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Beliebte Dekane vor Ruhestand

Rosenheim wird zur Superkirche: Radikale Änderung für Zehntausende Katholiken

Das Ortsschild von Rosenheim und die Kirche Heilig Blut.
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Das Ortsschild von Rosenheim und die Kirche Heilig Blut.

Für die 32.000 Rosenheimer Katholiken stehen gewaltige Änderungen an. Aus drei Stadtteilkirchen wird eine. Der Grund ist denkbar einfach und nicht so leicht zu ändern.

Rosenheim – Dr. Christoph Kappes hat es jetzt erstmals offiziell bestätigt. „Zum Advent dieses Jahres beginnt der Aufbauprozess für eine Stadtkirche Rosenheim“, so der Leiter der Pressestelle in der Erzdiözese München und Freising auf OVB-Anfrage. In diesem formell klingenden Satz steckt Sprengstoff. Denn damit wachsen neun Pfarreien im Gebiet der Stadt schneller zusammen als man es sich bisher wohl ausdenken konnte. Die heutigen Strukturen mit den um 2010 gegründeten Stadtteilkirchen „Inn“, „Am Zug“ und „Am Wasen“ sind zu  personalintensiv und passen nicht mehr in die Zeit. Es braucht eine noch größere Einheit.

Kein Neupriester seit 2022

Bereits in wenigen Monaten sollen die drei Stadtteilkirchen zu einer großen Stadtkirche unter Leitung eines gemeinsamen Pfarrers verschmelzen. Damit entsteht mit rund 32.000 Gläubigen der bisher größte Pfarrverband im Erzbistum München und Freising. Der Grund für die radikale Umstrukturierung: Hauptamtliche Seelsorger fehlen an allen Ecken und Enden.

Gründe, warum jetzt alles so schnell geht, gibt es mehrere. Zum einen ist es die angespannte Situation bezogen auf leitende Geistliche, die den Personalplanern in München Kopfzerbrechen bereitet. Kein einziger Neupriester hat sich zum Beispiel 2022 in der Landeshauptstadt weihen lassen. Doch auch Gemeindereferentinnen, Pastoralassistenten und Diakone stehen ebenso wenig im Überfluss zur Verfügung. Hinzu kommt der Wechsel von Domkapitular Daniel Reichel nach Freising, der dort eine Stadtkirche aufbaut und Rosenheim etwas früher als einmal gedacht verlassen hat. Und mit Dekan Sebastian Heindl (70) und Andreas Maria Zach (68) wirken zwar noch zwei engagierte Theologen an Inn und Mangfall. Ihr Eintritt in den Ruhestand ist jedoch absehbar.

Pfarrer Andreas Maria Zach

Ein Pfarrer also für die ganze Stadt, für neun Pfarr-, noch mehr Filialkirchen, 32.000 Katholiken – kann das gut gehen? Reinhold Gietl ist ehrlich: Er weiß es nicht. Der Vorsitzende vom Stadtteilkirchenrat-Am Wasen bringt sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich in verschiedenen Funktionen ein, hat alle Höhen und Tiefen in den Gemeinden erlebt. Kirche und Glaube sind ihm wichtig.

 Reinhold Gietl, Vorsitzender vom Stadtteilkirchenrat-Am Wasen

Die Position des neuen Rosenheimer Pfarrers, deren Stellenausschreibung gerade definiert wird, sei durchaus spannend und attraktiv. Er finde unterschiedliche, lebendige Gemeinden vor. „Die Größe eines solchen Pfarrverbands ist für jemanden gemacht, der verbindend sowie mit Freude anpacken und die Herausforderungen aufgrund der inhomogenen Pfarreien-Landschaft in Rosenheim annehmen will“, weiß Gietl. Dennoch merkt man dem 57-Jährigen im Gespräch zur geplanten Stadtkirche an, dass die neue Situation anspruchsvoll ist. „Kirche spielt sich immer vor Ort ab“, ist er überzeugt. Das könne ein Geistlicher – auch, wenn er, wie vorgesehen, Unterstützung von zwei Vikaren sowie weiteren pastoralen Mitarbeitern erhält und am Sonntag mehrere Messen nacheinander feiert – nicht mehr leisten. 

