Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Senioren-Quartier vor der Fertigstellung

Stephanskirchen macht‘s vor: So funktioniert selbstbestimmtes Leben im Alter

Blick auf die Baustelle an der Haidenholzstraße in Stephanskirchen. Zu sehen sind die Gebäude A (links) und B (rechts).
+
Noch im Bau, doch schon Ende des Jahres fertig, ist das neue Senioren-Quartier in Haidholzen in Stephanskirchen. Hier entstehen Wohnformen, die ein selbstbestimmtes Leben im Alter möglich machen.

Eine Antwort auf jede Lebenslage im hochbetagten Alter hat das neue Senioren-Quartier in Stephanskirchen. Das Konzept begeistert Senioren und Mitarbeiter zugleich. Das sind die Gründe.

Stephanskirchen – Es gibt keinen besseren Ort als das eigene Zuhause, um alt zu werden. Doch wenn Rollator und Treppenlift als „Barrierebefreier“ nicht mehr ausreichen, wird es schwierig. Nach Informationen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) gab es im Jahr 2022 in Deutschland rund 2,8 Millionen Seniorenhaushalte, in denen mindestens ein Mensch mit Mobilitätseinschränkungen lebte. Im Vergleich fehlen aktuell aber rund zwei Millionen barrierefreie Wohnungen. Im Jahr 2025, so schätzt das IW, werden es 3,7 Millionen sein.

In Deutschland fehlen im Moment zwei Millionen barrierereduzierte Wohnungen. In Bayern ist nur jede dritte Wohnung barrierefrei, die von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen bewohnt wird.

Wie eine Gemeinde ein gesellschaftliches Problem löst

Stephanskirchen hat für dieses Problem ein Konzept: Möglichst viele Stephanskirchner sollen auch im Alter und bei Pflegebedürftigkeit im Ort wohnen bleiben können. Deshalb befürwortete der Gemeinderat das Senioren-Quartier, ein Projekt der ortsansässigen Pur Vital Altenhilfe GmbH, einstimmig. Die Inhaber Mario und Markus Mittermeier investieren etwa 25 Millionen Euro. Jetzt haben die ersten Senioren ihre Mietwohnungen im Betreuten Wohnen bezogen.

