Senioren-Quartier vor der Fertigstellung
Stephanskirchen macht‘s vor: So funktioniert selbstbestimmtes Leben im Alter
Eine Antwort auf jede Lebenslage im hochbetagten Alter hat das neue Senioren-Quartier in Stephanskirchen. Das Konzept begeistert Senioren und Mitarbeiter zugleich. Das sind die Gründe.
Stephanskirchen – Es gibt keinen besseren Ort als das eigene Zuhause, um alt zu werden. Doch wenn Rollator und Treppenlift als „Barrierebefreier“ nicht mehr ausreichen, wird es schwierig. Nach Informationen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) gab es im Jahr 2022 in Deutschland rund 2,8 Millionen Seniorenhaushalte, in denen mindestens ein Mensch mit Mobilitätseinschränkungen lebte. Im Vergleich fehlen aktuell aber rund zwei Millionen barrierefreie Wohnungen. Im Jahr 2025, so schätzt das IW, werden es 3,7 Millionen sein.
Wie eine Gemeinde ein gesellschaftliches Problem löst
Stephanskirchen hat für dieses Problem ein Konzept: Möglichst viele Stephanskirchner sollen auch im Alter und bei Pflegebedürftigkeit im Ort wohnen bleiben können. Deshalb befürwortete der Gemeinderat das Senioren-Quartier, ein Projekt der ortsansässigen Pur Vital Altenhilfe GmbH, einstimmig. Die Inhaber Mario und Markus Mittermeier investieren etwa 25 Millionen Euro. Jetzt haben die ersten Senioren ihre Mietwohnungen im Betreuten Wohnen bezogen.
Das neue Senioren-Quartier in Stephanskirchen




46 barrierefreie Wohnungen für Senioren
In drei Gebäuden entstehen insgesamt 46 Wohnungen. Das Gebäude C mit 14 Wohnungen ist bezugsfertig. Im Erdgeschoss des Hauses wurde gerade die Tagespflegeeinrichtung mit 20 Plätzen ihrer Bestimmung übergeben. Hier befinden sich auch die Zentrale des mobilen Pflegedienstes und das öffentliche Café-Bistro „Wuid“, das am 18. Juni eröffnet.
Im August wird das Gebäude A mit 25 Wohnungen und Clubraum fertig. Im Dezember geht Gebäude B mit sieben Wohnungen und zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften mit jeweils zehn Plätzen ans Netz.
Einheimische haben Vorfahrt
In allen Bereichen genießen die Stephanskirchner Vorrang. Das haben die Investoren und die Gemeinde in einem städtebaulichen Vertrag festgehalten. Zur Verfügung stehen Wohnungen mit Größen zwischen 38 und 94 Quadratmetern. Alle barrierefrei und rollstuhlgerecht, mit großem Bad mit bodengleicher Dusche und Haltegriffen. Alle mit Einbauküche, Abstellraum, Terrasse oder Balkon, Fußbodenheizung, Notruf und smarter Technik wie Klingelanlage mit Kamera und elektronischem Türspion, dezentral kontrollierter Wohnraumlüftung, elektrischen Rollläden und schlüssellosem Eintritt. Zudem hat jeder Mieter im Keller zusätzlichen Stauraum.
Kaltmieten zwischen 570 und 1810 Euro
Auch die kleinen Wohnungen haben separate Wohn- und Schlafzimmer. „Auf diese Grundrisse sind wir besonders stolz“, ist Markus Mittermeier von den Planungen des Rosenheimer Architekturbüros Labonte begeistert. Die Kaltmieten liegen je nach Wohnungsgröße zwischen 570 und 1.810 Euro. Im städtebaulichen Vertrag ist verankert, dass ein Drittel der Wohnungen zu einem um 20 Prozent reduzierten Mietpreis angeboten werden. Zum Vergleich: Eine „normale“ Beispiel-1,5-Raum-Wohnung mit 38,89 Quadratmetern kostet 720 Euro kalt. Das entspricht einem Quadratmeterpreis von 18,51 Euro. Bei einer vergünstigten Wohnung mit 38,9 Quadratmetern beträgt die Kaltmiete 575 Euro. Hier liegt der Preis pro Quadratmeter also bei 14,78 Euro.
„Empfehlenswerte“ Mieten in einer teuren Region
Ist das zu teuer? „Im Vergleich zu den Mietpreisen in der Region Rosenheim nicht, sondern eher empfehlenswert“, sagt Christina Landshammer aus Stephanskirchen, die gerade ihre Mutter in deren neuer betreuten Wohnung besucht. Und dabei, so macht sie klar, dürfe man auch nicht vergessen, dass im Mietpreis Einbauküche, teilweise möblierte Wirtschaftsräume, Gemeinschaftsflächen und die Infrastruktur des Quartiers inbegriffen sind.
„Vergünstigte Wohnungen können Mieter erhalten, deren Jahreseinkünfte einen Betrag von 27.144 Euro bei Alleinstehenden oder 45.240 Euro bei Paaren nicht überschreiten“, erläutert Katharina Zimmerer von der Pur Vital Altenhilfe GmbH, die die Wohnungen im Quartier vermietet.
Wer kann vergünstigte Wohnungen mieten?
Was das konkret bedeutet? Ein alleinstehender Senior, der nur seine Rente zum Leben hat, dürfte also bis zu 2262 Euro pro Monat bekommen. Nach Informationen der Deutschen Rentenversicherung lag die Durchschnittsaltersrente 2023 (nach mindestens 35 Versicherungsjahren) deutschlandweit bei 1550 Euro, in Bayern bei 1545 Euro. Laut einer Statistik des Bundessozialministeriums allerdings liegt ein Großteil der gesetzlichen Renten (54,3 Prozent) unter der Armutsgrenze von 1250 Euro.