„Wir haben es selber in der Hand“

„Jetzt wird sich entscheiden, was uns Kirche wert ist“, so Gietl. Er erinnert sich an eine weihnachtliche Andacht im Freien während Pandemie-Zeiten, die sehr gut besucht war und den Menschen Hoffnung schenkte, an eine Sterbeandacht für jemanden, den er persönlich kannte. Genau diese Angebote, Wortgottesfeiern, Andachten, frische Formen von Veranstaltungen und Zusammenkünften brauche es jetzt, um weiterhin in den Kirchen vor Ort präsent zu sein. „Wir haben es ein Stück weit selber in der Hand“, versucht er optimistisch in die Zukunft zu blicken. Sitz der neuen Stadtkirche wird St. Nikolaus als historisches Zentrum.

Alt-OB Anton Heindl

Nur einen Steinwurf vom dortigen Pfarrhaus entfernt ist Anton Heindl zu Hause. Er steht dem Verbund der Kirchenverwaltungen vor, kennt die Gotteshäuser und Pfarreien der Stadtteilkirche-Inn wie kaum ein anderer. „Den Katholiken wurde in den vergangenen Jahren schon sehr viel zugemutet“, gibt er zu. Aufgrund des Priestermangels müssten die Gläubigen bereits jetzt oft weite Wege zurücklegen, um zum sonntäglichen Gottesdienst zu kommen. Viele Menschen konnten oder wollten diese Strapazen nicht auf sich nehmen. „Dies ist ein Grund, warum die Zahl der Kirchenbesucher sehr stark zurückgegangen ist“, erklärt Heindl.

Öffnung für Musik und Theater?

Dem Modell „Stadtkirche“ steht der ehemalige Bürgermeister dennoch optimistisch und unvoreingenommen gegenüber. „Ich sehe durchaus eine große Chance, dass es bei uns gelingen kann, aus den drei Stadtteilkirchen eine attraktive, aktive, neue Stadtkirche zu bilden“, sagt er im Gespräch mit dem OVB. Ein wichtiger Punkt sei hierbei, die Veranstaltungen der einzelnen Gemeinden zu bündeln und diese für alle zu öffnen. „Vorträge, Musik- oder Theaterdarbietungen, Faschings- und Sommerfeste und religiöse Diskussionen müssen allen Kirchenmitgliedern der neuen Stadtkirche angeboten werden“, so der langjährige Kirchenpfleger. Auch in den Pfarrheimen sieht er Orte, an denen sich die Gläubigen über bisherige Grenzen hinweg kennenlernen, treffen und austauschen können. „Obwohl die Struktur der Bevölkerung in Rosenheim sehr unterschiedlich ist, sehe ich eine große Chance für ein gedeihliches Miteinander in der Zukunft“, so Heindl.

Genauso bedeutend sei es, die einzelnen Pfarrgemeinderäte vor Ort – neben einem neuen, übergeordneten Stadtkirchen-Rat - zu erhalten. „Man sollte nicht die Eigenständigkeit der Pfarrgemeinderäte in Frage stellen, sondern Gemeinsamkeiten suchen und Fragen diskutieren, wie man zum Beispiel dem Priestermangel begegnen kann“, ist er überzeugt. Ziel: Wieder mehr Menschen zum Glauben bringen, wieder mehr Beteiligung im kirchlichen Leben, bei Heiligen Messen und Wortgottesdienten.

