. „Das kostet Kraft ohne Ende.“ Außerdem gelte es ja noch die bayerischen Theatertage zu stemmen, das große Treffen der Privat-Häuser im Freistaat.
Lösung für Theaterbar gefunden
Doch zuerst einmal gilt es, die nächste Premiere zu stemmen: „Die fürchterlichen Fünf“ ab dem 12. Mai, ein Kindertheater nach Wolf Erlbruch. Außerdem derzeit im Programm: „ Ein Schluck Erde“ von Heinrich Böll, „Der Kontrabass“, ein Schauspiel von Patrick Süskind, und „Nachtasyl“, ein Drama von Maxim Gorki, sowie weiterhin „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt. Auch die Theaterbar wird wieder eröffnen. „Nach Ostern mehr“, heißt es dazu. Eine Lösung sei gefunden.