Die vergünstigte 1,5-Raum-Wohnung in Stephanskirchen kostet 575 Euro Kaltmiete. Hinzu kommen 100 Euro Nebenkosten und eine an den Mietvertrag gekoppelte Grundleistungspauschale von 150 Euro. Insgesamt kostet die Wohnung also 825 Euro. Damit etwa 700 Euro zum Leben bleiben, müsste der Senior also eine Rente von 1525 Euro bekommen.
Jeder kann Wohngeld beantragen
Senioren, die weniger Geld zur Verfügung haben, können bei der Wohngeldstelle des Landratsamtes Rosenheim einen Mietzuschuss beantragen. Anspruch darauf hat nach dem Wohngeldgesetz „jede natürliche Person, die Wohnraum gemietet hat und diesen selbst nutzt“.
Wer Leistungen vom Sozialamt bezieht, sollte die Kostenfrage mit dem zuständigen Sozialamt klären, empfiehlt die Verbraucherzentrale. Seien die Kosten im Betreuten Wohnen „im Sinne der Sozialhilfe angemessen“, übernehme das Amt die Mietkosten und die Grundpauschale.
Wie es sich im Einzelfall verhält, muss immer individuell geprüft werden. „Senioren, die sich fürs Betreute Wohnen interessieren, können sich jederzeit bei mir melden“, macht Katharina Zimmerer auch weniger gut betuchten Menschen Mut, sich zu informieren.
60 Prozent der Wohnungen sind schon vermietet
Etwa 60 Prozent der Wohnungen sind bereits vermietet. Für die anderen liegen unverbindliche Interessensbekundungen oder Reservierungen vor. An den Mietvertrag gekoppelt ist eine Grundleistungspauschale von 150 Euro (für Paare 225 Euro). Diese ist für Dienst- und Fürsorgeleistungen, also unter anderem für Hausmeister und Quartiersmanagerin. Sie ist die Schnittstelle zwischen Privathaushalt und Leben in der Gemeinschaft des Quartiers oder der Region oder anders gesagt: das sprichwörtliche „Mädchen für alles“. Sie hilft in allen Lebenslagen – sei es bei Anträgen oder behördlichem Schriftwechsel, bei Terminvereinbarungen oder der Medikamenten- und Getränkebeschaffung.
Quartiersmanagerin kümmert sich um Action und Verzahnung
Sie fördert die Hausgemeinschaft, organisiert Freizeitaktivitäten oder koordiniert Veranstaltungen im Clubraum. „Uns ist wichtig, dass die Menschen im Senioren-Quartier nicht einsam sind, sondern in der Gemeinschaft ein erfülltes Leben genießen“, betont Mittermeier. Die „Kümmerin“ heißt Birgit Klein. Sie verzahnt auch die Angebote im Quartier, vermittelt beispielsweise Wahlleistungen wie den mobilen Pflegedienst oder Essenslieferungen.
Beides kommt ebenfalls direkt aus dem Quartier. Hier kocht der neue Wirt Martin Obermüller nicht nur für die Besucher seines öffentlichen Café-Bistros, sondern auch für die Mieter des Betreuten Wohnens. Haben die keine Lust, selbst zu kochen, können sie in sein Restaurant gehen oder sich das Essen nach Hause liefern lassen.
Mobile Pflege und Tagespflege
In den eigenen vier Wänden leben und trotzdem Pflege und Betreuung in Anspruch nehmen, das ist in Haidholzen möglich, denn auch mobiler Pflegedienst und Tagespflege gehören zum Senioren-Quartier. „Ein pflegebedürftiger Mensch kann also beispielsweise am Morgen und am Abend in seiner Wohnung vom Pflegedienst gepflegt werden und den Tag in Gesellschaft in der Tagespflege verbringen“, beschreibt Markus Mittermeier sein Konzept. Beide Leistungen werden ab dem Pflegegrad 2 von den Pflegekassen bezahlt.
Mittendrin: Eine ambulant betreute Wohngemeinschaft
Wenn auch dafür die Kräfte nicht mehr reichen, und ein hochbetagter Mensch schwerpflegebedürftig wird, kann er in die ambulant betreute Wohngemeinschaft umziehen. Auch hier hat jeder sein eigenes Zimmer mit barrierefreiem Bad, Terrasse oder Balkon. In den Gemeinschaftsräumen – dazu gehört auch ein gemütliches Wohnzimmer – werden die Bewohner von Alltagsbegleitern betreut. Um ihre Pflege kümmert sich der mobile Pflegedienst. Die Kosten entsprechen denen einer stationären Pflegeeinrichtung.
Der Vorteil einer Wohngemeinschaft im Quartier: „Wird beispielsweise ein Partner schwerpflegebedürftig, kann der eine in seiner Wohnung bleiben und der andere in der Wohngemeinschaft leben. Trotzdem müssen sie sich nicht trennen, sondern bleiben nah beieinander, weil alle Angebote nur wenige Schritte entfernt sind“, so Mittermeier.
Ende des Jahres greifen alle Zahnräder ineinander
Ende des Jahres ist das Senioren-Quartier mitsamt seiner Außenanlagen – Park, Gärten, Hochbeete, Brunnen und Wege – fertig. Dann greifen die verschiedenen Wohnformen ineinander, können Senioren solange es geht, selbstbestimmt leben und entsprechend ihrer persönlichen Situation und Bedürfnisse flexibel versorgt werden.