Das neue Senioren-Quartier in Stephanskirchen

So sieht das Senioren-Quartier in Haidholzen in den Visualisierungen der Architekten aus.
So sieht das Senioren-Quartier in Haidholzen in der Visualisierung der Architekten aus. Vor Ort auf der Baustelle erkennt man inzwischen, wie sich die Ideen materialisieren. Haus C (vorn) ist bezugsfertig. Haus A (hinten) wird im August und Haus B (rechts) im Dezember fertig. Spätestens im nächsten Frühjahr ist das Quartier grün. © Pur Vital Altenhilfe GmbH
Im Haus C befinden sich 14 Wohnungen für Betreutes Wohnen, eine Tagespflege, der Stützpunkt des mobilen Pflegedienstes und das öffentliche Café-Bistro „Wuid“ .
Im Haus C befinden sich 14 Wohnungen für Betreutes Wohnen, eine Tagespflege, der Stützpunkt des mobilen Pflegedienstes und das öffentliche Café-Bistro „Wuid“ . © Gerlach
Alle Wohnungen verfügen über Einbauküche und Wirtschaftsraum, selbst die 1,5-Raum-Wohnungen.
Alle Wohnungen sind mit Einbauküche (links) und separatem Wirtschaftsraum (rechts) ausgestattet, selbst die 1,5-Raum-Wohnungen (Foto). © Gerlach
Neben einem „Living-Room“ – einer Verbindung aus Wohn- und Esszimmer – verfügen die 1,5-Raum-Wohnungen über separate Schlafzimmer (links) sowie Terrasse oder Balkon (rechts).
Neben einem „Living-Room“ – einer Verbindung aus Wohn- und Esszimmer – verfügen auch die 1,5-Raum-Wohnungen über separate Schlafzimmer (links) sowie Terrasse oder Balkon (rechts). © Gerlach
Die solchen Einbauküchen und Kühlschränken werden die 2,5-Raum-Wohnungen im Haus A ausgestattet.
Alle Wohnungen haben ein barrierefreies, rollstuhlgerechtes Bad mit Haltegriffen an Dusche, WC und Waschbecken. © Gerlach
Im Gebäude A entstehen 25 Wohnungen, ein großer Clubraum und das Büro der Quartiersmanagerin. Es soll im August fertig sein.
Im Gebäude A entstehen 25 Wohnungen, ein großer Clubraum und das Büro der Quartiersmanagerin. Es soll im August fertig sein. Wo heute noch Baufahrzeuge und Material geparkt sind, wird spätestens in einem Jahr eine grüne Oase sein. © Gerlach
Noch ist diese 2,5-Raum-Wohnung im Bau, aber zu sehen ist bereits der Platz für die Einbauküche (links) und der Wirtschaftsraum (rechts), der noch mit Einbauschränken möbliert wird.
Noch ist diese 2,5-Raum-Wohnung im Bau, aber zu sehen ist bereits der Platz für die Einbauküche (links) und der Wirtschaftsraum (rechts), der noch mit Einbauschränken möbliert wird. © Gerlach
Wohn- und Schlafzimmer (rechts) einer 2,5-Raum-Wohnung.
Wohn- (links) und Schlafzimmer (rechts) einer 2,5-Raum-Wohnung. © Gerlach
Ein „Baustellenblick“ auf das Haus C, in dem sich 14 Wohnungen, Tagespflege, die Zentrale des mobilen Pflegedienstes und das öffentliche Café-Bistro „Wuid“ befinden. Wo jetzt noch Baufahrzeuge stehen, sind Terrasse, Garten und Park geplant.
Haus B (rechts) wird im Dezember bezugsfertig sein. Im Erdgeschoss und ersten Obergeschoss entstehen zwei ambulant betreute Wohngemeinschaften für Menschen mit erhöhtem Pflegebedarf. Im zweiten Geschoss sind sieben betreute Wohnungen im Bau. © Gerlach
Die beiden ambulant betreuten Wohngemeinschaften mit insgesamt 20 Plätzen sollen im Dezember eröffnet werden. Auch auf der Baustelle ist schon erkennbar, wie großzügig der Gemeinschaftsraum sein wird.
Zwei ambulant betreute Wohngemeinschaften mit insgesamt 20 Plätzen im Haus B sollen im Dezember eröffnet werden. Auch auf der Baustelle ist schon erkennbar, wie großzügig der Gemeinschaftsraum sein wird. Jeder Bewohner hat außerdem sein eigenes Zimmer mit Bad und Balkon oder Terrasse. © Gerlach

46 barrierefreie Wohnungen für Senioren

In drei Gebäuden entstehen insgesamt 46 Wohnungen. Das Gebäude C mit 14 Wohnungen ist bezugsfertig. Im Erdgeschoss des Hauses wurde gerade die Tagespflegeeinrichtung mit 20 Plätzen ihrer Bestimmung übergeben. Hier befinden sich auch die Zentrale des mobilen Pflegedienstes und das öffentliche Café-Bistro „Wuid“, das am 18. Juni eröffnet.

Im August wird das Gebäude A mit 25 Wohnungen und Clubraum fertig. Im Dezember geht Gebäude B mit sieben Wohnungen und zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften mit jeweils zehn Plätzen ans Netz.

Einheimische haben Vorfahrt

In allen Bereichen genießen die Stephanskirchner Vorrang. Das haben die Investoren und die Gemeinde in einem städtebaulichen Vertrag festgehalten. Zur Verfügung stehen Wohnungen mit Größen zwischen 38 und 94 Quadratmetern. Alle barrierefrei und rollstuhlgerecht, mit großem Bad mit bodengleicher Dusche und Haltegriffen. Alle mit Einbauküche, Abstellraum, Terrasse oder Balkon, Fußbodenheizung, Notruf und smarter Technik wie Klingelanlage mit Kamera und elektronischem Türspion, dezentral kontrollierter Wohnraumlüftung, elektrischen Rollläden und schlüssellosem Eintritt. Zudem hat jeder Mieter im Keller zusätzlichen Stauraum.

Ein „Baustellenblick“ auf das Haus C, in dem sich 14 Wohnungen, Tagespflege, die Zentrale des mobilen Pflegedienstes und das öffentliche Café-Bistro „Wuid“ befinden. Wo jetzt noch Baufahrzeuge stehen, sind Terrasse, Garten und Park geplant.

