Muskelkraft und „Schwaiberl“
Weiß-blaues Brauchtum in Rott: „Im Maibaumgeschäft ändert sich ab der drüberen Innseite alles“
In Rott am Inn dreht sich heuer alles um das weiß-blaue Traditionsstangerl. Bis das jedoch am 1. Mai von der horizontalen in die vertikale Position wechselt, erlebt es so einiges - vom Schlag im Wald über die Dekoration bis zum Klau. Weil der Maibaum selbst nichts erzählen kann, haben wir uns an Trachten- und Burchenverein gewandt - und brisantes über das Maibaumstüberl 2024 erfahren.
Rott am Inn - Ein stürmischer Dienstagabend im April: Im ehemaligen Kuhstall, versteckt hinter Bauzäunen, blitzt er vorsichtig hervor. 1500 Kilogramm schwer und circa 75 Jahre alt ist die stattliche Fichte von Stifter Georg Kirchlechner aus dem Rotter Ortsteil Hagenrain, die zwischen Weihnachten und Heilig Drei Könige geschlagen wurde.
Entspannte Stimmung bei der Arbeit am Baum
Aus dem Lautsprecher schallt Garland Jeffreys „Matador“, während sich Burschen und Trachtler beim Streichen des 34 Meter langen Baumes abwechseln. Tobias Huber vom Burschenverein und Sepp Kirchlechner vom Trachtenverein befinden sich schon im Endspurt der weißen Grundierung.
Bis der Stamm seinen finalen weiß-blauen Anstrich samt Dekoration und Täfelchen erhält, fließt allerdings noch viel Wasser den Inn herab. Doch die Vereinsmitglieder sind gut in der Zeit - und fröhlich. Ein Plausch da, ein Witz hier - im Stüberl herrscht ausgelassene Stimmung.
Aufgestellt wird mir reiner Muskelkraft
In Bayern ist es eine alteingesessene Tradition, den festlich dekorierten Baumstamm in der Dorfmitte am 1. Mai aufzustellen - natürlich, wie es sich gehört, mit reiner Muskelkraft und mithilfe langer Stangenpaare, der sogenannten „Schwaiberl“.
Darauf legt Peter Winklmair besonderen Wert. Als Vorstand des Trachtenvereins wurde er vom Gemeinderat für den 1. Mai 2024 offiziell als Aufsteller beauftragt. Warum der Rotter Baum nicht in natura gehalten wird, wie beispielsweise in vielen Chiemseegemeinden, wollen wir wissen. Die knappe Antwort, untermalt mit einem breiten Grinsen: „Im Maibaumgeschäft ändert sich ab der drüberen Innseite alles.“
Dreister Hinterhalt aus Albaching - und der Baum war fort
Die Taferl sind handbemalt von Malermeister Charlie Dünstl, werden montiert von Flori Maierbacher, marode Stellen freilich ausgetauscht und der Baum sowieso von den Vereinsmitgliedern komplett selbst geschmückt.
„Unseren Baum, den geben wir nur sehr ungern aus der Hand“, betont der Trachtenvorstand und sein Blick wandert zu Felix Renner, dem Vorstand des Rotter Burschenvereins. Ihm und drei anderen Wachen kam das Traditionsstangerl nämlich schon abhanden.
In der Nacht von 9. auf 10. April schlugen die Maibaumfreunde Albaching zu - und lockten die vierköpfige Maibaumwache mit einer Nacht- und Nebelaktion in einen Hinterhalt.
Schwierige und hochpreisige Verhandlungen
„Während die einen im Stüberl die Wache ablenkten und schließlich kurzerhand dort kaltblütig einsperrten, demontierten die anderen blitzschnell am ehemaligen Kuhstall die Tor-Scharniere und beförderten unseren Maibaum so ins Freie. Die Albachinger rückten mit bis zu 30 Mann an - da hatte die Wache keine Chance“, räumt der Maibaumbeauftragte Alex Scheidegger vom Burschenverein ein.
„Sie haben sauber gearbeitet beim Klau“, muss auch Winklmair anerkennen. Es folgten lange, schwierige und am Ende teure Verhandlungen. Doch die Rotter wollten ihren Baum um jeden Preis zurück - ohne Kompromiss.
„Wir möchten den Baum so herrichten, wie wir es seit Jahren machen, mit unseren Taferln und nach unseren Vorstellungen. Auch wenn die Auslöse teuer war, jetzt können wir weiterarbeiten und darüber hinaus auf die Albachinger Maibaumdiebe als Unterstützung am Aufstelltag zählen.“
Die Gefahr allerdings ist noch nicht gebannt, weswegen die Trachtler und Burschen verstärkt mit Argusaugen auf den Baum blicken. Bis zum 1. Mai sind es noch einige Tage - und der Baum ist vor etwaigen neuen Dieben nicht gefeit.
Selbst der Kindergarten war schon erfolgreich, unterstreicht Nadja Lehner, zweite Vorsitzende des Trachtenvereins. Damit schon die Kleinsten den bayerischen Brauch kennenlernen. „Nach einem Ausflug befinden sich ein paar Tafeln und die goldene Sonne der Maibaumspitze im Besitz der Kindergartenkinder.“
Uralte Tradition wird in Bayern aufrechterhalten
Die Wurzeln der Tradition des Maibaums reichen weit zurück bis in das Jahr 1224, weiß Brauchtumswart Irmi Kaffl vom Trachtenverein: „Den heidnischen Brauch gab es schon bei den Germanen, bis die Kirche schließlich die Richtung lenkte. Der Maitanz läutet offiziell das Aufblühen des Frühlings nach den langen Wintermonaten und das Erwachen der Natur ein.“
Viel Organisatorisches steckt hinter dem Maibaumaufstellen am Feiertag: Straßensperrungen übernimmt die Gemeinde, die Feuerwehr sorgt für Sicherheit, das Pferdegespann übernimmt die letzten Meter des feierlichen Einzugs in die Dorfmitte an den Marktplatz.
Wie bereits im Maibaumstüberl am Ortsrand sorgen die Vereine selbst für Kost und Logis. Federführend dabei Franziska Kirchlechner, die sich tagtäglich um die Bewirtung kümmert.
Für die Kleinen gibt es am 1. Mai ein Kinderkarussell und freilich darf auch die Rotter Blasmusik nicht fehlen. Rund 1200 Leute werden am Feiertag erwartet. Bis es soweit ist, gibt‘s im Maibaumstüberl beim Gilg in Lengdorf ein täglich wechselndes buntes Programm.
mb



