Betroffene berichten in Kiefersfelden von Erfahrungen
„Das ist unmenschlich“: Wie die Blockabfertigung Lkw-Fahrer quält
28 Kilometer Stau im Inntal - so heftig wirkte die Blockabfertigung am Montag. Experten aus Politik, Wirtschaft und der Logistikbranche trafen sich derweil in Kiefersfelden zum Austausch. Thema: Wie kann man Tirol zum Aus für die Blockabfertigung bewegen? Und wie geht‘s dabei den Lkw-Fahrern?
Kiefersfelden - Aus der Sicht der Ausgebremsten ist die Blockabfertigung nur eins: reiner Horror. „Menschenunwürdig“, sagt zum Beispiel Lkw-Fahrer Alexander Stephan. Er fährt für die Spedition Josef Gschwendtner in Kiefersfelden. An Tagen mit Blockabfertigung läuft sein Job nicht nur auf eine Geduldsübung, sondern auch auf Zwangsfasten hinaus. Denn: Schon Stunden vor der Fahrt in Richtung Inntal ist und trinkt er nichts mehr, wie er erzählte. Um nicht aufs Klo zu müssen.
Denn müssen kann man an der Autobahn nicht so einfach. Eine Gelegenheit zum Austreten finde er an einem Blockabfertigungsvormittag kaum, sagte Stephan. Schließlich könne man nicht rausfahren oder einfach seinen Lastwagen im Stau stehen lassen und das Führerhaus verlassen. Von seinen Erfahrungen erzählte er bei einem Informationsaustausch in Kiefersfelden, zu dem der Bundesverband für Güterkraftverkehr und Logistik für Montag, 20. Februar, in den Bergwirt eingeladen hatte.
Nach der Biesel-Blockade kommt die Kontrolle
Der Leidensweg ist in Österreich nicht vorüber. Wenn man nach Stunden im Stau endlich über die Grenze rolle, werde man wenige Kilometer weiter kontrolliert, berichtete Stephan. Und von den Tirolern womöglich wegen Überschreitung der Fahrzeit belangt. Von Schikane spricht da nicht nur der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber, Mitglied im EU-Verkehrsausschuss.
Die wachsenden Verzögerungen haben noch eine andere Folge: Für Lkw-Fahrer wird die Heimfahrt immer länger. „Wir bekommen unsere Leute übers Wochenende oft nicht mehr nach Hause“, sagt der Nußdorfer Spediteur Georg Dettendorfer. „Das ist unmenschlich.“ Die Lkw-Unternehmerin Christina Scheib aus Gmund brachte es so auf den Punkt: „Wir sind die Deppen vom Dienst.“
Markus Ferber: Blockabfertigung ist „ein massiver Verstoß“
Das Treffen in Kiefersfelden war zur frühen Stunde anberaumt worden, denn zuerst sollten sich die Teilnehmer der Runde ein Bild von den Folgen der Blickabfertigung machen können. Auf insgesamt 28 Kilometer Länge stauten sich die Lkws im Inntal, so berichtete danach die Verkehrspolizeiinspektion Rosenheim.
Nichts Rekordverdächtiges, aber Erklärung genug, warum der Ton zwischen Bayern und Tirol immer schärfer wird. Auch weil sie nicht nur Lkw-Fahrer quält, sondern den freien Handelsverkehr stört und den Anwohnern im Inntal stinkt. Es gibt viele Gründe auf bayerischer Seite, auf Tirol sauer zu sein. Unverhältnismäßig, ein Verstoß gegen Geist und Gesetz der europäischen Union, vor allem diskriminierend sei die Blockabfertigung, wetterte Markus Ferber. „Das ist ein massiver Verstoß, die Kommission muss handeln.“
Südtiroler und Bayern drängen, Tirol aber bewegt sich nicht
Danach sieht es allerdings nicht aus. Die EU-Kommission sähe Bayern, Südtirol und Tirol lieber am Verhandlungstisch. Doch Tirol bewegte sich zuletzt nicht mehr. Im Gegenteil, die Tiroler setzen so genannte „Dosierungsmaßnahmen“ immer häufiger auf den Kalender und schränken auch sonst die Fahrt immer mehr ein.
Etwa durch die Ausweitung des Nachtfahrverbots auf verhältnismäßig umweltschonende Euro-VI-Fahrzeuge. Markus Gschwendtner von der Spedition Josef Gschwendtner fasst es so zusammen: „Immer mehr Güter müssen transportiert werden, gleichzeitig werden die Zeitfenster immer kleiner.“
Hoffnungen auf Mattle: Kann es der neue Landeshauptmann richten?
Die Stimmung bei den Spediteuren: erbittert. Und offenbar gibt es mittelfristig wenig Aussicht auf Entspannung. Zwar hatte man sich nach dem Abschied von Landeshauptmann Günther Platter, dem „Vater“ der Blockabfertigung, zunächst Chancen ausgerechnet. Aber hat der Neue, der wirtschaftsfreundliche Anton Mattle, Neigung und Möglichkeit zum Abrüsten? Eher nicht. „Die Regierung kann es sich nicht leisten, in dieser Frage ihr Gesicht zu verlieren“, sagt Dettendorfer.
Die Hoffnung auf weniger Termine scheint gering, die in Kiefersfelden versammelten Branchenkenner tippen eher sogar auf mehr Abfertigungstermine. Denn wenn die Luegbrücke der Brenner-Autobahn ab 2024 saniert wird, ist auf Jahre hinaus mit Dauer-Dosierung zu rechnen.
Hohe Belastung für die Rosenheimer Polizei
Hohe Belastungen durch die Blockabfertigung spürt auch die Verkehrspolizeiinspektion Rosenheim. Im Jahre 2021 habe die Inspektion 5000 Stunden allein für die Blockabfertigung aufwenden müssen, sagte Polizeidirektor Peter Böttinger, Chef der Inspektion.
Auch er kritisiert die Tiroler Maßnahmen. Zwar könne es Verkehrsbehinderungen auch durch Kontrollen auf bayerischer Seite geben, „wir schrauben aber die Maßnahmen runter, sobald die Grenzkontrolle zum Staufaktor wird“, sagte Böttinger. Genau das Gegenteil sei die Blockabfertigung. Bei allem Verständnis für die Tiroler Absicht, den Verkehr zu steuern, „stellt sich schon die Frage, ob ich dazu die Lkw beim Nachbarn abstellen muss“.
Von den nationalen Regierungen ist keine Hilfe zu erwarten
Eine Lösung in dieser verfahrenen Situation scheint kurzfristig kaum denkbar, das machte die Diskussion in Kiefersfelden deutlich. Auch, weil die Bahn bis auf weiteres keine entscheidende Entlastung leisten können wird - zu gering sind die Kapazitäten. Auch bei der Rollenden Landstraße, die von der Österreichischen Bundesbahn propagiert wird. Sie wird nach Einschätzung der Spediteure die Lkw-Zahlen am Brenner nicht deutlich unter die Marke von 2,5 Millionen pro Jahr senken können. „Die Rola ist nur eine Krücke für den Verkehr über den Brenner“, sagte Georg Dettendorfer.
Bayern wird nach den Worten Ferbers also weiter auf eine Klage gegen Tirol setzen. Dazu werde man Druck auf Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aufbauen müssen, „das können wir, indem wir die Öffentlichkeit informieren“. Auf Hilfe von Verkehrsminister Volker Wissing oder von den anderen betroffenen Ländern wird Bayern eher nicht zählen können. „Zur Wahrheit gehört, dass der Brenner von Wien, Berlin oder Rom sehr weit entfernt ist“, sagte Ferber.