Kaltmieten zwischen 570 und 1810 Euro

Auch die kleinen Wohnungen haben separate Wohn- und Schlafzimmer. „Auf diese Grundrisse sind wir besonders stolz“, ist Markus Mittermeier von den Planungen des Rosenheimer Architekturbüros Labonte begeistert. Die Kaltmieten liegen je nach Wohnungsgröße zwischen 570 und 1.810 Euro. Im städtebaulichen Vertrag ist verankert, dass ein Drittel der Wohnungen zu einem um 20 Prozent reduzierten Mietpreis angeboten werden. Zum Vergleich: Eine „normale“ Beispiel-1,5-Raum-Wohnung mit 38,89 Quadratmetern kostet 720 Euro kalt. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von 18,51 Euro. Bei einer vergünstigten Wohnung mit 38,9 Quadratmetern beträgt die Kaltmiete 575 Euro. Hier liegt der Preis pro Quadratmeter also bei 14,78 Euro.

Die Grafik zeigt die Kosten einer normalpreisigen und einer vergünstigten 1,5-Raum-Wohnung im Senioren-Quartier in Stephanskirchen.

„Empfehlenswerte“ Mieten in einer teuren Region

Ist das zu teuer? „Im Vergleich zu den Mietpreisen in der Region Rosenheim nicht, sondern eher empfehlenswert“, sagt Christina Landshammer aus Stephanskirchen, die gerade ihre Mutter in deren neuer betreuten Wohnung besucht. Und dabei, so macht sie klar, dürfe man auch nicht vergessen, dass im Mietpreis Einbauküche, teilweise möblierte Wirtschaftsräume, Gemeinschaftsflächen und die Infrastruktur des Quartiers inbegriffen sind.

„Vergünstigte Wohnungen können Mieter erhalten, deren Jahreseinkünfte einen Betrag von 27.144 Euro bei Alleinstehenden oder 45.240 Euro bei Paaren nicht überschreiten“, erläutert Katharina Zimmerer von der Pur Vital Altenhilfe GmbH, die die Wohnungen im Quartier vermietet.

Wer kann vergünstigte Wohnungen mieten?

Was das konkret bedeutet? Ein alleinstehender Senior, der nur seine Rente zum Leben hat, dürfte also bis zu 2262 Euro pro Monat bekommen. Nach Informationen der Deutschen Rentenversicherung lag die Durchschnittsaltersrente 2023 (nach mindestens 35 Versicherungsjahren) deutschlandweit bei 1550 Euro, in Bayern bei 1545 Euro. Laut einer Statistik des Bundessozialministeriums allerdings liegt ein Großteil der gesetzlichen Renten (54,3 Prozent) unter der Armutsgrenze von 1250 Euro.

Die vergünstigte 1,5-Raum-Wohnung in Stephanskirchen kostet 575 Euro Kaltmiete. Hinzu kommen 100 Euro Nebenkosten und eine an den Mietvertrag gekoppelte Grundleistungspauschale von 150 Euro. Insgesamt kostet die Wohnung also 825 Euro. Damit etwa 700 Euro zum Leben bleiben, müsste der Senior also eine Rente von 1525 Euro bekommen.

Jeder kann Wohngeld beantragen

Senioren, die weniger Geld zur Verfügung haben, können bei der Wohngeldstelle des Landratsamtes Rosenheim einen Mietzuschuss beantragen. Anspruch darauf hat nach dem Wohngeldgesetz „jede natürliche Person, die Wohnraum gemietet hat und diesen selbst nutzt“.

Wer Leistungen vom Sozialamt bezieht, sollte die Kostenfrage mit dem zuständigen Sozialamt klären, empfiehlt die Verbraucherzentrale. Seien die Kosten im Betreuten Wohnen „im Sinne der Sozialhilfe angemessen“, übernehme das Amt die Mietkosten und die Grundpauschale. 

Wie es sich im Einzelfall verhält, muss immer individuell geprüft werden. „Senioren, die sich fürs Betreute Wohnen interessieren, können sich jederzeit bei mir melden“, macht Katharina Zimmerer auch weniger gut betuchten Menschen Mut, sich zu informieren.

Alle Wohnungen verfügen über ein barrierefreies, rollstuhlgerechtes Bad mit Haltegriffen an Dusche, WC und Waschbecken.