Vorsitzender des Rosenheimer Dekanatsrates Paul Deutschenbaur

„Kirche muss auch in Zukunft vor Ort stattfinden“, sagt auch Paul Deutschenbaur. Er ist Vorsitzender des Rosenheimer Dekanatsrates und kennt sowohl die Menschen, als auch die Strukturen der katholischen Kirche in Stadt und Landkreis. Mit Gründung der Stadtkirche ist für ihn unausweichlich, dass den Männern und Frauen, die sich ehrenamtlich engagieren, einerseits mehr Aufgaben als bisher übertragen werden, andererseits diese aber auch mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet und damit gleichberechtigt in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden. „Nur so kann auch in Zukunft eine lebendige Beziehung zur Kirche aufgebaut und diese vor Ort gestaltet werden“, erklärt er.

An Ideen mangelt es nicht

Maßnahmen, um die angespannte Personalsituation zu entlasten und so das Ruder noch rumzureißen, wüsste Deutschenbaur sogar noch mehr: Das Pflichtzölibat auflösen, es den Pfarren also selbst überlassen, ob sie alleine leben wollen oder nicht, und den Frauen das Diakonat ermöglichen. Zudem könnten als Leiter von Stadtkirchen und großen Pfarrverbänden auch andere, entsprechend ausgebildete und geeignete Angestellte eingesetzt werden, damit sich die wenigen Priester, die es noch gibt, wieder verstärkt um die Seelsorge kümmern können. An Ideen für eine Erneuerung der Kirche mangelt es an der Basis also nicht.

Doch große Schritte scheinen vorerst unwahrscheinlich. Die Personalsituation ist angespannter, als es die bisherigen Prognosen vorhergesagt haben, weiß Andreas Maria Zach von der Stadtteilkirche-Inn. Am Telefon erklärt er, dass die Zahl der leitenden Priester schneller als gedacht abgenommen hat. Er selbst habe zwar noch rund eineinhalb Jahre im Berufsleben vor sich. „Ich will aber den Acker frei machen, damit jemand etwas Neues für die nächsten zehn bis 15 Jahre in Rosenheim aufbauen kann“, sagt er. Er spricht von neuen technischen Möglichkeiten, einem veränderten gesellschaftlichen Umfeld und neuen Visionen. „Es ist sinnvoll, einen Priester mit der Leitung zu beauftragen, der diesen Prozess vom Beginn bis zum Abschluss begleiten kann und anschließend in der neugeschaffenen Stadtkirche tätig wird“, ergänzt Dr. Kappes aus München.

Wer den größten Pfarrverband leiten soll, ist noch offen

Der Zeitpunkt des Wechsels mit dem neuen Kirchenjahr zum Adventsbeginn sei zudem gut gewählt. Und Zach zufolge ist es auch sinnvoll, wenn sich die Grenzen der neuen Stadtkirche an der Struktur der kreisfreien Stadt orientieren, da es sich dabei um eine in sich geschlossene Einheit handle. Lediglich ganz im Norden bleiben Stadtteile außen vor. Im Süden dagegen wächst die Stadtkirche über die Stadtgrenzen hinaus. Die Grundlagen für ein gemeinsames Miteinander hätten teilweise er und seine Kollegen, Dekan Sebastian Heindl und Domkapitular Daniel Reichel, teilweise sogar schon geschaffen: mit der zentralen Prozession an Fronleichnam, einem Gottesdienst für Ehejubiläen, dem Erntedankfest, der Stadtwallfahrt und dem Kita-Verbund.

Pfarrer Sebastian Heindl

Und Zach selbst? Mit ihm ist laut Erzbistum vereinbart worden, dass er als Vikar an den Ort wechselt, an dem er seinen Ruhestand verbringen wird. „Er wird also auch weiterhin in der Seelsorge tätig sein“, so Dr. Kappes. Der Prozess der Stadtkirchen-Gründung – unter Einbezug der kirchlichen Gremien und Gemeinde vor Ort – dauert dem Erzbistum zufolge dann voraussichtlich eineinhalb Jahre. Wer die Katholiken in der Stadt Rosenheim zum größten Pfarrverband weit und breit zusammenführen soll, wird sich voraussichtlich im nächsten halben Jahr herausstellen – vorausgesetzt es gehen Bewerbungen ein.

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