„Die Gräser sind die schwächsten Glieder im Rasen“
Grüner Rasen trotz Hitzewelle? Experten aus der Region verraten ihre Tricks
Der eigene Rasen trostlos braun, der vom Nachbarn satt grün. Trotz Hitzewelle. Gemeinheit. Wie macht der das? Nicht über Nacht. Und nicht nach dem Motto „Es ist Freitag, ich muss rasenmähen“. Fachleute verraten, wie es geht.
Stephanskirchen/Söchtenau – „Englischer Rasen wird in Nullkommanix braun.“ Sagt Rainer Steidle, Gärtnermeister und Vorsitzender des Kreisverbandes für Gartenbau und Landespflege mit Sitz in Söchtenau. Wer unbedingt einen Rasen will, wie auf dem Golfplatz rund ums Loch, der muss bei großer Hitze wässern, wässern und nochmal wässern.
Gräser sind die schwächsten Glieder im Rasen
Denn Gras, erklärt Steidle, wurzelt nur wenige Zentimeter tief. „Die Gräser sind die schwächsten Glieder im Rasen. Wenn Gras ganz kurz gestutzt wird, dann wird es bei großer Hitze braun.“ Weil dann zum einen der Boden zu sehr der Sonne ausgesetzt ist und noch schneller austrocknet und weil sich zum anderen die Gräser nicht gegenseitig Schatten spenden, austrocknen. Wer Klee und Löwenzahn im Rasen hat, ist ohnehin fein raus: „Die wurzeln tief, denen tut die Hitze nicht viel. Und sie sind kleine Schirme fürs Gras.“
Bei 34 Grad soll man nicht mähen, erklärt der Gärtnermeister kategorisch. Macht er in seinem eigenen Garten auch nicht. Obwohl bei Steidles kein englischer Rasen wächst. Sondern eine sattgrüne widerstandsfähige Mischung aus Gras, Gänseblümchen, Klee, Löwenzahn, Braunelle und mehr. Nach der ersten Blüte auf drei bis vier Zentimeter gestutzt. Hinterm Haus darf der Rasen noch höher wachsen, fühlen sich dann auch Glockenblumen, Nelken und Co. wohl.
Natürlich ist es in einem privaten Garten leichter, den Rasen sorgsam anzulegen, ihm von Grund auf gute Bedingungen zu bieten, sagt Gärtnermeister Steidle. Humusaufbau, zum Beispiel mit Kompost oder Resten aus der Getreideverarbeitung, hilft, die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens zu verbessern. Steidle verzichtet in seinem privaten Garten im Norden des Landkreises ganz auf Chemie. Die sei nicht gut für die Wasserspeicherfähigkeit.
Privatleute haben‘s leichter
Steidle sieht auch die Schwierigkeiten, die Hausmeister großer Wohnanlagen haben. Da soll die Außenfläche meist möglichst günstig angelegt und bewirtschaftet werden. Und dann wird eben eine 08/15-Rasenmischung genommen und dieser Rasen regelmäßig nach Dienstplan gestutzt.
So, wie in vielen Gemeinden. Aber zur Freude des Vorsitzenden des Kreisverbandes für Gartenbau und Landespflege nicht in allen. Steidle nennt Stephanskirchen und sein von Thomas Fichter entwickeltes Mähkonzept. Fichter, der Bauhofmitarbeiter mit der Zusatzausbildung als Natur- und Landschaftspfleger, hat vor einem guten Dutzend Jahren angefangen, die Grünflächen der Gemeinde umzugestalten. Gemäht wird seitdem nur noch selten. Das erste Mal nach der Blüte, üblicherweise im Juni. Und dann vielleicht noch ein, zwei Mal. Schnitthöhe etwa zehn Zentimeter, wenn es eine Blühfläche ist.
„Schnittzeitpunkt, Schnitthäufigkeit und Schnitthöhe gibt die Funktion der Fläche vor“, erklärt Fichter. Nur in Ausnahmefällen wird öfter als zweimal gemäht. Zum Beispiel auf Bolzplätzen. Auf gekauften Dünger verzichten Fichter und sein Grüntrupp. Auch auf den schon erwähnten Bolzplätzen. Da bleibt dann lieber das Schnittgut als Dünger liegen. Spart nebenbei auch noch Geld.
Entscheiden, welcher Schnitt wann wo nötig ist
Fichter und seine Kollegen müssen auch nicht nach Stundenplan mähen, haben die Freiheit, selber zu entscheiden, wann wo welcher Schnitt nötig ist. Mit der Rückendeckung durch die Kollegen im Bauhof und die Gemeindeverwaltung. „Gemäht wird nach Bedarf“, bestätigt Karin Gall, Biodiversitätsexpertin der Gemeinde. Vor dem Rathaus in Schloßberg wuchere gerade ein Wiesenstreifen voller Weißklee. „Stört keinen.“ Nicht mehr – am Anfang fehlte durchaus die Akzeptanz, die musste erst wachsen, erinnert sich Karin Gall.
Nachbargemeinden fragen nach
Allerdings, so Gall, ist es in der 11.000 Einwohner großen und wohlhabenden Biodiversitätsgemeinde Stephanskirchen vermutlich auch leichter, jemanden wie Thomas Fichter zu finden und den machen zu lassen. In kleinen Gemeinden fehle es eher an Bauhofpersonal und bei großen Institutionen und Behörden sei eben doch aus organisatorischen Gründen mehr Mähen nach Stundenplan angesagt. Aber: Verwaltungs- und Bauhofmitarbeiter sowie Biodiversitätsbeauftragte aus den Öko-Modellregionen „Hochries-Kampenwand-Wendelstein“ und „Inn-Salzach“ haben schon bei Fichter nachgefragt, wie es gehen kann.
Fazit: Den Rasen im Garten bei großer Hitze eher in Ruhe lassen. Klee, Gänseblümchen und Löwenzahn nicht vernichten, die schützen das Gras. Und generell nicht so kurz scheren. Bei drei bis vier Zentimetern Schnitthöhe haben auch Bienen, Heuschrecken und andere Insekten größere Überlebenschancen, nicht nur der Rasen.