60 Prozent der Wohnungen sind schon vermietet

Etwa 60 Prozent der Wohnungen sind bereits vermietet. Für die anderen liegen unverbindliche Interessensbekundungen oder Reservierungen vor. An den Mietvertrag gekoppelt ist eine Grundleistungspauschale von 150 Euro (für Paare 225 Euro). Diese ist für Dienst- und Fürsorgeleistungen, also unter anderem für Hausmeister und Quartiersmanagerin. Sie ist die Schnittstelle zwischen Privathaushalt und Leben in der Gemeinschaft des Quartiers oder der Region oder anders gesagt: das sprichwörtliche „Mädchen für alles“. Sie hilft in allen Lebenslagen – sei es bei Anträgen oder behördlichem Schriftwechsel, bei Terminvereinbarungen oder der Medikamenten- und Getränkebeschaffung.

Quartiersmanagerin kümmert sich um Action und Verzahnung

Sie fördert die Hausgemeinschaft, organisiert Freizeitaktivitäten oder koordiniert Veranstaltungen im Clubraum. „Uns ist wichtig, dass die Menschen im Senioren-Quartier nicht einsam sind, sondern in der Gemeinschaft ein erfülltes Leben genießen“, betont Mittermeier. Die „Kümmerin“ heißt Birgit Klein. Sie verzahnt auch die Angebote im Quartier, vermittelt beispielsweise Wahlleistungen wie den mobilen Pflegedienst oder Essenslieferungen.

Kurz vor der Eröffnung noch letzte Arbeiten im Café-Bistro „Wuid“. Hier wird ab Dienstag (18. Juni) für die Öffentlichkeit und die Senioren aus dem Quartier gekocht. Eine lebendige Gemeinschaft ist gewünscht.

Beides kommt ebenfalls direkt aus dem Quartier. Hier kocht der neue Wirt Martin Obermüller nicht nur für die Besucher seines öffentlichen Café-Bistros, sondern auch für die Mieter des Betreuten Wohnens. Haben die keine Lust, selbst zu kochen, können sie in sein Restaurant gehen oder sich das Essen nach Hause liefern lassen.

Mobile Pflege und Tagespflege

In den eigenen vier Wänden leben und trotzdem Pflege und Betreuung in Anspruch nehmen, das ist in Haidholzen möglich, denn auch mobiler Pflegedienst und Tagespflege gehören zum Senioren-Quartier. „Ein pflegebedürftiger Mensch kann also beispielsweise am Morgen und am Abend in seiner Wohnung vom Pflegedienst gepflegt werden und den Tag in Gesellschaft in der Tagespflege verbringen“, beschreibt Markus Mittermeier sein Konzept. Beide Leistungen werden ab dem Pflegegrad 2 von den Pflegekassen bezahlt.

Mittendrin: Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft

Wenn auch dafür die Kräfte nicht mehr reichen, und ein hochbetagter Mensch schwerpflegebedürftig wird, kann er in die ambulant betreute Wohngemeinschaft umziehen. Auch hier hat jeder sein eigenes Zimmer mit barrierefreiem Bad, Terrasse oder Balkon. In den Gemeinschaftsräumen – dazu gehört auch ein gemütliches Wohnzimmer – werden die Bewohner von Alltagsbegleitern betreut. Um ihre Pflege kümmert sich der mobile Pflegedienst. Die Kosten entsprechen denen einer stationären Pflegeeinrichtung.

Eine Familie lebt die Idee vom selbstbestimmten Leben im Alter: Markus Mittermeier (von rechts) ist der Geschäftsführer der Pur Vital Altenhilfe GmbH. Tochter Miriam wird schon ins Unternehmen eingearbeitet und seine Frau Katharina Zimmerer kümmert sich um die Menschen, die im Quartier leben möchten.

Der Vorteil einer Wohngemeinschaft im Quartier: „Wird beispielsweise ein Partner schwerpflegebedürftig, kann der eine in seiner Wohnung bleiben und der andere in der Wohngemeinschaft leben. Trotzdem müssen sie sich nicht trennen, sondern bleiben nah beieinander, weil alle Angebote nur wenige Schritte entfernt sind“, so Mittermeier.

Ende des Jahres greifen alle Zahnräder ineinander

Ende des Jahres ist das Senioren-Quartier mitsamt seiner Außenanlagen – Park, Gärten, Hochbeete, Brunnen und Wege – fertig. Dann greifen die verschiedenen Wohnformen ineinander, können Senioren solange es geht, selbstbestimmt leben und entsprechend ihrer persönlichen Situation und Bedürfnisse flexibel versorgt werden.

Kommentare